Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassungen. Richtlinie 98/59/EG des Rates. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a. Auf dem Willen des Arbeitgebers beruhende Einstellung der Tätigkeit eines Betriebs. Begriff ‚Betrieb’

 

Beteiligte

Athinaíki Chartopoíía

Athinaïki Chartopoiía AE

L. Panagiotidis u. a

 

Tenor

Die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen und insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. a ist dahin auszulegen, dass eine Produktionseinheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende für den Zweck der Anwendung dieser Richtlinie unter den Begriff „Betrieb” fällt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Areios Pagos (Griechenland) mit Entscheidung vom 9. Juni 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2005, in dem Verfahren

Athinaïki Chartopoiía AE

gegen

L. Panagiotidis u. a.,

Beteiligte:

Geniki Synomospondia Ergaton Elladas (GSEE),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten P. Jann sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues, K. Schiemann und E. Levits,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Athinaïki Chartopoiía AE, vertreten durch I.-D. Filiotis, K. Kerameas, M. Merola und C. Santacroce, dikigoroi,
  • von L. Panagiotidis u. a., vertreten durch A. Vagias und E. Dibanidoy-Vraka, dikigoroi,
  • der Geniki Synomospondia Ergaton Elladas (GSEE), vertreten durch A. Kazakos, dikigoros,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia und J. Enegren als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des insbesondere in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16) verwendeten Begriffs „Betrieb”.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen entlassenen Arbeitnehmern und ihrem früheren Arbeitgeber, der Gesellschaft Athinaïki Chartopoiía AE (im Folgenden: Gesellschaft) über die Rechtmäßigkeit der Massenentlassungen, von denen sie infolge der von dieser Gesellschaft beschlossenen Einstellung der Tätigkeit einer der Produktionseinheiten der Gesellschaft betroffen waren.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Aus dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 98/59 geht hervor, dass mit dieser Richtlinie aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Klarheit die Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 48, S. 29) in der zuletzt durch die Richtlinie 92/56/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 geänderten Fassung (ABl. L 245, S. 3) kodifiziert werden soll. Gemäß ihrem zweiten Erwägungsgrund zielt die Richtlinie 98/59 darauf ab, „[u]nter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft … den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken”.

4 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 legt deren Anwendungsbereich wie folgt fest:

„(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a) ‚Massenentlassungen’ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

  • mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,
  • mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
  • mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

ii) oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,

beträgt;

…”

5 Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 98/59 nennt die Fälle, in denen diese Richtlinie keine Anwendung findet. Im Rahmen der Richtlinie 75/129 sah Art. 1 Abs. 2 Buchst. d vor, dass diese Richtlinie „Arbeitnehmer, die von der Einstellung der Tätigkeit des Betriebs betroffen sind, wenn diese Einstellung auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt”, nicht betrifft. Dieser Buchstabe d fiel mit der Richtlinie 92/56 weg und wurde nicht wieder in die Richtlinie 98/59 aufgenommen.

6 In Art. 2 Abs. 1, 2 und 3 der Richtlinie 98/59 werden für den Arbeitgeber, der beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen, bestimmte Verpflichtungen aufgestellt. Zuerst hat er die Arbeitnehmervertreter zu konsultieren, wobei die Konsultationen sich zumindest au...

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