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BVerwG Urteil vom 11.10.2006 - 10 C 4.06

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer. Steuerbefreiung für kulturelle Einrichtungen. Musical-Produktion. Bescheinigung einer Verwaltungsbehörde. Bindungswirkung für die Finanzbehörde. “Gleichartigkeitsprüfungen” der Kultus- und der Finanzbehörde. “Entscheidungsvorbehalt” zugunsten der Finanzbehörde. Rückwirkung der Bescheinigung. Grundsatz der Normenklarheit im Steuerrecht. Vertrauensschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Prüfung der Frage, ob es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes geboten sein kann, getätigte Umsätze etwa erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG als steuerfrei zu behandeln, obliegt dem Finanzamt und im Streitfall dem Finanzgericht (im Anschluss an BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. August 2006 – 1 BvR 1673/06). Dies gilt auch dann, wenn die Bescheinigung eine Aussage dazu enthält, seit wann von dem Unternehmen “die gleichen kulturellen Aufgaben” erfüllt worden sind.

  1. 2. Mit dem Einwand, er betreibe kein Unternehmen, das einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen gleichartig sei, kann der Steuerpflichtige nicht eine Entscheidung dieser Frage im Bescheinigungsverfahren oder im nachfolgenden Verwaltungsprozess erzwingen.
 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG ist auch ohne einen Antrag des Unternehmers zu erteilen. Die Bescheinigungsbehörde wird durch das Ersuchen des zuständigen Finanzamts in das Besteuerungsverfahren in der Weise eingebunden, dass ihr kein Handlungsermessen verbleibt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung vorliegen.

2. Die vom Bundesfinanzhof gebilligte Praxis der Finanzverwaltung versagt der von der Kultusverwaltung erteilten Bescheinigung im Besteuerungsverfahren eine Bindungswirkung, soweit darüber zu befinden ist, ob das Unternehmen eine Einrichtung betreibt, die einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen „gleichartig” ist. Diese „Gleichartigkeitsprüfung” ist schon nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG von der weiteren „Gleichartigkeitsprüfung” zu unterscheiden, die der Kultusverwaltung zugewiesen ist und sich auf die Frage beschränkt, ob das Unternehmen die „gleichen kulturellen Aufgaben … erfüllt” wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 20 Buchst. a, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 10.01.2006; Aktenzeichen 9 BV 05.1531)

VG München (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen M 17 K 03.7337)

 

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage dagegen, dass ihr für eine Musical-Produktion auf Antrag des Finanzamts München durch die Regierung von Oberbayern als zuständiger Kultusbehörde des Landes eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) darüber erteilt worden ist, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in dieser Vorschrift genannten Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft erfüllt, die von der Umsatzsteuer befreit sind. Die Umsatzsteuerbefreiung hindert die Klägerin, gegenüber dem Finanzamt einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG geltend zu machen. Gegen die Bescheinigung, die die Prüfung, ob ein Theater im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gegeben ist, dem Finanzamt vorbehält, legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein.

