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BSG Beschluss vom 14.02.1990 - 1 BA 95/88

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft

 

Orientierungssatz

In Fällen, in denen eine - positive oder negative - Entscheidung iS des § 15 BVFG ergangen ist, ist der Versicherungsträger an diese nach § 15 Abs 5 BVFG gebunden; er kann auch im Rahmen von § 28 Abs 1 Nr 6 AVG keine davon abweichende Feststellung über die Vertriebeneneigenschaft treffen. Ist die Vertriebenen- und Flüchtlingseigenschaft nach dem BVFG rechtsverbindlich verneint worden, können auch die Sozialgerichte keine davon abweichende Feststellung über die Vertriebeneneigenschaft treffen.

 

Normenkette

BVFG § 15 Abs 5; AVG § 28 Abs 1 Nr 6

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 04.03.1988; Aktenzeichen L 4 An 1802/87)

 

Gründe

Die allein auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.

Nach § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdebegründung dargelegt werden. Dazu verlangt das Bundessozialgericht (BSG) - bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in SozR 1500 § 160a Nr 48 -, daß die Begründung der Beschwerde bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt. Der Beschwerdeführer muß die zu entscheidende Rechtsfrage klar bezeichnen und ersichtlich machen, weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 17). Darüber hinaus muß dargetan werden, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Dazu sind Ausführungen erforderlich, inwieweit die Beantwortung der Frage zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht, soweit sie sich auf das anzuwendende einfache Recht bezieht.

Der 1930 in K.   geborene Kläger begehrt die Vormerkung der Zeit seiner Evakuierung aus der Stadt K.   vom 23. November 1944 bis 30. November 1947 als Ersatzzeit. Dies hatte die Beklagte bereits mit dem bindenden Bescheid vom 24. Juni 1985 abgelehnt und an dieser Ablehnung mit ihrem weiteren Bescheid vom 30. Oktober 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 1987 festgehalten. Klage und Berufung hiergegen hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Zehntes Buch - (SGB X) mit der Begründung verneint, der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) und werde daher auch nicht von § 28 Abs 1 Nr 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erfaßt. Mit Bescheid vom 27. August 1986 habe das nach § 16 BVFG zuständige Vertriebenenamt des Landratsamtes O.           den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Flüchtlingsausweises rechtsverbindlich abgelehnt und damit dessen Vertriebenen-und Flüchtlingseigenschaft nach dem BVFG - für die Sozialgerichte bindend (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 27) - verneint. Der Kläger gehöre auch nicht zu dem Personenkreis, der aufgrund der Ermächtigung des § 14 BVFG den Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen gleichgestellt sei; denn eine entsprechende Verordnung der Bundesregierung sei für die Evakuierten der Stadt K.   nicht erlassen worden. Die im Runderlaß vom 13. September 1946 erfolgte Anerkennung der K.     Evakuierten als Flüchtlinge stelle keine Gleichstellung iS des § 14 BVFG dar, denn der zwischenzeitlich außer Kraft getretene Erlaß sei bereits vor der Geltung des § 14 BVFG, der am 5. Juni 1953 in Kraft getreten sei, ergangen. Es verstoße schließlich - wie näher ausgeführt wird - auch nicht gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), daß die aus K.   Evakuierten nicht zu dem nach § 28 Abs 1 Nr 6 AVG begünstigten Personenkreis gehörten. Die grundsätzliche Bedeutung seiner Rechtssache stützt der Kläger vornehmlich auf den Runderlaß vom 13. September 1946, wonach die K.     Evakuierten als Flüchtlinge anerkannt worden seien. Er meint, das LSG habe verkannt, daß dieser Runderlaß die erforderliche Gleichstellung iS des § 14 BVFG darstelle und daß schon deshalb die aus K.   Evakuierten zu dem nach § 28 Abs 1 Nr 6 AVG begünstigten Personenkreis gehörten.

