Schwachstelle Selbstveränderungs-Skills

Vor der Arbeit von Learning & Development hat Kolumnist Axel Koch großen Respekt. Er schätzt die Leistung der Weiterbildungsprofis. Doch gleichzeitig erkennt er – bei all ihrem Engagement – doch einen blinden Fleck in ihrer Arbeit: Die Veränderungs-Skills der Mitarbeitenden bleiben unbeachtet.

Ich finde die Arbeit von L&D beeindruckend. Wenn ich sehe, welche durchchoreografierten Programme es gibt, verneige ich mich in Ehrfurcht. Teilnehmende arbeiten im Sinne des Actions Learnings an echten Projekten, absolvieren Persönlichkeitstests und Schulungsmodule oder bekommen Transferunterstützung durch Peer Coaching, Mentoring oder Patensysteme. Gut kuratierte Lernplattformen mit E-Learnings stehen flankierend bereit. Self-Empowerment und selbstverantwortliches Lernen sind voll im Trend. Der Lernende ist der Pilot seiner eigenen beruflichen und persönlichen Entwicklung. Und ganz neu auf dem Vormarsch ist eine durch künstliche Intelligenz gestützte Kompetenzentwicklung.

Nur für eines sind die L&D-Profis und auch die unterstützenden Trainer und Trainerinnen blind. Und das finde ich sehr schade: Sie verschenken viel Potenzial, wenn es um Lerntransfer und nachhaltige Entwicklung und Veränderung geht. Gerade bei L&D ist das eine doppelte Schande. Denn das oberste Ziel ist doch die beste Potenzialentfaltung.

Veränderungsbereitschaft ist nicht Veränderungsfähigkeit

Was braucht es, damit Menschen ihr Denken und Verhalten ändern? Denn darum geht es typischerweise bei Schulungen. Ich stelle diese Frage ganz oft, wenn ich mit L&D Professionals oder auch Führungskräften zu tun habe. Die meisten sagen dann: Offenheit, Veränderungsbereitschaft, Motivation, Wille, Disziplin, Selbstreflexion.

Und das stimmt auch. Aber das allein reicht nicht, wie die Veränderungspsychologie zeigt. Es braucht außerdem spezielle Selbststeuerungsfertigkeiten, die Menschen beherrschen müssen, damit sie stabil neue Routinen und Gewohnheiten entwickeln. Zwei bis drei Monate dauert das mindestens.

Doch diese Skills hat keiner im Blick. So stelle ich immer wieder fest, dass in den Kompetenzmodellen von Firmen nur der Begriff "Veränderungsbereitschaft" vorkommt. Oder: Neulich las ich die folgenden Zeilen eines Vorstands an die Belegschaft angesichts des ständigen Wandels: "Wir vertrauen auf unsere eigene Veränderungsfähigkeit."  Auch da zucke ich innerlich. Natürlich gibt es die Plastizität des Gehirns, wie uns Neurowissenschaftler lehren. Wir sind fähig, uns lebenslang zu verändern. Aber faktisch scheitern viele Menschen daran, sich von bisherigen Gewohnheiten zu lösen.

Das ist auch gar nicht sehr verwunderlich. Denn wir lernen nirgendwo, wie wir uns selbst erfolgreich steuern müssen, um Gewohnheiten zu verändern. Weder in der Familie, Schule oder Ausbildung, noch in den meisten Studienfächern. Anderseits besteht die irrige Annahme, jeder Erwachsene könne es. Ein teurer Irrtum für den Erfolg von Schulungen und auch von Change-Prozessen, die ja in der Regel mit Schulungen gekoppelt sind. Denn meistens sind die Menschen allein unterwegs – und setzen dann wider Erwarten die gewünschten Denk- und Verhaltensweisen nicht um.

Augen auf: Wie steht es um die Selbstveränderungsfertigkeit?

In den Firmen kommen viele verschiedene Potenzialanalyse-Instrumente zum Einsatz. Die Persönlichkeit wird in ihrer Vielfalt vermessen. Und es ist auch spannend zu erfahren, wie die Menschen ticken. Doch eines wird nicht erfasst: Wie das Skill-Potenzial aussieht, sich selbst in seinen Denk- und Verhaltensmustern erfolgreich und nachhaltig zu verändern.

An diesem Punkt setzt meine Forschung an, die ich im Jahr 2009 begonnen habe. Die Ausgangsfrage war: Was beherrschen Menschen, die besonders erfolgreich darin sind, Lerntransfer und die nachhaltige Veränderung von Denk- und Verhaltensmustern zu realisieren? Ich habe dieses Skillset mit dem Begriff "Transferstärke" beschrieben. Das dahinterstehende Transferstärke-Modell ist faktorenanalytisch auf der Basis von rund 2.500 Probanden entstanden. Zugrunde liegen hier 18 psychologische Konzepte aus der Lerntransfer-, Therapie- und Veränderungsforschung. Es ist also eine Art Best-of-Modell von bereits bestehenden empirischen Forschungsergebnissen. Transferstärke grenzt sich klar von der Transfermotivation ab, die bereits seit langem in der Forschung als wesentlicher Einflussfaktor für den Umsetzungserfolg als zwingende Voraussetzung bestätigt ist.

Transferstärke-Potenzial ermitteln und entwickeln

Auf der Basis des Modells ist mit der sogenannten "Transferstärke-Analyse" ein Instrument mit knapp 50 Fragen entstanden, mit dem sich das Potenzial von Menschen ermitteln lässt, wie transferstark sie sind – also inwiefern sie die Skills beherrschen, um eigene Denk- und Verhaltensmuster erfolgreich und nachhaltig selbst zu verändern. Die Skills also, die es braucht, um Gelerntes aus Erfahrungen, Feedback oder auch verhaltensorientierten Schulungen umzusetzen. Das sind auch die Skills, die eine lernende Organisation benötigt, um sich in einer Welt des ständigen Wandels immer wieder erfolgreich anzupassen.

Die bisher schon gesammelten, tausenden von Daten zeigen eines ganz deutlich: Nur die wenigsten Menschen sind transferstark. Was ja auch nicht verwundert, weil hier heute keiner hinschaut und diese Skills auch keiner gezielt lernt. Durch die Transferstärke-Analyse eröffnet sich für Teilnehmende die Chance, ihr eigenes Potenzial für erfolgreiche Selbstveränderung in einem 40-seitigen Report zu erkennen.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.

Schlagworte zum Thema:  Lernmethoden, Personalentwicklung, Weiterbildung