Die auf Aufhebung der Bescheinigung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht München zurückgewiesen. Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG könne entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nur vom Unternehmer, sondern auch vom Finanzamt beantragt werden. Dieser Antrag sei kein Antrag im Sinne des Artikels 22 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG), sondern eine verwaltungsinterne Mitwirkungshandlung zur Beteiligung einer Fachbehörde, die am Besteuerungsverfahren mitzuwirken habe und deren Mitwirkung in Form eines Verwaltungsakts ergehe. Die erteilte Bescheinigung sei auch materiell rechtmäßig. Insofern könne offen bleiben, ob eine Bescheinigung rechtswidrig wäre, wenn die von § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG geforderte Gleichartigkeit der Einrichtung weder vorliege noch verbindlich festgestellt sei. Zwar sei die Tatbestandsvoraussetzung “Gleichartigkeit mit den kulturellen Einrichtungen der Gebietskörperschaften” gegenüber der Tatbestandsvoraussetzung “Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgaben wie die kulturellen Einrichtungen der Gebietskörperschaften” vorgreiflich. Die hieraus resultierenden praktischen Schwierigkeiten dürften aber nicht dazu führen, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten des Unternehmers verkürzt würden. Das sei hier aber nicht der Fall. Unterstelle man nämlich, dass die Bescheinigung von der Klägerin auch mit der Begründung angefochten werden könne, ihre Musical-Produktion stelle keine “gleichartige Einrichtung” dar, dann führe dies nicht zum Erfolg der Klage, weil dieser Einwand der Klägerin in der Sache nicht durchdringe. Ebenso wenig könne die Klägerin aber mit Erfolg geltend machen, sie erfülle mit der Musical-Produktion nicht “gleiche kulturelle Aufgaben”.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Sie nehme zur Kenntnis, dass der Senat mit Urteil vom 4. Mai 2006 – BVerwG 10 C 10.05 – entschieden habe, dass das Finanzamt gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG berechtigt sei, hinsichtlich der Frage, ob ein Unternehmen die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen erfülle, ein Amtshilfeersuchen an die zuständige Kultusbehörde zu richten, weil anderenfalls der Vollzug der Besteuerung unzulässigerweise in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt sei. Nicht berücksichtigt habe der Senat, dass diese Auffassung im Zusammenwirken mit der vom Bundesfinanzhof (Urteil vom 24. September 1998 – V R 3/98 – BFHE 187, 334) angenommenen Rückwirkung einer Bescheinigung im Ergebnis dazu führe, dass der Gesetzesvollzug dann in das Belieben der Finanzverwaltung gestellt sei. Dies habe in ihrem Fall zur Folge, dass der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauensschutz missachtet werde. Aus diesem Grunde habe die angefochtene Bescheinigung nicht für Zeiträume ausgestellt werden dürfen, die vor dem Datum des Antrags des Finanzamts (12. November 2002) lägen. Die Bescheinigung besage aber ausdrücklich, die Klägerin habe mit ihrer Musical-Produktion “seit 2001 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt” wie staatliche oder kommunale Theater. Klärungsbedürftig sei weiterhin der von der Kultusverwaltung anzuwendende Prüfungsmaßstab. Es sei zu beanstanden, dass die Regierung von Oberbayern sich nicht mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt habe, keine Einrichtung im Sinne von § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG betrieben zu haben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Januar 2006 und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. Februar 2005 zu ändern und den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 8. April 2003 sowie den Widerspruchsbescheid vom 19. November 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt unter Hinweis auf den inzwischen ergangenen Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts vom 29. August 2006 – 1 BvR 1673/06 –, mit dem die gegen das Senatsurteil vom 4. Mai 2006 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist,

die Revision zurückzuweisen.

Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verweist ebenfalls auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. August 2006, aus dem sich ergebe, dass im Bescheinigungsverfahren nicht darüber entschieden werde, von welchem Zeitpunkt an die von der Klägerin getätigten Umsätze steuerfrei zu behandeln seien.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Soweit darin Aussagen enthalten sind, die nicht vereinbar mit Bundesrecht sein dürften, erweist sich das Berufungsurteil zumindest im Ergebnis als richtig.

1. Wie der Senat in seinem Urteil vom 4. Mai 2006 – BVerwG 10 C 10.05 – (UR 2006, 517 = HFR 2006, 926) im Einzelnen erläutert hat, ist die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG auch ohne einen Antrag des Unternehmers zu erteilen. Die Bescheinigungsbehörde wird durch das Ersuchen des zuständigen Finanzamts in der Weise in das Besteuerungsverfahren eingebunden, dass ihr kein Handlungsermessen verbleibt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung vorliegen. Dies stimmt mit der Auslegung überein, die diese Vorschrift durch das Berufungsurteil erfahren hat. Gegen diese Auslegung erhebt die Klägerin inzwischen keine Einwände mehr.

