Rz. 8

Die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG gilt nach § 23 Abs. 2 KSchG für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, sobald sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Die Anzeigepflicht besteht daher nicht für Einrichtungen, die wissenschaftliche, kulturelle oder karitative Zwecke verfolgen (z.B. Universitäten, Schulen, Museen, Kindergärten oder Behindertenwerkstätten).[18] Nach § 22 Abs. 1 KSchG erfolgt keine Anzeigepflicht für Saisonbetriebe und Kampagne-Betriebe bei Entlassungen, die durch diese Eigenart der Betriebe bedingt sind. Die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG ist betriebsbezogen, nicht unternehmensbezogen.

 

Rz. 9

Es gilt entgegen früherer Rechtsprechung des BAG nicht der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff gem. §§ 1, 4 BetrVG.[19] Betrieb ist ein unionsrechtlicher Begriff, der nicht anhand mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften zu bestimmen ist. Der Betriebsbegriff i.S.d. MERL wird durch den EuGH weit ausgelegt.[20] Betrieb ist danach eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Diese Einheit muss nicht wirtschaftlich, finanziell, verwaltungsmäßig oder technologisch autonom sein.

Eine zur selbstständigen Massenentlassung befähigte Leitung ist nicht erforderlich. Ausreichend ist eine Leitung, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt.[21] An das Erfordernis einer bestehenden Leitungsstruktur sind keine hohen Anforderungen zu stellen.[22]

Eine Gesamtheit von Arbeitnehmer ist anzunehmen, wenn die Einheit rein tatsächlich über die ihr zugeordneten Arbeitnehmer verfügen kann und dass die Arbeitnehmer in dieser Einheit oder von dieser aus tätig werden.[23]

Der Betrieb muss i.d.R. mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigen. Entlassungen in Kleinbetrieben sind nicht anzeigepflichtig, da §§ 17 ff. KSchG keine Anwendung auf Betriebe finden, die i.d.R. nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen.

Für die Anzeigepflicht ist in einem Gemeinschaftsbetrieb die Zahl der insgesamt von allen Arbeitgebern zu Entlassenden im Verhältnis zu Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb i.d.R. Beschäftigten abzustellen. Daher hat ein Arbeitgeber die Entlassung anzuzeigen, wenn die Verhältniszahlen des § 17 Abs. 1 KSchG insgesamt, nicht aber bezogen auf die nur bei ihm Beschäftigten, erreicht werden.[24]

[18] Lützeler/Scholz, öAT 2021, 114, 115.
[20] Weiterführend Maschmann, EuZA 2015, 488.
[21] EuGH v. 13.5.2015 – Rs. C-392/13, ECLI:EU:C:2015:318 (Rn 45) – Rabal Cañas; BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006, 1010 f. m.w.N.
[23] EuGH v. 15.2.2007 – Rs. C-270/05, ECLI:EU:C:2007:101 – Athinaïki Chartopoiïa; BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006, 1011.
[24] LAG Niedersachsen v. 18.12.2013 – 17 Sa 335/13, BeckRS 2014, 66597; weiterführend zu Gemeinschaftsbetrieb Lützeler/Scholz, öAT 2021, 114, 115 f.

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