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BVerwG Urteil vom 14.11.2002 - 5 C 56.01

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Betreutes Einzelwohnen, Zuständigkeit bei Wechsel von Voll- zeitpflege zu –. Hilfe für junge Volljährige, Zuständigkeit für – bei Wechsel von Vollzeitpflege zu betreutem Einzelwohnen. Jugendhilfe, Zuständigkeit für Hilfe für junge Volljährige. Vollzeitpflege, Zuständigkeit bei Fortführung von – als Hilfe für junge Volljährige. –, Zuständigkeit bei Wechsel von – zu betreutem Einzelwohnen im Rahmen von Hilfe für junge Volljährige

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 86 Abs. 6 SGB VIII und die daran anknüpfende Kostenerstattungsregelung des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gelten nicht für Jugendhilfeleistungen über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus.

2. Die bis zum Eintritt der Volljährigkeit bestehende Zuständigkeit für Jugendhilfeleistungen wird in Bezug auf anschließende Hilfe für junge Volljährige durch § 86 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII festgeschrieben.

3. Eine bei Eintritt der Volljährigkeit nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestehende Kostenerstattungspflicht wird bei Fortsetzung der Leistung als Hilfe für junge Volljährige festgeschrieben.

4. Eine Änderung der Hilfeform innerhalb der Hilfe für junge Volljährige führt nicht zu einer neuen Zuständigkeitsprüfung.

 

Normenkette

SGB VIII §§ 41, 86 Abs. 6, § 86a Abs. 4 S. 1, § 89a Abs. 1

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 14.09.2001; Aktenzeichen 12 A 5134/99)

VG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 08.10.1999; Aktenzeichen 19 K 3304/97)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung der Kosten in Höhe von 81 586,52 DM in Anspruch, die sie für im Rahmen sog. betreuten Einzelwohnens geleistete Hilfe für junge Volljährige in der Zeit vom 1. August 1996 bis zum 31. März 1998 aufgewendet hat.

Die 1977 nicht ehelich geborene Hilfeempfängerin B. C. K. hatte seit 1978 von der Klägerin über den Eintritt ihrer Volljährigkeit hinaus Jugendhilfe in Form der Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie im Stadtgebiet der Klägerin erhalten. Der Vater der Hilfeempfängerin ist nicht bekannt; das Sorgerecht war dem Jugendamt der Klägerin übertragen worden. 1984 war die Mutter der Hilfeempfängerin aus dem Zuständigkeitsbereich der Klägerin in das Stadtgebiet der Beklagten verzogen. Seit In-Kraft-Treten des § 89 a SGB VIII am 1. April 1993 hatte die Beklagte der Klägerin Kosten der Jugendhilfe zunächst erstattet.

Am 1. August 1996 bezog die Hilfeempfängerin im Rahmen einer durch Hilfeplan vorgesehenen Maßnahme sog. betreuten Einzelwohnens eine ihr von einem freien Träger der Jugendhilfe untervermietete Wohnung im Stadtgebiet der Klägerin. Hierfür bewilligte ihr die Klägerin aufgrund Bescheides vom 8. August 1996 Hilfe für junge Volljährige durch Übernahme der von dem freien Träger in Rechnung gestellten Kosten bis zum 31. März 1998. Am 24. Juli 1996 beantragte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Erstattung ihrer Aufwendungen. Die Beklagte lehnte unter dem 25. Juli 1996 unter Widerruf ihrer Kostenerstattungszusage eine Übernahme der Hilfe in ihre Zuständigkeit ab, weil die Klägerin weiterhin für die Hilfeleistung zuständig geblieben sei.

