Neue Grenzen für dezentrale Erzeugung von Strom und Wärme

Dezentrale Energieversorgung mit Strom und Wärme ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Energiewende. Nun hat der Bundesgerichtshof festgelegt, bis zu welcher Größe die Betreiber sogenannter Kundenanlagen noch von den Privilegien profitieren, mit denen der Gesetzgeber Investitionen fördern will.

Hintergrund: Dezentrale Strom- und Wärmeerzeugung als Säule der Energiewende

Der deutsche Gesetzgeber sieht in der dezentralen Versorgung eine bedeutende Säule der Energiewende. Der Wandel des Energieversorgungssystems von konventionellen, zentralen Großkraftwerken stärker zu einer dezentralisierten Struktur mit zahlreichen kleinen Erzeugungsanlagen soll helfen, die Klimaziele zu erreichen. In zahlreichen Neubauprojekten werden daher vor allem Blockheizkraftwerke installiert, die Mehrfamilienhäuser, Häusergruppen oder ganze Quartiere mit Strom und Wärme versorgen sollen. Durch die unmittelbar vor Ort stattfindende („dezentrale“) Erzeugung der Energie können Leitungsverluste bei der Übertragung über größere Distanzen vermieden werden.

Diesen sogenannten Kundenanlagen gewährt der Gesetzgeber Vorteile, um deren Umsetzung attraktiver zu machen. Deren Betreiber oder Nutzer müssen beispielsweise keine Netzentgelte entrichten und sie unterfallen nicht der Regulierung durch das Energiewirtschaftsgesetz. Auch von der Entrichtung der Stromsteuer sind sie unter bestimmten Voraussetzungen befreit.

Dezentrale Lösungen schmälern jedoch naturgemäß auch die Umsätze von Energieversorgern und Netzbetreibern. Insbesondere gegenüber den immer größeren Quartierslösungen – ein oder mehrere Blockheizkraftwerke versorgen ganze Wohnquartiere – haben die Netzbetreiber daher in letzter Zeit häufig den Anschluss verweigert.

Das Urteil des BGH vom 12.11.2019, Az. EnVR 65/18

Mit Urteil vom 12.11.2019 hat der Bundesgerichtshof nun entschieden, bis zu welcher Größe derartige Kundenanlagen gegenüber den Netzbetreibern noch privilegiert sind. Er hat ausdrücklich festgehalten, dass mit immer größer werdenden Quartiersanlagen auch die Versorgungsinteressen der Bevölkerung immer stärker berührt werden können.

Eine Kundenanlage muss nach diesem mit Spannung erwarteten Urteil zwar nicht nur ein einziges Grundstück versorgen. Auch aneinander grenzende Grundstücke, bei denen keine anderen Verbraucher dazwischen liegen, können durch eine einzige Kundenanlage versorgt werden. Räumliche Trennungen zwischen Grundstücken wie Straßen spielen entgegen früherer Annahmen keine Rolle.

Eine wesentliche Begrenzung leitet der Bundesgerichtshof aber aus der Bedeutung der Kundenanlagen für den Wettbewerb ab. Kundenanlagen müssen nach dem Gesetz für den Wettbewerb mit Strom und Gas  „unbedeutend“ sein (§ 3 Nr. 24a lit. c EnWG). An dieser Stelle hat das Gericht Größengrenzen formuliert, bei deren Überschreitung nun regelmäßig von einer Bedeutsamkeit für den Wettbewerb auszugehen ist. Dies ist der Fall, wenn 

  • mehrere hundert Letztverbraucher angeschlossen sind,
  • die Anlage eine Fläche von deutlich über 10.000 m² versorgt,
  • die Menge an durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 Megawattstunden pro Jahr deutlich übersteigt und
  • mehrere Gebäude angeschlossen sind.

Wird eine oder werden mehrere dieser Werte überschritten, muss nach Auffassung des Bundesgerichtshofs schon ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, um dennoch von einer Kundenanlage ausgehen zu können.

Anmerkung

Die Formulierung klarer Grenzwerte durch die Rechtsprechung ist zu begrüßen. Seit Jahren herrscht sowohl auf Seiten der Betreiber solcher Anlagen, wie auch auf Seiten der Netzbetreiber und der Bundesnetzagentur erhebliche Unsicherheit, wann noch eine Kundenanlage vorliegt. Mehr oder wenige klare Kriterien fördern Einsatz und Anwendung von dezentralen Erzeugungsanlagen und damit das Gelingen der Energiewende. Negativbeispiele wie die sogenannten Scheibenpachtmodelle, die den zumeist gemeinsamen Betreibern von Blockheizkraftwerken erhebliche nachträgliche finanzielle Belastungen durch die EEG-Umlage verursachten, zeigen auf, dass die Klarstellung der oftmals unscharfen gesetzlichen Voraussetzungen sinnvoll ist.

Durch die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs könnten insbesondere größere Quartierslösungen aber auch aus der Privilegierung herausfallen. Mit Überprüfungsverfahren durch die Bundesnetzagentur bzw. Missbrauchsverfahren durch die Netzbetreiber ist in Zukunft zu rechnen. Auf der anderen Seite können Planer von Quartierslösungen nun besser kalkulieren, ob und unter welchen Voraussetzungen der Einsatz dezentraler Erzeugungsanlagen rentabel ist.

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Schlagworte zum Thema:  Recht, Fördermittel, Energieversorgung, Klimaschutz