2. Der Einwand der Klägerin, ein rückwirkender Ausschluss des Vorsteuerabzugs habe für sie aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes nicht hinnehmbare Nachteile zur Folge, ist unbehelflich. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem – den Beteiligten bekannten – Kammerbeschluss vom 29. August 2006 – 1 BvR 1673/06 – ausgeführt hat, obliegt die Prüfung der Frage, ob es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes geboten sein kann, getätigte Umsätze etwa erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung als steuerfrei zu behandeln, dem Finanzamt und im Streitfall dem Finanzgericht. Dies gilt auch dann, wenn die Bescheinigung – wie hier – eine Aussage dazu enthält, seit wann von dem Unternehmen “die gleichen kulturellen Aufgaben” erfüllt worden sind.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht daraus, dass der Bundesfinanzhof (Urteil vom 24. September 1998 – V R 3/98 – BFHE 187, 334 ≪336 f.≫) seine frühere Rechtsprechung (Urteil vom 15. September 1994 – XI R 101/92 – BFHE 176, 146 ≪147 f. ≫) aufgegeben hat, wonach die Bescheinigung nicht auf Zeiträume vor ihrer Ausstellung zurückwirkt, weil anderenfalls dem Finanzamt faktisch ein Wahlrecht eingeräumt wird, das es ihm ermöglicht, nach seinem Ermessen einseitig auf die Besteuerung einzuwirken, was mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung unvereinbar wäre. Wenn danach für die Beurteilung der vom Unternehmer erbrachten Leistungen als steuerfrei der in der Bescheinigung angegebene Zeitraum heranzuziehen ist und auch ein sachlicher Billigkeitsgrund, der einer rückwirkenden Verweigerung des Vorsteuerabzugs entgegenstehen könnte, zu verneinen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 6. Dezember 1994 – V B 52/94 – BStBl. II 1995, 913), mag dies verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen. Diese resultieren daraus, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Normenklarheit es verlangen, dass “grundrechtsrelevante Vorschriften in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so klar formuliert sein müssen, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann” (so BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 1979 – 1 BvL 19/76 – BVerfGE 52, 1 ≪41≫). Im Steuerrecht ist diesem Erfordernis zwar genügt, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer mit hinreichender Genauigkeit trifft. Angesichts der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge lässt sich dabei die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht vermeiden. Dem Erfordernis der Normenklarheit ist dann trotzdem Rechnung getragen, wenn auftauchende Zweifelsfragen sich mit Hilfe anerkannter Auslegungsregeln beantworten lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 1988 – 1 BvR 243/86 – BVerfGE 79, 106 ≪120≫). Wird in das Besteuerungsverfahren aber eine Verwaltungsbehörde einbezogen, deren Bescheinigung für die Anwendbarkeit bzw. Nichtanwendbarkeit eines Steuertatbestandes ausschlaggebend ist, mag es Fallgestaltungen geben, in denen der Steuerpflichtige nicht von Anfang an mit den steuerlichen Belastungen zu rechnen braucht, weil deren Eintritt erst dann feststeht, wenn das Bescheinigungsverfahren und im Streitfall der sich anschließende Verwaltungsprozess abgeschlossen ist. Die Klärung der damit zusammenhängenden Fragen des einfachen wie auch des Verfassungsrechts gehört in das Besteuerungsverfahren. Im Finanzrechtsweg ist dementsprechend auch darüber zu entscheiden, ob die zitierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs unverändert fortgeführt werden kann.

3. Die angefochtene Bescheinigung kann von der Revision auch nicht erfolgreich mit der Begründung beanstandet werden, die Regierung von Oberbayern habe sich dort nicht mit dem Einwand auseinander gesetzt, die Klägerin habe mit ihrer Musical-Produktion keine Einrichtung im Sinne von § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG betrieben.