Das Verwaltungsgericht hat der auf Kostenerstattung gerichteten Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kostenerstattungsanspruch folge aus § 89 a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB VIII. Die Voraussetzungen für eine fortbestehende Kostenerstattungspflicht nach Satz 2 über den Eintritt der Volljährigkeit des Hilfeempfängers hinaus seien hier gegeben. Bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin habe aufgrund der örtlichen Zuständigkeit der Klägerin nach § 86 Abs. 6 SGB VIII eine Erstattungspflicht der Beklagten gemäß § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestanden; die Klägerin sei für die nach der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin erbrachte Hilfe nach § 86 a Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII „fortgesetzt” zuständig gewesen, die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII für die vor Volljährigkeit erbrachte Hilfe sei durch § 86 a Abs. 4 SGB VIII für die danach bewilligte Hilfe gemäß § 41 SGB VIII bis zu deren Beendigung festgeschrieben worden und umfasse auch die örtliche Zuständigkeit für die nach dem Verlassen der Pflegefamilie gemäß § 41 SGB VIII bewilligte Hilfe, hier in Form des sog. betreuten Einzelwohnens. § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII führe vorliegend nicht zu einer neuen Zuständigkeit, da nach Volljährigkeit des Hilfeempfängers die bis dahin gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII gegebene örtliche Zuständigkeit durch § 86 a Abs. 4 SGB VIII auch für die weitere Hilfe festgeschrieben worden sei. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 86 a Abs. 4 SGB VIII durch § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII gebe es keine Gründe. Ohne die fortgesetzte Zuständigkeit der Klägerin nach § 86 a Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII wäre infolge des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter der Hilfeempfängerin im Stadtgebiet der Beklagten diese zuständiger Leistungsträger für die der Hilfeempfängerin gewährten Leistungen nach § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII gewesen und nach § 86 a Abs. 4 SGB VIII auch geblieben. Bei der streitbefangenen Hilfe handele es sich um eine Leistung im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII; die Klägerin habe, indem sie der Hilfeempfängerin Hilfe für junge Volljährige zunächst als Vollzeitpflege und sodann – nach Verlassen der Pflegefamilie – in Form des Aufenthalts in einer sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII gewährt habe, im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII „die Leistung” über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt. Der Begriff „Leistung” beziehe sich übergreifend auf die Art der Hilfe als Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII. Dabei sei die Hilfeform bzw. deren Wechsel bei Vorliegen eines einheitlichen Hilfeprozesses unerheblich. Es gelte – entsprechend dem Hilfeplan – eine ganzheitliche, auf die Jugendhilfemaßnahme als „Gesamtmaßnahme” abstellende Betrachtung. Ein Wechsel der Hilfeform innerhalb eines einheitlichen Hilfeprozesses lasse die örtliche Zuständigkeit daher unberührt. § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII dehne nach Sinn, Zweck und Entstehungsgeschichte die Kostenerstattungspflicht auch für die Dauer der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII aus. Die amtliche Überschrift der Norm mit „Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege” stehe diesem Verständnis zumindest nicht entgegen, da sie lediglich dazu bestimmt sei, den wesentlichen Inhalt der Norm zu beschreiben, hier also den Regelfall der Kostenerstattung für eine einem Kind oder Jugendlichen nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII gewährte Vollzeitpflege.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine unrichtige Anwendung und Auslegung materiellen Rechts.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) im Einklang.

Den Vorinstanzen ist darin zu folgen, dass das Klagebegehren nach § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII gerechtfertigt ist. Satz 1 der Vorschrift bestimmt, dass Kosten, die ein örtlicher Jugendhilfeträger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Nach Satz 2 bleibt die Kostenerstattungspflicht u.a. bestehen, wenn die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt wird. Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach dieser Bestimmung sind hier erfüllt.

1. Die Klägerin hatte die gegenüber der Beklagten geltend gemachten Kosten zwar nicht im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII „aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6” SGB VIII aufgewendet, sondern aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 a Abs. 4 SGB VIII. Dies steht einem Erstattungsanspruch aus § 89 a Absatz 1 Satz 2 SGB VIII jedoch nicht entgegen.

a) Dem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, dass ihre Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII mit dem Ende des Aufenthalts der B. C. K. bei der Pflegeperson weggefallen sei. Begründung und Beendigung der örtlichen Zuständigkeit für die Hilfe für junge Volljährige bestimmen sich allein nach § 86 a SGB VIII (dazu b), so dass die örtliche Zuständigkeit der Klägerin nach Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin B. C. K. weder (zunächst) weiterhin nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründet war noch nach § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII entfallen konnte.

