Leitsatz

  1. Das Tatbestandsmerkmal "erhebliche Nachteile" in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist aufgrund einer Interessenabwägung zu konkretisieren. Bei einem beabsichtigten Verkauf eines Einfamilienhauses hat der Eigentümer zwar keinen Anspruch auf die höchstmögliche Rendite. Andererseits dürfen die Einbußen des Eigentümers aber keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Fall des Verlustes der Wohnung erwachsen. Die Entscheidung ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu treffen (im Anschluss an das Urteil v. 28.1.2009, VIII ZR 8/08, WuM 2009 S. 182).
  2. Bei der Abwägung zwischen dem Verwertungsinteresse des Eigentümers und dem Bestandsinteresse des Mieters hat das Instanzgericht einen Ermessensspielraum, der in der Revision nur eingeschränkt nachprüfbar ist. Das Revisionsgericht hat zu prüfen, ob das Instanzgericht die Wertungsgrenzen erkannt, die tatsächliche Wertungsgrundlage ausgeschöpft und die Denk- und Erfahrungssätze beachtet hat.

(Leitsätze der Redaktion)

 

Normenkette

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3

 

Kommentar

Der zur Entscheidung stehende Fall betrifft ein Einfamilienhaus, das im Jahr 1953 von einem volkseigenen Betrieb der ehemaligen DDR vermietet wurde. Nach Beendigung der staatlichen Verwaltung im Jahr 1992 wurde das Haus den Rechtsnachfolgern der ehemaligen Eigentümer – einer Erbengemeinschaft – übereignet. Diese traten in das Mietverhältnis ein. Mit Schreiben vom 16.7.2007 haben die Vermieter das Mietverhältnis gekündigt. In dem Kündigungsschreiben ist ausgeführt, dass die Eigentümer das Haus zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verkaufen wollen. Als Käufer komme nur ein Erwerber mit Eigennutzungsabsicht in Betracht; diese Erwerbergruppe lege Wert auf ein mietfreies Objekt. Für Kapitalanleger sei das Einfamilienhaus uninteressant, weil das Objekt in den letzten 12 Jahren nur Verluste eingebracht habe. Der BGH hatte über die Wirksamkeit der Kündigung zu entscheiden.

Der Vermieter kann ein Wohnraummietverhältnis unter anderem dann kündigen, wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Zu dem Merkmal der "erheblichen Nachteile" hat das BVerfG entschieden, dass sich aus dem Grundgesetz kein Anspruch des Grundeigentümers auf die höchstmögliche Rendite ergibt (BVerfG, Beschluss v. 9.10.1991, 1 BvR 227/91, NJW 1992 S. 361 unter Ziff. II 1). Anderenfalls dürfen die Einbußen des Eigentümers aber "keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Fall des Verlustes der Wohnung erwachsen" (BVerfG, Urteil v. 14.2.1989, 1 BvR 1131/87, NJW 1989 S. 972 unter Ziff. I 1). In dem Grundsatzurteil vom 28.1.2009 (VIII ZR 8/08, NJW 2009 S. 1200) hat der BGH ausgeführt, dass diese verfassungsrechtliche Bewertung auch auf die Auslegung des einfachen Rechts zutrifft. Ein allgemein gültiges Kriterium zur Auslegung des Begriffs des erheblichen Nachteils existiere allerdings nicht. Vielmehr sei insoweit auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Diese Rechtsprechung führt der BGH fort.

Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass ein erheblicher Nachteil hier nicht gegeben sei. Die Eigentümer hätten das Objekt in vermietetem Zustand erworben; in einem solchen Fall müsse hinsichtlich des Nachteils auf die Vermögenslage der Eigentümer im Zeitpunkt der Aufhebung der staatlichen Verwaltung abgestellt werden. Die Vermögenssituation der Eigentümer habe sich seitdem nicht verschlechtert; deshalb sei es den Eigentümern zuzumuten, das Haus mit dem bestehenden Mietverhältnis zu veräußern.

Der BGH erachtet diese Argumentation für sachwidrig. Über die Kündigung sei aufgrund einer "Abwägung zwischen dem Verwertungsinteresse des Eigentümers und dem Bestandsinteresse des Mieters" zu entscheiden. Hierbei haben die Instanzgerichte einen Ermessensspielraum, der in der Revision nur eingeschränkt nachprüfbar sei. Das Revisionsgericht habe zu prüfen, "ob das Berufungsgericht die Wertungsgrenzen erkannt, die tatsächliche Wertungsgrundlage ausgeschöpft und die Denk- und Erfahrungssätze beachtet hat." Das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das Haus weder von dem ehemaligen Eigentümer noch von der Erbengemeinschaft vermietet worden sei und dass die Erbengemeinschaft keinen Einfluss auf die staatliche Verwaltung nehmen konnte. Weiter habe das Berufungsgericht den Vortrag der Eigentümer nicht beachtet, wonach ein Verkauf mit dem bestehenden Mietverhältnis mangels eines Interessenten nicht möglich sei. Dies stehe mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht im Einklang, weil dauerhafte Verluste ohne Verwertungsmöglichkeit einem Eigentümer nicht zuzumuten sind.

Der BGH hat das Verfahren an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung der Sachlage (Unrentabilität des Grundstücks, Mindererlös bei einem Verkauf im vermieteten Grundstück oder Unverkäuflichk...

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