Warum Steuerberater Early Adopter sein sollten

Die Digitalisierung lässt sich nicht aussitzen. Steuerberater, die jetzt handeln, können die Veränderung in eine nachhaltig nutzbare Chance wandeln.

Kaum ein Begriff wurde in den letzten Jahren so stark strapaziert wie Digitalisierung. Von der Bundeskanzlerin bis hin zu Großmutters Kaffeekränzchen spricht nicht nur jeder über Digitalisierung, sondern jeder hat auch gleich eine häufig unumstößlich wirkende Meinung. Und wie nicht selten bei Neuerung – insbesondere, wenn diese neben einer technischen auch eine gesellschaftliche Dimension zu haben scheinen – gewinnen Skepsis und die Sorge von den mit der sich anbahnenden Veränderung einhergehenden Gefahren bei der Meinungsbildung die Oberhand.

Digitalisierung: Das Schreckgespenst der Steuerkanzleien

In die Gesamtheit der Steuerberatungskanzleien hineingehorcht, scheint auch das Meinungsbild in diesem Kreis ganz ähnliche Tendenzen zu zeigen. Die allermeisten verbinden mit dem Begriff der Digitalisierung vor allem die Automatisierung der Buchhaltungstätigkeiten, die konsequent zu Ende gedacht, die Rolle des Steuerberaters in der unterjährigen Begleitung eines Mandanten nahezu überflüssig machen könnte. Damit stellt sie eine erhebliche Bedrohung für ein bislang häufig sehr auskömmliches Geschäft dar.

Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die traditionell Ihre Finanzbuchhaltung an den Steuerberater ausgelagert haben, sehen sich in den letzten Jahren einer Vielzahl neue Online-Angebote für identische Leistungen gegenüber. Und diese Online-Services werden nicht selten für unter zehn Euro monatlich angeboten. Unternehmen, für die diese Online-Services entwickelt wurden – nämlich Klein- und Kleinstunternehmen (<2 Mio Jahresumsatz) – repräsentieren heute zum Teil mehr als 80 Prozent der Mandantschaft einer Steuerberatungskanzlei (je kleiner die Kanzlei desto tendenziell größer der Anteil).

Und da auch Steuerberater nur Menschen sind, ist es kaum verwunderlich, warum die Reaktion auf das sich abzeichnende Unvermeidliche wenig anders ausfällt, als Psychologen dies tausendfach und tagtäglich in Veränderungsprozessen beobachten und als sogenannte Veränderungskurve (vgl. Kübler-Ross, 1969) beschreiben.


Veränderungskurve


Der Berufsstand scheint sich derzeit vor allem dadurch auszuzeichnen, dass man sich allgemein dem Gefühl der falschen Sicherheit hingibt und sich selbst zum Opfer der Annahme macht, die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen hätten keinerlei Auswirkungen auf das eigene Geschäft und die zukünftige Beziehung zu den eigenen Mandanten. Dieses Verhalten ist überaus menschlich. Niemand mag es, unfreiwillig Liebgewonnenes und Vertrautes aufzugeben – erst recht nicht, wenn gleichzeitig die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten in Bezug auf das zukünftig veränderte Umfeld in Frage gestellt und möglicher Weise weiterentwickelt werden müssten.

Wieso Stillstand in der Steuerbranche ausgeprägt ist

Dazu kommen allerdings ein paar branchenspezifische Charakteristika, die diese Haltung begünstigen:

Steuerberatungskanzleien wachsen langsam im Zuge der unternehmerischen Entwicklung ihrer Mandanten. Die Beziehung zu den Mandanten ist von hoher Loyalität (lebenslange Partnerschaft) geprägt. Wandel vollziehen sich im Markt typischer Weise sehr langsam (geringe Marktdynamik). In der Folge wird von den Marktteilnehmern auch nicht mit radikalen Veränderungen gerechnet. Dies macht Steuerberatungen tendenziell anfällig für disruptive Entwicklungen (Black Swan Event).

Steuerberater neigen dazu, die ihnen zur Verfügung stehende Zeit auf vertraute Tätigkeit zu allokieren und die notwendigen Schritte zur Entwicklung erweiterter Beratungsleistungen aufzuschieben. Wer zum Beispiel betriebswirtschaftliche Beratung erfolgreich betreiben will, wird es jedoch nicht vermeiden können, seine Komfortzone verlassen zu müssen und Neuland zu betreten.

Analyse für Steuerberater: Wo ist mein aktueller Platz in der Veränderungskurve?

Sollten Steuerberater sich selbst dabei ertappen, in Gesprächen regelmäßig Argumente anzuführen, welche die von der Digitalisierung ausgehenden Auswirkungen im allgemeinen sowie in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit und die Beziehung zu ihren Mandanten kleinreden, dann dürften sie sich gemeinsam mit vielen tausend Berufskollegen in der zweiten Phase der oben erwähnten Veränderungskurve befinden – und das ist für den Augenblick erst einmal vollkommen normal.