Allerdings war die örtliche Zuständigkeit der Klägerin zunächst vor Eintritt der Volljährigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründet worden. Die Hilfeempfängerin B. C. K. hatte zwei Jahre bei einer Pflegeperson, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Klägerin hatte, gelebt, und ihr Verbleib bei dieser Pflegeperson war auf Dauer zu erwarten. Die nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII bestimmte Zuständigkeit wäre nach § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII nur entfallen, wenn der Aufenthalt bei der Pflegeperson bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin beendet worden wäre. Der Hilfeempfängerin ist hier indes auch über den Eintritt der Volljährigkeit im Jahre 1995 hinaus Hilfe gewährt worden, und zwar bis Ende Juli 1996, bis sie im Rahmen sog. betreuten Einzelwohnens zum 1. August 1996 eine eigene Wohnung bezog, zunächst in der Pflegefamilie.

b) Mit dem Zeitpunkt, zu dem die Hilfeempfängerin volljährig geworden ist, war die örtliche Zuständigkeit für die nunmehr zu gewährende Hilfe für junge Volljährige in Anwendung der Regelungen des § 86 a SGB VIII neu zu bestimmen.

Nach § 86 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bleibt, wenn der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII eine Leistung nach § 19 oder eine Hilfe nach den §§ 27 bis 35 a vorausgeht, der örtliche Träger zuständig, der bis zu diesem Zeitpunkt zuständig war. Die Vollzeitpflege ist eine Hilfe nach § 33 SGB VIII und fällt damit unter die Leistungen des Normenkatalogs in § 86 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Darum bestand ausgehend von dieser Bestimmung und auf ihrer Grundlage die Zuständigkeit der Klägerin zur Hilfeleistung über den Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin hinaus (§ 41 SGB VIII) fort.

Als eigenständige Regelung der örtlichen Zuständigkeit normiert § 86 a SGB VIII auch in Absatz 4 eine originäre Zuständigkeit, so dass der dort angeordnete Fortbestand einer Zuständigkeit, wenn diese zuvor aus § 86 Abs. 6 SGB VIII folgte, nunmehr – gewissermaßen „stichtagsbezogen” auf den Eintritt der Volljährigkeit – auf § 86 a Abs. 4 SGB VIII gründet. Nachträgliche Änderungen der Umstände, die bis zur Volljährigkeit nach § 86 SGB VIII eine bestimmte örtliche Zuständigkeit begründet hätten, können diese daher nicht mehr berühren. Dementsprechend ordnet § 86 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ihren Fortbestand einschränkungslos und nicht etwa unter dem Vorbehalt unveränderter Verhältnisse an. Zu Recht hat darum auch das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass sich „für eine Einschränkung des § 86 a Abs. 4 durch § 86 Abs. 6 Satz 3 aus dem Wortlaut des § 86 a Abs. 4 keine Hinweise” ergeben.

c) Der mit der Zuständigkeit aus § 86 a Abs. 4 SGB VIII verbundene Kostenerstattungsanspruch folgt sodann aus § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII.

Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dass § 89 a Abs. 1 SGB VIII Aufwendungen aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII betreffe und auch nach seiner Normüberschrift eine „Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege” regle, während die fortdauernde Zuständigkeit der Klägerin zur Gewährung von Vollzeitpflege im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige statt auf § 86 Abs. 6 SGB VIII auf § 86 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gründe. § 89 a Abs. 1 SGB VIII geht über den in der Normüberschrift bezeichneten sachlichen Anwendungsbereich hinaus. So ordnet ihr Satz 2 den Fortbestand der Erstattungspflicht über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus an, während die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 6 SGB VIII und die daran anknüpfende Kostenerstattungsregelung des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nur für Leistungen an Kinder und Jugendliche gelten, also nicht für Leistungen über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus. Bei Kosten für Leistungen an junge Volljährige nach § 41 SGB VIII – solche Kosten werden von der Erstattungspflicht aus § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nach dessen eindeutigem Wortlaut ausdrücklich erfasst – kann es sich demzufolge nicht um Kosten handeln, die ein örtlicher Träger im Sinne von Satz 1 „auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 aufgewendet” hat; solche Kosten sind vielmehr aufgrund der Zuständigkeit nach § 86 a Abs. 4 SGB VIII entstanden. Für die Dauer der Fortsetzung der Leistung – gewissermaßen „stichtagsbezogen” auf den Eintritt der Volljährigkeit – wird die Kostenerstattungspflicht ebenso festgeschrieben wie die nach § 86 a Abs. 4 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit.