Mit diesen Ausführungen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im oben genannten Sinne nicht dargelegt. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger überhaupt eine Rechtsfrage klar bezeichnet hat, fehlt es auch an Darlegungen, warum ihrer Beantwortung über den Einzelfall hinausgehende und damit grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsfrage und damit eine von ihr geprägte Rechtssache ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie entweder bereits höchstrichterlich geklärt ist oder sich die Beantwortung der Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt. Die - sinngemäß - aufgeworfene Frage, inwieweit der Versicherungsträger bei Anwendung des § 28 Abs 1 Nr 6 AVG an eine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gebunden ist, ist bereits geklärt. Das BSG hat bereits entschieden, daß in Fällen, in denen eine - positive oder negative - Entscheidung iS des § 15 BVFG ergangen ist, der Versicherungsträger an diese nach § 15 Abs 5 BVFG gebunden ist; er kann auch im Rahmen von § 28 Abs 1 Nr 6 AVG keine davon abweichende Feststellung über die Vertriebeneneigenschaft treffen (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 28). Ist im Falle des Klägers - wie das LSG festgestellt hat - eine solche Entscheidung ergangen (Bescheid des Landratsamtes O.           vom 27. August 1986) und darin dessen Vertriebenen-und Flüchtlingseigenschaft nach dem BVFG rechtsverbindlich verneint worden, können auch die Sozialgerichte keine davon abweichende Feststellung über die Vertriebeneneigenschaft treffen. Der Kläger hätte deshalb, soweit er seine Vertriebenen- und Flüchtlingseigenschaft auf den früheren Runderlaß vom 13. September 1946 über die Anerkennung der K. Evakuierten als Flüchtlinge stützt, dartun müssen, ob und welche Fragen im Zusammenhang mit der Bindung an Entscheidungen nach § 15 Abs 5 BVFG in Anbetracht der Entscheidung des BSG gleichwohl umstritten geblieben und damit noch immer klärungsbedürftig sind. Insbesondere hätte aufgezeigt werden müssen, von welcher Seite und mit welchen Gründen Einwendungen gegen die vorgenannte Rechtsprechung erhoben worden sind (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17).

Soweit der Kläger geltend macht, er gehöre zu dem Personenkreis, der im Sinne der Ermächtigung des § 14 BVFG den Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen gleichgestellt sei, ergibt sich die Beantwortung dieser Frage unmittelbar aus dem Gesetz. Nach dieser Vorschrift, die am 5. Juni 1953 in Kraft getreten ist, ist die Bundesregierung ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates weitere Personengruppen, die von Vertreibungs- oder vertreibungsähnlichen Maßnahmen betroffen worden sind oder werden, den Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtlingen gleichzustellen sowie Voraussetzungen und Umfang der ihnen zu gewährenden Rechte und Vergünstigungen zu bestimmen. Eine entsprechende Verordnung der Bundesregierung ist für die Evakuierten der Stadt K.   bisher nicht erlassen worden. Der vom Kläger vorgelegte Runderlaß vom 13. September 1946 kann eine Gleichstellung iS des § 14 BVFG schon deshalb nicht bewirkt haben, weil er bereits vor der Geltung des § 14 BVFG erlassen und zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist. Die dort geregelte Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist mithin nicht in Ausführung der Ermächtigungsnorm des § 14 BVFG ergangen und kann demzufolge nicht die in dieser Bestimmung vorgesehenen formalen und materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Gleichstellung erfüllen. Daß inzwischen eine auf § 14 BVFG beruhende Gleichstellung erfolgt ist, hat der Kläger nicht behauptet und nicht behaupten können.