Und sollten Steuerberater darüber hinaus bereits den eigenen Ruhestand für die nächsten Jahre geplant haben und keinen Verkauf Ihrer Kanzlei in Erwägung ziehen, dann brauchen diese an diesem Zustand auch nichts zu verändern. Allen anderen sei gesagt: „Verharren Sie in dieser Phase nicht zu lange! Je schneller Sie Ihre eigene Einstellung zur Digitalisierung überprüfen und anpassen desto eher wird sich auch für Sie das Schreckgespenst Digitalisierung in eine nachhaltig nutzbare Chance wandeln.“

Wenn das Selbstbild nicht der Realität entspricht

Interessanter Weise hat eine von Haufe-Canei zu Beginn des Jahres durchgeführte Studie ergeben, dass rund 82 Prozent der Steuerberatungskanzleien in Deutschland die Entwicklung der eigenen Kanzlei vor dem Hintergrund der Digitalisierung als neutral bis positiv einschätzen. Sie gehen gleichzeitig davon aus, dass über ein Fünftel der Kanzleien in den kommenden zehn Jahren einer Marktbereinigung (nicht zuletzt als Folge der Digitalisierung) zum Opfer fallen werden.

Wie passen die Zahlen zusammen? - Gar nicht. Offensichtlich gehen viele Steuerberater davon aus, dass die Digitalisierung zwar Verlierer zurücklässt, sie selbst aber als Gewinner hervorgehen werden – obwohl sie ihre Zeit nur darauf verwenden, das zu tun, was sie bisher immer getan haben. Zeit, um nach neuen Geschäftsmodellen oder einer Ausweitung ihrer bisherigen Geschäftsmodelle zu suchen, investieren sie nicht. Woher nehmen die Steuerberater also die Gewissheit, zu den Digitalisierungsgewinnern zu zählen, wenn sie lediglich Zuschauer nicht aber Teilnehmer der Transformation sind?

Auf die Strategie der späten Folger zu setzen, ist für Steuerkanzleien nicht ratsam.


Vielleicht, weil sie denken, sie könnten die Strategie der späten Folger anwenden. Definitionsgemäß sind späte Folger Unternehmen, die an den Markt kommen, wenn relevante Standards bereits gesetzt sind. Dies geschieht idealtypisch in der Reifephase oder sogar erst in der Sättigungsphase des Produktlebenszyklus. Das Problem: Diese Strategie funktioniert nur mit zwei Varianten beziehungsweise Substrategien: Imitationsstrategie und Nischenstrategie

Bei der Imitationsstrategie (engl. „me too strategy“) wird die Leistung des beziehungsweise der erfolgreichsten Anbieter imitiert. Diese Strategie kann nur Erfolg haben, wenn die nachgeahmte Leistung preislich günstiger angeboten wird als das „Original“ oder das ursprüngliche Produkt. Es werden also Kostenvorteile benötigt, die idealtypisch mittels einer Preis-Mengen-Strategie verfolgt werden. Eine solche Preis-Mengen-Strategie dürfte für ein einzelnes Steuerberatungsbüro nur schwerlich umsetzbar sein.

Eine Nischenstrategie, die auf bislang nicht abgedeckte Teilmärkte setzt, dürfte in der Steuerberatung gleichfalls kaum umsetzbar sein. Auf die Strategie der späten Folger zu setzen, ist für Steuerkanzleien nicht ratsam. Vielmehr ist es an der Zeit, die Trägheit zu überwinden. Kanzleien sollten sich damit auseinandersetzen, wie sie neue Mandanten für sich gewinnen können und welche führende Leistung sie anbieten wollen. Denn die bisher führende Leistung, die Finanzbuchhaltung, kann in Zukunft nicht mehr als eine Ergänzung des eigenen Portfolios sein.

So wird der Steuerberater zum Innovator

Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie der US-Präsident John F. Kennedy vor ihm verwiesen vor dem Hintergrund ähnlich dramatischer Veränderungen auf die Schreibweise des Wortes „Krise“ in Chinesischen hin. Das chinesische Wort für Krise lautet „wēijī“ und setzt sich aus den beiden Schriftzeichen 危 (Gefahr) und 机 (Chance) zusammen. Weizsäcker und Kennedy brachten zu Ausdruck, dass es primär eine Frage der eigenen Einstellung und Überzeugung ist, ob Veränderungen als bedrohlich und gefährlich wahrgenommen werden und in der Folge innerliche Widerstände, Ablehnung und Verneinung auslösen oder als Chance begriffen und genutzt werden. Die Geschichte – insbesondere die Industrie- und Wirtschaftsgeschichte – belegt eindeutig, dass insbesondere solche Menschen von Veränderungen überproportional profitierten, die sich frühzeitig nicht nur auf sie einließen, sondern diese für sich zu nutzen wussten.

Noch ist es für Steuerberater möglich, Veränderungen proaktiv anzugehen.


Und dass die Digitalisierung neben aller empfundener Bedrohlichkeit und Gefahr für das eigene berufliche Tätigkeitsfeld vor allem große Chancen bietet, den eigenen Mandanten zukünftig noch bessere und umfassendere Services anbieten zu können, zeigt die Erfahrung mancher Berufskollegen. So nutzen zahlreiche Steuerberater zum Beispiel die vom Bundesverband der Deutschen Unternehmensberater (BDU) als bestes Digital-Produkt 2018 ausgezeichnete Software Haufe Better Business von Haufe-Canei, die ihnen und ihren Mitarbeitern den Weg in eine umfassende und systemgestützte betriebswirtschaftliche Beratung bereiten.  Die daraus generierten Umsätze zeigen regelmäßig das Potenzial, die schrumpfenden Einnahmen zum Beispiel aus der Buchhaltung weit mehr als aufzuwiegen und fördern zugleich die dauerhafte Bindung des Mandanten an seinen Berater.

Noch ist es für Steuerberater also möglich, Veränderungen proaktiv anzugehen und zur Gruppe der Innovatoren zu gehören, die nachhaltig von der Digitalisierung profitieren könnten.

Jörg Niermann
Schlagworte zum Thema:  Unternehmensstrategie