Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfragen. Darlegung der Klärungsfähigkeit und -bedürftigkeit. Erlöschen des Arbeitslosengeldanspruchs. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. keine Fiktion der Verfügbarkeit

 

Orientierungssatz

1. Zur nicht ausreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und/oder Klärungsfähigkeit verschiedener Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Erlöschen der Wirkung der Arbeitslosmeldung gem § 122 Abs 2 Nr 1 SGB 3, mit dem Ablauf der Erlöschensfrist des § 147 Abs 2 SGB 3 und mit Beratungspflichten der Bundesagentur für Arbeit.

2. Es ist ausgeschlossen das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bzw Verfügbarkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu fingieren (vgl BSG vom 31.1.2006 - B 11a AL 15/05 R).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB 3 § 147 Abs. 2 Fassung: 2003-12-23; SGB 3 § 122 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 2003-12-23; SGB 3 § 119

 

Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.04.2008; Aktenzeichen L 16 AL 1076/05)

SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 06.07.2005; Aktenzeichen S 12 AL 582/04)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Die als Zulassungsgrund allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Weise dargelegt.

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60, 65; SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand der Rechtsprechung und gegebenenfalls des Schrifttums nicht ohne weiteres zu beantworten ist, und sie hat den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Diesen Anforderungen genügt die vorgelegte Beschwerdebegründung trotz ihrer umfangreichen Ausführungen nicht. Zwar werden fünf "höchstrichterlich zu klärende" Rechtsfragen - insbesondere zur Auslegung von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) und der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) - formuliert. Zu keiner dieser Fragen enthält die Begründung jedoch hinreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und/oder zur Klärungsfähigkeit.

Im Einzelnen gilt für die fünf formulierten Rechtsfragen Folgendes:

1. "Führt eine absolvierte Kur oder Reha-Maßnahme zur Unterbrechung der Arbeitslosigkeit gemäß § 122 Abs 2 Nr 1 SGB III oder aber wegen des in den Vorschriften des § 122 Abs 2 SGB III iVm § 3 Abs 2 Nr 1 EAO zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens nur zu einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches?"

Zu dieser Frage fehlt es schon an geeigneten Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Denn es wird nicht dargelegt, dass und inwiefern sich die der Fragestellung zu Grunde liegende tatsächliche Behauptung, die Klägerin sei während der Kurmaßnahme in Anwendung des § 3 Abs 2 Nr 1 EAO verfügbar gewesen, mit den für die Beurteilung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung maßgebenden tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) vereinbaren lässt. Dies hätte im Übrigen auch nicht dargelegt werden können. Den Feststellungen des LSG ist vielmehr zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Klägerin ab dem 16. März 2004 (Antritt der Kurmaßnahme) den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts nicht zur Verfügung stand, folglich nicht arbeitslos iS der §§ 118, 119 SGB III - jeweils in der im Jahre 2004 geltenden Fassung - war und mithin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) nicht erfüllte. Diese tatsächlichen Feststellungen des LSG sind in der Beschwerdebegründung, die sich allein auf den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stützt, nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen worden.

Innerhalb der Feststellungen des LSG ergibt sich im Übrigen keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, es liege ein Sachverhalt vor, der Verfügbarkeit nach Maßgabe des über § 3 Abs 2 Nr 1 EAO entsprechend anwendbaren Abs 1 des § 3 EAO ermöglichen könnte. Wenn die Beschwerdeführerin Gegenteiliges behauptet, so handelt es sich um tatsächliches Vorbringen, das zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ungeeignet ist (vgl ua Beschluss des Senats vom 20. August 2007, B 11a AL 159/06 B, veröffentlicht in juris). Zudem ist der Vortrag auf Seite 8 der Beschwerdebegründung, die Beklagte habe eine Zustimmung iS des § 3 Abs 1 EAO erteilt, offensichtlich unzutreffend; allein in der Entgegennahme der Anzeige über die Verordnung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme kann eine solche Zustimmung keinesfalls gesehen werden. Dahinstehen kann deshalb, ob in Fällen der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation die Annahme von Verfügbarkeit über § 3 Abs 2 Nr 1 EAO überhaupt in Betracht kommt (für den Regelfall verneinend: Söhngen in Eicher/Schlegel, SGB III, § 119 RdNr 153, Stand 2006).