Die vom Bundesfinanzhof (Urteile vom 19. Mai 1993 – V R 110/88 – BFHE 172, 163 ≪169≫, vom 20. April 1988 – X R 20/82 – BFHE 153, 454 ≪458≫ und vom 3. Mai 1989 – V R 83/84 – BFHE 157, 458 ≪462 f.≫) gebilligte Praxis der Finanzverwaltung versagt der von der Kultusverwaltung erteilten Bescheinigung im Besteuerungsverfahren eine Bindungswirkung, soweit darüber zu befinden ist, ob das Unternehmen eine Einrichtung betreibt, die einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen – u.a. Theater und Orchester in öffentlicher Trägerschaft – “gleichartig” ist. Diese “Gleichartigkeitsprüfung” ist – wie der Bundesfinanzhof zutreffend betont – schon nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG von der weiteren “Gleichartigkeitsprüfung” zu unterscheiden, die der Kultusverwaltung zugewiesen ist und sich auf die Frage beschränkt, ob das Unternehmen die “gleichen kulturellen Aufgaben … erfüllt” wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen. Ob eine Einrichtung der Gebietskörperschaften die in Satz 1 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt, entscheiden die Finanzbehörden in eigener Zuständigkeit, ohne dass insoweit unter dem Gesichtspunkt der größeren Sachkunde ein Bedürfnis zur Einschaltung der Kultusbehörde besteht.

Anders als die Vorinstanz möglicherweise angenommen hat, ergibt sich Abweichendes auch nicht aus Formulierungen in dem von ihr zitierten Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. Februar 2000 – V R 23/99 – (BFHE 191, 88 ≪91, 93≫). Wenn dort von der Bindung der Steuerbefreiung an eine Bescheinigung der Kultusbehörde die Rede ist, “welche die Vergleichbarkeit mit … Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft feststellt”, und ferner davon, dass die Steuerbefreiung von der Vorschrift des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG nur unter der Voraussetzung gewährt werde, “dass es sich nach der Bestätigung der zuständigen Landesbehörde um eine gleichartige Einrichtung handelt”, ist dies lediglich als eine verkürzte Umschreibung der gesetzlichen Regelung zu werten. Dass der Bundesfinanzhof damit nicht seine frühere – zuvor zitierte – Rechtsprechung zur eingeschränkten Bindungswirkung der Bescheinigung in Frage stellt oder sogar aufgibt, ist nicht zweifelhaft. In seinem Urteil vom 24. Februar 2000 befasst sich der Bundesfinanzhof nämlich nicht mit dieser Einschränkung der Bindungswirkung, sondern ausschließlich mit Auslegungsfragen, die sich aus dem Begriff der “Einrichtung” etwa eines Theaters oder Orchesters in Abgrenzung von künstlerischen Darbietungen von Solisten ergeben (vgl. dazu inzwischen auch EuGH, Urteil vom 3. April 2003 – Rs. C-144/00 – juris Rn. 24 – 30; ferner BFH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – V R 13/95 – BFHE 179, 477 ≪480≫). Wie auch das Finanzgericht München in seinem – den Beteiligten bekannten – Beschluss vom 27. August 2004 – 14 V 2466/04 – (juris Rn. 38) in Kenntnis des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 24. Februar 2000 zutreffend angenommen hat, bleibt es somit dabei, dass der Steuerpflichtige mit dem Einwand, er betreibe kein Unternehmen, das einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen gleichartig sei, nicht eine Entscheidung dieser Frage im Bescheinigungsverfahren oder im nachfolgenden Verwaltungsprozess erzwingen kann; denn diese Entscheidung obliegt ausschließlich dem Finanzamt und im Streitfall dem Finanzgericht.

