1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 10 BUrlG verhindert die Anrechnung bestimmter medizinischer Maßnahmen auf den Urlaub. Es findet damit eine Berücksichtigung statt, die gewährleistet, dass durchzuführende Kur- und Heilverfahren nicht immer mit der Erholung des Arbeitnehmers verbunden sind. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) schon vor Inkrafttreten des BUrlG angenommen und festgestellt, dass eine Anrechnung von Kuren auf den Urlaub nur erfolgen dürfe, wenn während der Kur die persönliche Freiheit des Arbeitnehmers nicht erheblich beeinträchtigt wird.[1] § 10 BUrlG normiert also ein Anrechnungsverbot auf den Urlaub für solche Zeiten, in welchen sich der Arbeitnehmer Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation unterzieht, soweit er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat. Die Anrechnung ist regelmäßig auch dann ausgeschlossen, wenn aufgrund Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag für längere Zeiträume als 6 Wochen Entgeltfortzahlung geleistet wird.

 

Rz. 2

Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation stellen keinen Fall der Arbeitsunfähigkeit dar. Fallen diese Maßnahmen mit einer Arbeitsunfähigkeit zusammen, gilt allein § 9 BUrlG.

[1] BAG, Urteil v. 1.3.1962, 5 AZR 191/61, AP BGB § 611 Urlaub und Kur Nr. 1; Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, 12. Aufl. 2021, § 10 BUrlG, Rz. 1.

2 Persönlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 3

§ 10 BUrlG ist entsprechend der Geltungsbereichsbestimmung nach § 2 BUrlG auf alle Arbeiter und Angestellten sowie Auszubildende und solche Personen anzuwenden, welche wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Gem. § 19 Abs. 4 JArbSchG ist § 10 BUrlG des Weiteren auch auf den Urlaub Jugendlicher anzuwenden.[1]

[1] S. Arnold, § 19 JArbSchG, Rz. 15.

3 Sachlicher Anwendungsbereich § 10 Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation

3.1 Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation

 

Rz. 4

Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation sind solche Maßnahmen, welche zur Abwendung einer Krankheit oder zur Förderung der Heilung im Anschluss an eine Krankheit durchgeführt werden.[1] I. S. d. Sprachgebrauchs sind dies Kuren (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung[2]). Der Anwendungsbereich von § 10 BUrlG ist jedoch nur dann eröffnet, wenn es sich bei der fraglichen Maßnahme um eine solche nach § 9 EFZG handelt.[3] § 9 EFZG privilegiert nur solche Maßnahmen, welche ein öffentlich-rechtlicher Sozialleistungsträger vor Beginn bewilligt hat. Das Verbot der Anrechnung setzt weiter voraus, dass die Behandlung in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation i. S. d. § 107 Abs. 2 SGB V erfolgt, sodass bei Einrichtungen, die nur der ambulanten Versorgung dienen, die Vorschrift nicht greift. Nicht erforderlich ist aber, dass der gesetzlich Versicherte in der entsprechenden Einrichtung untergebracht oder verpflegt wird.[4]

 
Hinweis

Zahlreiche Erholungskuren, deren medizinische Wirksamkeit umstritten ist, lösen das Anrechnungsverbot des § 10 BUrlG deshalb nicht aus.

 

Rz. 5

Fehlt es an den entsprechenden Voraussetzungen (etwa weil der Arbeitnehmer eine nicht den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 EFZG unterfallende "Badekur" durchführen möchte), ist § 10 BUrlG nicht anzuwenden. Dem Arbeitnehmer bleibt dann nur die Möglichkeit, hierfür Urlaub beim Arbeitgeber zu beantragen, wobei der Urlaub dann noch vom Arbeitgeber bewilligt werden muss.

 

Rz. 6

Dem Wortlaut der Norm entsprechend ist auch eine nachträglich durch den Sozialleistungsträger bewilligte Maßnahme nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 10 BUrlG auszulösen.[5] Zwingend erforderlich ist daher die Bewilligung vor Beginn der Durchführung der Maßnahme.

 

Rz. 7

Ist der Arbeitnehmer weder in der gesetzlichen Krankenversicherung noch in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, ist der Anwendungsbereich gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 EFZG dann eröffnet, wenn ein durch den Arbeitnehmer frei wählbarer approbierter Arzt die Maßnahme verordnet. Ob die Maßnahme durch einen privaten Versicherungsträger oder etwa durch den Arbeitnehmer selbst finanziert wird, ist insoweit nicht von Bedeutung. Die Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation kann dann auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EZFG in einer den Einrichtungen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation "vergleichbaren Einrichtung" stattfinden.

[1] Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl 2001, § 10 BUrlG, Rz. 18.
[2] BT-Drucks. 12/5798 S. 22.
[3] ErfK/Gallner, 24. Aufl. 2024, § 10 BUrlG, Rz. 8.
[5] Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 10 BUrlG, Rz. 14 m. w. N.

3.2 Anspruch auf Entgeltfortzahlung

 

Rz. 8

Liegt eine privilegierte Maßnahme nach § 9 EFZG vor, gelten die Bestimmungen der §§ 34a und 68 EFZG (Vorschriften über die Entgeltfortzahlung) entsprechend. Voraussetzung eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung wegen Durchführung der Maßnahme ist gem. § 3 EFZG insbesondere, dass die Notwendigkeit der Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme unverschuldet herbeigeführt worden ist und die alleinige Ursache darstellt, weshalb der Arbeitnehmer nicht seiner Arbeitspflicht nachkommen kann. Nicht Voraussetzung des § 10 ...

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