Da schon aus den genannten Gründen die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht genügt, bedarf es keines näheren Eingehens darauf, dass es auch in anderer Hinsicht an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Klärungsfähigkeit fehlt. So enthält das Beschwerdevorbringen zur ersten Frage sogar bei Unterstellung eines zeitweiligen Ruhens des Alg-Anspruchs keinerlei Ausführungen zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 147 Abs 2 SGB III bzw zur Vorgängervorschrift des § 125 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und insoweit dazu, dass die Verfallsfrist auch während des Ruhens eines in seinem Stammrecht existenten Alg-Anspruchs weiterläuft und ein Anspruch während seines Ruhens nicht wirksam geltend gemacht werden kann (vgl ua BSGE 66, 258, 264 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 10 S 42).

2. "Liegt eine mehr als sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit iS des § 122 Abs 2 Nr 1 SGB III auch dann vor, wenn die Arbeitslosigkeit lediglich kurzfristig unterbrochen wird oder ein Wechsel in den Gründen für die eingetretene Unterbrechung stattfindet?"

Auch zu dieser Frage wird in der Beschwerdebegründung bereits die Klärungsfähigkeit nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Insoweit kann zu Gunsten der Beschwerdeführerin unterstellt werden, dass sie mit den Formulierungen "kurzfristig unterbrochen" bzw "Wechsel in den Gründen" auf die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung hinweisen will (Kurmaßnahme mit Bezug von Übergangsgeld bis 13. April 2004, ab 14. April 2004 Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug). Unabhängig davon, ob es sich angesichts dieser Besonderheiten bei der formulierten Frage überhaupt um eine Rechtsfrage mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus handelt, lassen sich jedoch die zur Erläuterung der Fragestellung aufgestellten Behauptungen, die Klägerin sei in der Zeit ab 14. April 2004 "objektiv und subjektiv verfügbar" gewesen bzw habe "zumindest bis zu ihrer Krankschreibung am 14. April 2004 wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum" dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, wiederum nicht mit der für die Beurteilung des Zulassungsgrundes maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des LSG vereinbaren. Das LSG hat vielmehr auf den Seiten 8 und 9 des angefochtenen Urteils unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin der Arbeitsvermittlung jedenfalls subjektiv nicht zur Verfügung stand.

3. "Führt auch eine seitens der Arbeitsagentur vermittelte mehr als sechs Wochen andauernde ABM-Tätigkeit zu einer Unterbrechung der Arbeitslosigkeit nach § 122 Abs 2 Nr 1 SGB III oder aber gilt der Arbeitslose auch währenddessen als verfügbar und mithin arbeitslos iS von § 119 SGB III?"

Die Beschwerdebegründung enthält keinerlei nachvollziehbare Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Insbesondere ist der Vortrag auf Seite 11 der Beschwerdebegründung (unter 2.) ungeeignet, die Aussage des LSG auf Seite 9 des angefochtenen Urteils, während der Beschäftigung im Rahmen einer ABM fehle es an Arbeitslosigkeit und insoweit sei auch ein Anspruch auf Alg ausgeschlossen, in Frage zu stellen. Ein Klärungsbedarf ist insoweit nicht ersichtlich.

4. "Greift die Ausschlussfrist des § 147 SGB III auch dann, soweit die Dauer der Unterbrechung der Arbeitslosigkeit von vornherein für die Arbeitsagentur feststeht oder zumindest voraussehbar ist?"