Dem hat die Regierung von Oberbayern in den angefochtenen Bescheiden dadurch Rechnung getragen, dass sie die Prüfung, ob die Klägerin mit der Produktion ihres Musicals eine Einrichtung betreibt, die im Sinne des Umsatzsteuerrechts einem Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft gleichartig ist, ausdrücklich dem laufenden Besteuerungsverfahren vorbehalten hat. Gegen diesen “Entscheidungsvorbehalt” zugunsten der Finanzbehörde ist auch unter dem Blickwinkel eines effektiven Rechtsschutzes – den das Berufungsurteil anspricht – nichts zu erinnern. Entgegen der Ansicht, die die Vorinstanz in Anlehnung an das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2005 – 13 LC 129/02 – vertritt, ist es nicht geboten, die der Finanzverwaltung obliegende “Gleichartigkeitsprüfung” als für das Bescheinigungsverfahren “vorgreiflich” einzustufen, um den Rechtsschutz des Steuerpflichtigen sicherzustellen. Zumindest in der Lesart, dass wegen der “Vorgreiflichkeit” im Bescheinigungsverfahren und im nachfolgenden Verwaltungsprozess eine Vollprüfung der Frage stattzufinden hat, ob der Steuerpflichtige ein Unternehmen betreibt, das einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen gleichartig ist, folgt der erkennende Senat der Vorinstanz nicht. In diesem Punkt beinhaltet auch das genannte Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2005 – wie der Senat durch sein Urteil vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 10 C 7.05 entschieden hat – Aussagen, die mit Bundesrecht nicht vereinbar sind.

Es besteht kein Bedürfnis dafür, im Bescheinigungsverfahren durch eine Vollprüfung die der Finanzverwaltung obliegende “Gleichartigkeitsprüfung” vorwegzunehmen. Dass im Bescheinigungsverfahren – wie das Berufungsurteil hervorhebt – im Einzelfall “praktische Schwierigkeiten” auftreten können, ist zwar nicht zu leugnen. Diese resultieren daraus, dass sich die beiden “Gleichartigkeitsprüfungen”, die getrennt im Bescheinigungs- und im Besteuerungsverfahren stattzufinden haben, inhaltlich teilweise überschneiden. Diese Schwierigkeiten sind aber überwindbar, ohne dass die Kultusverwaltung mit einer abschließenden Beurteilung auch sämtlicher Fragen belastet werden muss, die sich im Rahmen der den Finanzbehörden zugewiesenen “Gleichartigkeitsprüfung” zusätzlich ergeben können. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall. Hier war es dem Verwaltungsgericht – ohne erkennbare “praktische Schwierigkeiten” – möglich, aus dem Begriff des Theaters Kriterien zu entwickeln, die bezogen auf die klägerische Musical-Produktion überzeugend die Feststellung tragen, dass die Klägerin mit ihren Veranstaltungen die gleichen kulturellen Aufgaben wie ein Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft erfüllt. Auf die Fragen, mit denen die Klägerin es dennoch weiterhin in Zweifel zieht, eine “Einrichtung” zu betreiben, die einem Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft gleichartig ist (namentlich Fehlen einer selbst unterhaltenen Theatereinrichtung mit entsprechendem technischen Personal; Beschränkung des Spielprogramms auf ein Bühnenwerk; saisonale Spielzeiten), kommt es danach nicht an. Aus diesem Grunde nimmt der erkennende Senat zu diesbezüglichen Aussagen des Berufungsurteils nicht Stellung. Das Berufungsurteil hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung schon deswegen Stand, weil die Vorinstanz sich darin zusätzlich die entscheidungserheblichen Ausführungen des Urteils erster Instanz zu Eigen gemacht hat; die dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die auf diese Weise auch Inhalt des Berufungsurteils geworden sind, binden mangels einer von der Revision erhobenen Verfahrensrüge den Senat (§ 137 Abs. 2 VwGO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Hien, Vallendar, Prof. Dr. Rubel, Dr. Nolte, Domgörgen

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2007, 325

UR 2007, 304

ZKF 2007, 47

DVBl. 2007, 259

BFH/NV-Beilage 2007, 325

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