Diese Auslegung kann sich auf Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen stützen. Da § 86 a Abs. 4 SGB VIII die „Kontinuität des Hilfeprozesses” sichern soll (so z.B. Heilemann in LPK-SGB VIII, § 86 a Rn. 8) und zu diesem Zweck – wie es auch die Vorinstanz sieht – die Zuständigkeit des bis zur Volljährigkeit örtlich zuständigen Trägers „festschreibt” (ähnlich Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage ≪1998≫, Erl. § 86 a Art. 1 KJHG Rn. 11: „Zuständigkeitsbindung zur Fortsetzung der Leistung”), ist ausgeschlossen, dass ein Jugendhilfeträger, der nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII für die Vollzeitpflege zuständig geworden und danach nach § 86 a Abs. 4 SGB VIII für die dann in eine Hilfemaßnahme für junge Volljährige überführte Hilfeleistung zuständig geblieben ist, seine Zuständigkeit mit dem Ende des Aufenthalts des jungen Volljährigen bei der Pflegeperson verliert und dass damit – unter Inkaufnahme der Möglichkeit eines Zuständigkeitswechsels – die Zuständigkeit für die dem jungen Volljährigen geleistete Hilfe neu zu bestimmen ist.

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Kommentarliteratur (vgl. z.B. Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl. ≪2000≫, § 86 a Rn. 10; Jans/Happe/Saurbier, a.a.O., Erl. § 89 a Art. 1 KJHG Rn. 3 a.E.) den Begriff „Leistung” in § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht auf Fälle unveränderter Weitergewährung der bereits vor Volljährigkeit gewährten Leistungen beschränkt, sondern ihn dahin verstanden, dass er sich auf die Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII unabhängig von der Hilfeform bezieht und dass deshalb eine Änderung der Hilfeform innerhalb der Hilfe für junge Volljährige nicht zu einer neuen Zuständigkeitsprüfung führt. Für die Kostenerstattungspflicht ab Volljährigkeit ist demgemäß ohne Belang, ob die Förderung weiter bei der Pflegeperson oder in anderer Form erfolgt (so auch Kraushaar/Ziegler, GK-SGB VIII § 89 a Rn. 11) ob im Zuge der Hilfegewährung nach § 41 SGB VIII also noch ein Wechsel in der Hilfeform eintritt (so Jans/Happe/Saurbier, a.a.O., § 89 a Rn. 15).

a) Für dieses Normverständnis sprechen sowohl Wortlaut als auch Systematik und Zweck des § 89 a SGB VIII.

Zur näheren Bestimmung des „Leistungs”begriffs ist an § 2 Abs. 2 SGB VIII anzusetzen, der als „Leistungen der Jugendhilfe” unter Nummer 4 die „Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen” (§§ 27 bis 35, 36, 37, 39, 40) aufführt. Auch in der begrifflichen Gegenüberstellung von „Hilfe zur Erziehung” und „ergänzenden Leistungen” lässt das Gesetz erkennen, dass es die Hilfe zur Erziehung als „Leistung” betrachtet, die in unterschiedliche Hilfemaßnahmen (-formen) unterteilt werden kann: u.a die „Vollzeitpflege” (§ 33) sowie „Heimerziehung” und „sonstige betreute Wohnform” (§ 34). Diese im 4. Abschnitt, 1. Unterabschnitt des Achten Buches Sozialgesetzbuch unter „Hilfe zur Erziehung” (in dem weiten Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII) begrifflich zusammengefassten Hilfe- und Fördermaßnahmen sind sowohl durch § 2 Abs. 2 Nr. 6 SGB VIII als auch durch den 4. Unterabschnitt der „Hilfe für junge Volljährige” zwar begrifflich einander gegenübergestellt; doch macht § 41 Abs. 2 SGB VIII deutlich, dass die genannten möglichen Maßnahmen der „Hilfe zur Erziehung” ihrem Inhalt nach auch als Ausgestaltung der einheitlichen Leistung „Hilfe für junge Volljährige” in Betracht kommen. Der Wechsel von einer Ausgestaltungsform zu einer anderen lässt mithin die rechtliche Qualifizierung der Maßnahmen als Hilfe für junge Volljährige unberührt. Unter der „Leistung”, die im Sinne von § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII über die Volljährigkeit hinaus „nach § 41 fortgesetzt wird”, ist darum nicht deren konkrete Erscheinungsform im Sinne der durch den Normenkatalog des § 41 Abs. 2 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII zu verstehen. Vielmehr kann jedwede Leistung der §§ 27 ff. SGB VIII, sofern § 41 Abs. 2 SGB VIII sie für entsprechend anwendbar erklärt, Teil und Ausformung der einheitlichen „Leistung” der Hilfe für junge Volljährige sein.