Die Beschwerdeführerin versäumt es jedenfalls, die Klärungsbedürftigkeit der Frage unter hinreichender Auseinandersetzung mit der - teilweise bereits vom LSG zitierten - Rechtsprechung zu § 147 SGB III bzw zu § 125 AFG nachvollziehbar darzulegen. Zwar enthält die Beschwerdebegründung Hinweise auf ältere Entscheidungen des BSG aus den Jahren 1982 und 1987 (BSGE 54, 212 = SozR 4100 § 125 Nr 2; BSGE 62, 179 = SozR 4100 § 125 Nr 3). Die im Anschluss daran aufgestellte Behauptung, das BSG habe nicht "per se ausgeschlossen", dass "nach Ablauf eines schon vorab feststehenden Zeitraumes der Ruhensdauer von Arbeitslosengeld ein diesbezüglicher Anspruch ohne neuen Antrag des Arbeitslosen wieder auflebt", wird jedoch in den Raum gestellt, ohne auf die neuere einschlägige Rechtsprechung des BSG einzugehen (ua BSGE 66, 258, 264 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1; BSGE 95, 1 = SozR 4-4300 § 147 Nr 4). Eine formgerechte Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung liegt jedoch nur vor, wenn die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigt ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).

5. "In welchem Umfang besteht eine Beratungspflicht der Arbeitsagentur über den möglichen Verlust von Leistungsansprüchen, soweit ein solcher dem Arbeitslosen konkret und für die Arbeitsagentur erkennbar droht und führt eine Verletzung der diesbezüglichen Pflicht zu einem Anspruch des Arbeitslosen auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld resultierend aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch?"

Zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage enthält die Beschwerdebegründung schon deshalb keine hinreichenden Ausführungen, weil sie sich nicht näher mit der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG auseinandersetzt, wonach es ausgeschlossen ist, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bzw Verfügbarkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Alg nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu fingieren (ua BSGE 58, 104 = SozR 4100 § 103 Nr 36; Urteil vom 31. Januar 2006, B 11a AL 15/05 R, veröffentlicht in juris). Diese fehlende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG wird nicht ersetzt durch weitgehend auf tatsächlichem Gebiet liegendes Vorbringen zu angeblichen Hinweis- oder Beratungspflichten der Beklagten oder zur behaupteten Vergleichbarkeit einer vom Sozialgericht Frankfurt in einer unveröffentlichten Entscheidung (S 33 AL 3262/02) behandelten Fallgestaltung. Bei letzterer verkennt die Beschwerdeführerin, dass es unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht auf die denkbare Korrektur einer Fristversäumnis (vgl dazu Urteil des Senats vom 19. Januar 2005, B 11a/11 AL 41/04 R, veröffentlicht in juris), sondern allein auf die im Wege des Herstellungsanspruchs grundsätzlich nicht ersetzbare Verfügbarkeit ankommt (vgl Urteil vom 31. Januar 2006 ≪aaO≫ RdNr 19 mit Hinweis auf den der Entscheidung vom 19. Januar 2005 ≪aaO≫ zu Grunde liegenden unterschiedlichen Sachverhalt).

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass auch die Klärungsfähigkeit der fünften Frage nicht hinreichend dargelegt ist. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Beklagte etwaige Beratungspflichten gerade nicht verletzt (vgl insbesondere Seite 7 des angefochtenen Urteils des LSG). Soweit die Beschwerdeführerin dennoch wiederholt behauptet, die Beklagte habe schon zur Zeit des Antritts der Kur (vom 16. März bis 13. April 2004) auf ein künftiges Erlöschen des Alg-Anspruchs hinweisen müssen, beachtet sie nicht die zutreffenden Ausführungen des LSG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG (BSGE 95, 1 = SozR 4-4300 § 147 Nr 4), wonach die Kurteilnahme mit einer Dauer von unter sechs Wochen noch nicht zu einem Erlöschen geführt hätte. Dass die Beklagte die ihr am 16. April 2004 mitgeteilte, während der Kurmaßnahme aufgetretene Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab 14. April 2004 durch irgendwelche Hinweise hätte verhindern können, ist weder in der Beschwerdebegründung schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 1, 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2180174

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