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BSG Urteil vom 27.01.1993 - 6 RKa 19/92

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Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.08.1991)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1991 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Wiederzulassung des Klägers zur kassenärztlichen Versorgung.

Der 1930 geborene Kläger, der von 1975 an als praktischer Arzt zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen war, wurde 1982 wegen fortgesetzten Betruges zum Nachteil der Krankenversicherungsträger vom Amtsgericht Köln zu einer Geldstrafe verurteilt. Die kassenärztliche Zulassung wurde ihm daraufhin entzogen (im August 1984 bindend gewordener Bescheid des Beklagten vom 16. Februar 1983).

Das Landgericht Köln verurteilte den Kläger durch rechtskräftiges Urteil vom 18. Juli 1988 wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen Betruges zum Nachteil des Sozialhilfeträgers (Überzahlungen an Sozialhilfe von 1982 bis 1987 in Höhe von ca 23.000,– DM) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5,– DM.

Die Zulassungsgremien lehnten den – erneuten – Antrag des Klägers auf Wiederzulassung ab (Bescheide des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 1988 und des Beklagten vom 12. April 1989). Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger sei wegen schwerwiegender, in seiner Person liegender Mängel für die Ausübung der Kassenpraxis nicht geeignet. Er habe gemeinsam mit seiner Ehefrau durch pflichtwidriges Verschweigen des Bezuges von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe das Sozialamt geschädigt und sei wegen fortgesetzten Betruges in der Zeit von Oktober 1982 bis Februar 1987 bestraft worden. Aufgrund dieser Umstände sei eine erneute Zusammenarbeit mit dem Kläger als Kassenarzt weder der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) noch den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung zumutbar.

Die Klage hiergegen ist abgewiesen worden (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Köln vom 24. Oktober 1990). Auf die Berufung des nicht mehr anwaltlich vertretenen Klägers, die er trotz Erinnerung nicht begründet hat, hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 7. August 1991 anberaumt und das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Er hat am Tage der Verhandlung vor deren Beginn durch seine Ehefrau telefonisch mitteilen lassen, daß er bettlägerig krank sei und somit zum Termin nicht erscheinen könne. Durch Urteil vom 7. August 1991 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im wesentlichen ausgeführt, es sei an einer Entscheidung durch das Nichterscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung nicht gehindert gewesen, weil er eine Vertagung nicht beantragt habe. In der Sache habe er keinen Anspruch auf Wiederzulassung.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger neben einer Verletzung materiellen Rechts geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. In der Mitteilung, er könne wegen einer Erkrankung an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen, sei sein Antrag auf deren Vertagung enthalten gewesen. In der mündlichen Verhandlung hätte er dem LSG einen Eindruck seiner Persönlichkeit verschaffen und ihm die Überzeugung vermitteln können, daß er sich im Laufe der Jahre geläutert habe, so daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm möglich sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1991 und des Sozialgerichts Köln vom 24. Oktober 1990 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. April 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihn, den Kläger, als Kassenarzt zuzulassen,

hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 4) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 5) und 6) haben keine Anträge gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.

Das LSG hat mit der Entscheidung der Sache im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. August 1991 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫, § 62 SGG) verletzt und damit verfahrensfehlerhaft entschieden.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör iS der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlaß der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 1 SGG), muß den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4, S 5 mwN). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, daß das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozeßbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann – und ggf muß – jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat hierzu entschieden, daß es auf einen Vertagungsantrag nicht mehr ankommt, wenn der Beteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, sich zu dem Termin begründet entschuldigt hat. Der Beteiligte darf dann darauf vertrauen, daß er noch Gelegenheit zur Äußerung erhält (BSGE 47, 35, 37 = SozR 1500 § 62 Nr 8). Eines ausdrücklichen Vertagungsantrages bedarf es dann nicht mehr.

Der Kläger hat sich durch die von seiner Ehefrau mehrere Stunden vor dem Verhandlungstermin durchgegebene telefonische Mitteilung, er sei bettlägerig erkrankt und könne zum Verhandlungstermin nicht erscheinen, genügend entschuldigt. Der Äußerung gegenüber der Geschäftsstelle des LSG können keine Hinweise darauf entnommen werden, daß der Kläger von einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung absehen wollte. Dagegen spricht auch, daß er eine Berufungsbegründung noch nicht abgegeben und bereits im erstinstanzlichen Verfahren wegen einer Erkankung eine Terminsverlegung beantragt hatte, danach zu der verschobenen mündlichen Verhandlung aber erschienen war.

Die Nichtvertagung des Termins stellt sich in diesem Fall als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und damit als wesentlicher Mangel des Verfahrens dar. Die angefochtene Entscheidung kann auf ihm auch beruhen. Es genügt insofern, daß die Möglichkeit einer anderen Entscheidung besteht, wenn das rechtliche Gehör nicht verletzt worden wäre.

Das Urteil des LSG war daher aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen, da eine Entscheidung in der Sache untunlich war (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das LSG wird in seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174313

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