Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anrechenbarkeit von Pflegegeld als Einkommen im VKH-Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Pflegegeld nach § 37 SGB XI, das an eine Pflegeperson weitergeleitet wird, welche die häusliche Pflege nicht erwerbsmäßig erbringt, ist bei der Pflegeperson kein anrechenbares Einkommen i.S.d. § 115 Abs. 1 ZPO.

 

Normenkette

ZPO § 115 Abs. 1; SGB XI § 19 Abs. 5-6, § 37

 

Verfahrensgang

AG Bremen (Beschluss vom 15.12.2011; Aktenzeichen 60 F 3799/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 15.12.2011 aufgehoben.

Der Antragstellerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Scheidungsverfahren erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt Westerholt in Bremen bewilligt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren. Mit Beschluss vom 15.12.2011, der Antragstellerin zugestellt am 20.12.2011, hat das Familiengericht Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass die voraussichtlichen Verfahrenskosten vier Monatsraten nicht übersteigen. Dabei hat es als einzusetzendes Einkommen der Antragstellerin neben Leistungen nach dem SGB II und Kindergeld auch ein Pflegegeld i.H.v. 685 EUR monatlich berücksichtigt, zu dessen Art die Antragstellerin weder in ihrer Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen noch durch entsprechende Nachweise Näheres dargelegt hat. Gegen die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 12.1.2012 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, als Alleinerziehende ein schwer und mehrfach behindertes Kind zu betreuen. Daher müsse zumindest der Freibetrag für das Kind entsprechend angepasst werden.

II. Die gem. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Der Antragstellerin ist nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Satz 1 ZPO ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Verfahrensführung aufzubringen.

Auf Anforderung des Beschwerdegerichts hat die Antragstellerin als Nachweis über das bezogene Pflegegeld einen Bewilligungsbescheid der AOK Bremen/Bremerhaven vom 2.10.2008 und ein Folgegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Lande Bremen vom 28.10.2010 vorgelegt. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Pflegegeld um Leistungen nach § 37 SGB XI handelt, die für die am [...] 2004 geborene Tochter der Antragstellerin gewährt werden. Da die Antragstellerin das Pflegegeld in ihrer Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als eigenes Einkommen angegeben hat, ist davon auszugehen, dass sie diese Leistungen als weitergeleitetes Pflegegeld vereinnahmt.

Das Pflegegeld nach § 37 SGB XI stellt weder beim pflegebedürftigen Kind der Antragstellerin noch bei der Antragstellerin selbst anrechenbares Einkommen i.S.d. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 ZPO dar.

Soweit es um das pflegebedürftige Kind geht, ergibt sich dies ohne weiteres aus dem Gesetz. Nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI bleiben die Leistungen der Pflegeversicherung als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt. Dies gilt auch für die Verfahrenskostenhilfe (Musielak-Fischer, 8. Aufl. 2011, § 115 ZPO Rz. 6; Zöller/Geimer, 28. Aufl. 2010, § 115 ZPO Rz. 15).

Für die Frage, ob bei der Antragstellerin das an sie als Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld als Einkommen zu berücksichtigen ist, fehlt es hingegen an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Der persönliche Anwendungsbereich des § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI ist beschränkt auf den Pflegebedürftigen selbst. Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs, der zufolge die Vorschrift klarstellt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung kein Einkommen des Pflegebedürftigen sind (BT-Drucks. 12/5262, 94). Zur Einkommensanrechnung bei der Pflegeperson ist mit § 13 Abs. 6 SGB XI nachträglich eine Regelung in das Gesetz eingefügt worden, die jedoch in ihrem sachlichen Anwendungsbereich auf die Ermittlung von Unterhaltsansprüchen beschränkt ist. Nach dieser Vorschrift ist das Pflegegeld bei Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen der Pflegeperson grundsätzlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wobei allerdings unter engen Voraussetzungen Ausnahmen gelten.

Wie weitergeleitetes Pflegegeld mit Blick auf § 115 ZPO behandelt werden soll, ist umstritten. Vielfach wird es nicht als Einkommen im Sinne dieser Vorschrift angesehen (OLG Bamberg OLGReport Bamberg 2000, 200; OLG Köln, B. v. 2.12.2011 - 4 WF 190/11 - BeckRS 2011, 28705; VGH Bay., B. v. 15.3.2005 - 11 B 03.2981 - zit. nach juris; Musielak-Fischer, 8. Aufl. 2011, § 115 Rz. 6; BeckOK-Reichling, Stand 1.1.2012, § 115 ZPO Rz. 17; allgemein für einkommensabhängige Sozialleistungen auch KassKomm-Leitherer, Stand Januar 2009, § 37 SGB XI Rz. 6...

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