Soweit der Kläger seine Beschwerde auf eine Grundrechtsverletzung stützt und - sinngemäß - geltend macht, daß der Frage der Gleichbehandlung der aus K. Evakuierten mit den aus dem Saargebiet Verdrängten angesichts der weitgehenden Übereinstimmung der historischen Gegebenheiten grundsätzliche Bedeutung zukomme, ist die Beschwerde unbegründet. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) nicht verletzt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kommt dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu, insbesondere wenn es sich - wie bei § 28 AVG - um eine Regelung im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit handelt. Es unterliegt grundsätzlich der Entscheidung des Gesetzgebers, diejenigen Merkmale zu wählen, an denen er Gleichheit oder Ungleichheit der gesetzlichen Regelung orientiert; ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt erst dann vor, wenn der Gesetzgeber Übereinstimmungen der zu ordnenden Lebensverhältnisse nicht berücksichtigt, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BVerfGE 48, 346, 357; BSG SozR 2200 § 1251 Nr 84). Das gilt auch für die Bestimmung des Personenkreises, auf den eine gesetzliche Regelung Anwendung finden soll. Bei der Ersatzzeitenregelung des § 28 Abs 1 Nr 6 AVG hat der Gesetzgeber durch die Anknüpfung an §§ 1 bis 4 BVFG nach der Vertriebenen- bzw Flüchtlingseigenschaft differenziert und damit zugleich weitere Personengruppen wie die Evakuierten oder sonst aus ihrem Wohngebiet Verdrängten ausgenommen, die allenfalls in ähnlicher Weise von Vertreibungsmaßnahmen betroffen worden sind und daher lediglich ausnahmsweise auf dem Weg einer Gleichstellungsverordnung im Rahmen des § 14 BVFG von der Ersatzzeitenregelung erfaßt werden können. Hierzu hat das LSG ausgeführt, daß sich die Situation der aus dem Saargebiet verdrängten Deutschen, die aufgrund der Ermächtigung des § 14 BVFG durch die Verordnung der Bundesregierung vom 25. August 1953 (BGBl I S 1074) den Sowjetzonenflüchtlingen iS des § 3 BVFG gleichgestellt worden seien, wesentlich von der Lage unterscheide, in der sich die aus K. Evakuierten befunden hätten. Das ist nach den historisch-politischen Verhältnissen, wie sie auch in § 1 der genannten Verordnung zum Ausdruck gekommen sind, zutreffend. Eine Gleichstellung der früher im Saargebiet wohnenden Deutschen mit Flüchtlingen ist nur insoweit erfolgt, als sie ihren Wohnsitz "aufgrund politisch bedingter und von ihnen nicht zu vertretenden Maßnahmen der Besatzungsmacht oder der Saarbehörden aufgeben mußten oder aus den gleichen Gründen dorthin nicht zurückkehren konnten". Das betrifft nur solche Personen, die sich der zunächst beabsichtigten und Ende 1946 eingeleiteten endgültigen Loslösung des Saarlands vom übrigen Deutschland politisch widersetzt bzw sich für seine Zugehörigkeit zu Deutschland aktiv eingesetzt hatten und deshalb als Gegner der französischen Politik ausgewiesen worden sind oder aus sonstigen Gründen - zB wegen eingeleiteter Strafverfahren - in das Bundesgebiet fliehen mußten (vgl Strassmann/Nietsche, Komm zum BVFG, 2. Aufl, § 14 Anm 4). Wenn der Verordnungsgeber im Rahmen der nach § 14 BVFG ergangenen Gleichstellungsverordnung nur derart Betroffene den Flüchtlingen gleichgestellt hat, bedeutet es keine willkürliche Diskriminierung, wenn er die aus der Stadt K.   Evakuierten, bei denen solche Verhältnisse nicht vorlagen, nicht ebenfalls gleichgestellt hat. Daß der Kläger im November 1944 auf Anordnung der damaligen - deutschen - Regierung aus kriegsbedingten Gründen aus der Stadt K.   evakuiert worden ist und nach Übernahme der Stadt K.   durch die französische Besatzungsmacht bis Ende November 1947 gehindert war, dorthin zurückzukehren, begründet keine so bedeutsame Übereinstimmung der zu ordnenden Lebensverhältnisse, daß sie vom Gesetzgeber bzw Verordnungsgeber im Rahmen des § 14 BVFG und damit auch in § 28 Abs 1 Nr 6 AVG im Sinne des Klägers hätte beachtet werden müssen. Die dort getroffene Differenzierung ist nach § 3 Abs 1 GG nicht zu beanstanden, weil für sie vernünftige, am Tatbestand der Flucht bzw Vertreibung orientierte Gründe bestehen.

Nach allem war die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660854

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