Dieses im Wege grammatikalischer und systematischer Auslegung gewonnene Verständnis des „Leistungs”begriffs wird durch den Normzweck bestätigt, den der historische Gesetzgeber bei der Schaffung des § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII verfolgt hat. Durch Satz 1 der Vorschrift soll vermieden werden, „dass insbesondere am Rande von Ballungsgebieten und Großstädten kaum mehr Pflegestellen gefunden werden, weil die dortigen Jugendämter befürchten müssen, nach zwei Jahren die entsprechenden Kosten zu übernehmen” (BTDrucks 12/2866, S. 24). Vor diesem Hintergrund ist ebenso Satz 2 zu sehen, der „die Kostenerstattungspflicht auch für die Dauer der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 aus(dehnt)” (BTDrucks a.a.O.). Wird die Hilfe für junge Volljährige in der Ausgestaltung als Vollzeitpflege geleistet, gilt der in Satz 1 zum Ausdruck gelangte Schutzgedanke zu Gunsten von Pflegestellenorten unmittelbar. Dass die Sätze 1 und 2 durch denselben Novellierungsakt (des Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 – BGBl S. 239 –) in das Achte Buch Sozialgesetzbuch eingeführt wurden, spricht dafür, auch die Schaffung des Satzes 2 vor dem Hintergrund des mit der Schaffung von § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks zu sehen.

Vor allem aber lässt sich das vom Berufungsgericht an einer „Gesamtbetrachtung” der Hilfe für junge Volljährige orientierte Verständnis des § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII aus der Aufgabe dieser Vorschrift heraus rechtfertigen, den Bedarf zu decken, für den das Gesetz die Hilfe für junge Volljährige vorsieht: Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. In der Bezeichnung als „Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung” liegt zugleich die Benennung des Bedarfs, zu dessen Deckung die Hilfe bestimmt ist. Unter der „Leistung”, die § 89 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII als begonnen voraussetzt und deren Fortsetzung als Hilfe für junge Volljährige dazu führt, dass eine Kostenerstattungspflicht aufgrund dieser Vorschrift bestehen bleibt, sind folglich alle – je nach Bedarfslage auch austauschbaren – Hilfemaßnahmen zu verstehen, die auf die Deckung des für die Hilfe für junge Volljährige spezifischen Hilfebedarfs zielen. Hierzu kann sich jede der Leistungen aus dem in § 41 Abs. 2 SGB VIII aufgeführten Normenkatalog eignen, dessen nur „entsprechende” Anwendbarkeit darauf hinweist, dass solche Leistungen im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige nunmehr dieser Hilfeart rechtlich zugeordnet sind und deren Grundsätzen unterliegen.

b) Dagegen kann die Revision aus der an den tatsächlichen Aufenthalt anknüpfenden, von ihr unzutreffend als „allgemeine Kostenerstattungsregelung” betrachteten Bestimmung des § 89 SGB VIII, die eine Erstattungspflicht des überörtlichen Trägers begründet, nichts für sich herleiten. Diese Vorschrift setzt das Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthalts voraus. Die Hilfeempfängerin hat aber in der ihr vermieteten Wohnung nicht nur ihren tatsächlichen, sondern ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des vor dem 1. Januar 2002 anhängig gewordenen Verfahrens folgt aus § 188 Satz 2 VwGO a.F.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit

 

Fundstellen

BVerwGE 2003, 194

FamRZ 2003, 1099

FEVS 2003, 289

NDV-RD 2003, 50

ZfF 2004, 190

ZfJ 2003, 442

DVBl. 2003, 1010

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