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BGH Urteil vom 29.10.1996 - XI ZR 319/95

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Leitsatz (amtlich)

›1. Ein Darlehensvertrag ist ein Schein- und kein Strohmanngeschäft, wenn der als Darlehensnehmer Bezeichnete nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien nicht haften soll.

2. Unstreitige Indizien, die einen Schluß auf die Haupttatsache zulassen, machen eine Beweisaufnahme nicht entbehrlich, wenn die Haupttatsache substantiiert unter Beweisantritt bestritten ist.‹

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf

LG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem Garantieauftrag und aus einer abgetretenen Darlehensforderung auf Zahlung in Anspruch.

Am 14. April 1987 schloß die R. AG, Nebenintervenientin und Rechtsvorgängerin der Klägerin, mit dem Beklagten, einem Rechtsanwalt, einen Darlehensvertrag über 18.000.000 DM für die Dauer von drei Jahren. Etwa 15.000.000 DM wurden vereinbarungsgemäß an die G. Ltd. London überwiesen, für die A. den Darlehensvertrag mitunterzeichnet hatte. G. Ltd. benötigte die Darlehensvaluta zur Durchführung eines Anlageprogramms. Das Darlehen G. Ltd. unmittelbar zu gewähren, hätte die in der Schweiz ansässige Nebenintervenientin mit dem Schweizerischen Bankengesetz in Konflikt gebracht. Danach dürfen die Verpflichtungen eines Kunden gegenüber einer Bank höchstens 40% ihrer eigenen Mittel ausmachen.

Zur Besicherung des Darlehens übernahm die Klägerin im Auftrag der G. Ltd. vier befristete Garantien auf erstes Anfordern über insgesamt 18.000.000 DM. Nachdem die Darlehensgeberin den Beklagten kurz vor Ablauf der Garantien aufgefordert hatte, entweder das Darlehen zurückzuzahlen oder für eine Garantieverlängerung zu sorgen, schlossen die Klägerin als "Bürge", ihre Nebenintervenientin als "Begünstigte", der Beklagte als "Verbürgter" und die G. Ltd. als "Versicherungsnehmer" am 23. Juni 1988 eine sogenannte "Garantieversicherung", mit der die Garantien bis zum 31. Dezember 1988 verlängert wurden. Als das Darlehen, nachdem die "Garantieversicherung" zweimal ohne Beteiligung des Beklagten verlängert worden war, nicht zurückgezahlt wurde, nahm die Nebenintervenientin die Klägerin aus den Garantien in Höhe von 16.102.258,37 DM in Anspruch und trat nach Eingang des geforderten Betrages ihre Ansprüche aus dem Darlehensvertrag gegen den Beklagten in gleicher Höhe an sie ab.

Mit der Klage verlangt die Klägerin die Erstattung dieses Betrages zuzüglich Zinsen. Der Beklagte wendet vor allem ein, bei dem Darlehensvertrag sowie dem Garantieauftrag vom 23. Juni 1988 habe es sich um Scheingeschäfte gehandelt, Darlehensnehmerin und Garantieauftraggeberin habe nur die G. Ltd. sein sollen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat unter Anwendung des von den Parteien vereinbarten deutschen Rechts zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt:

Aus der "Garantieversicherung" stehe der Klägerin ein Aufwendungsersatzanspruch nicht zu, da der Beklagte der Verlängerung der Garantie über den 31. Dezember 1988 hinaus nicht zugestimmt habe. Ein Anspruch der Klägerin aus abgetretenem Recht scheitere daran, daß der Darlehensvertrag als Scheingeschäft nichtig sei. In dem Vertrag über das für G. Ltd. bestimmte Darlehen sei der Beklagte rein papiermäßig nur deshalb als Darlehensnehmer genannt worden, um Maßnahmen der Schweizerischen Bankenaufsicht zu vermeiden. Die Vertragsparteien seien darüber einig gewesen, daß nur G. Ltd., nicht aber der Beklagte, für die Rückzahlung des Darlehens einstehen solle. Das ergebe sich insbesondere aus der Überweisung der Darlehenssumme an G. Ltd., der in Nr. 6 des Darlehensvertrages niedergelegten Verpflichtung zur Besicherung des Kredits nur durch sie, der Absicherung des Beklagten durch eine Verpfändungs- und Abtretungserklärung von G. Ltd. gemäß Nr. 9.2 sowie aus dem Recht zur Fälligstellung des Darlehens nach Nr. 8.1 auch im Falle eines Konkurses von G. Ltd. Hinzu komme, daß allen Beteiligten klar gewesen sei, daß der Beklagte das Darlehen aus eigenem Einkommen oder Vermögen nie werde zurückzahlen können. Daß die Darlehensgeberin nach Abschluß des Darlehensvertrages erklärt habe, es handele sich nicht um ein Scheingeschäft, sei unerheblich. Es komme für die Beurteilung nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, nicht aber auf spätere Erklärungen.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, der Klägerin stehe nach Inanspruchnahme aus der Garantie im Mai 1990 ein Aufwendungsersatzanspruch nicht zu. Der Beklagte hat der Verlängerung der "Garantieversicherung" über den 31. Dezember 1988 hinaus weder selbst noch durch einen Vertreter zugestimmt. Konkrete Einwendungen gegen diese Beurteilung werden von der Revision nicht erhoben. Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht ersichtlich.

2. Dagegen hält die Auffassung des Berufungsgerichts, auch ein Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin bestehe nicht, weil der zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und dem Beklagten geschlossene Darlehensvertrag als Scheingeschäft nichtig sei (§ 117 Abs. 1 BGB), den Angriffen der Revision nicht stand.

a) Ein nichtiges Scheingeschäft und kein wirksames Strohmanngeschäft liegt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, bei einem Darlehensvertrag vor, wenn der im Vertrag als Darlehensnehmer Bezeichnete nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien tatsächlich nicht haften soll (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1981 - III ZR 149/80, WM 1981, 1332, 1333; s. auch Senatsurteil vom 6. Juli 1993 - XI ZR 201/92, WM 1993, 1504 f.). Ob die Vertragschließenden einen solchen Willen hatten, ist eine Frage, die der Tatrichter unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Falles zu entscheiden hat. An einer solchen Berücksichtigung fehlt es hier.

b) Für die Beurteilung der Frage, ob der Beklagte zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet ist und dafür einzustehen hat oder ob ein Scheingeschäft vorliegt, kommt es in erster Linie auf die vor oder bei Abschluß des Vertrages abgegebenen Erklärungen an. Der beweisbelastete Beklagte hat dazu unter Benennung mehrerer Zeugen behauptet, ihm sei bei Abschluß sowohl des Darlehensvertrages als auch der "Garantieversicherung" von der Darlehensgeberin erklärt worden: Er solle lediglich pro forma als Darlehensnehmer auftreten. Ein Risiko treffe ihn nicht. Seine wie auch immer geartete Inanspruchnahme aus dem Darlehen werde nicht erfolgen. Die Klägerin hat eine solche Erklärung substantiiert bestritten. Für ihre Behauptung, dem Beklagten gegenüber sei eine solche Erklärung nicht erfolgt, vielmehr habe ihre Rechtsvorgängerin von Anfang an auf seiner persönlichen Haftung bestanden, hat sie im nachgelassenen Schriftsatz vom 8. März 1995 durch Benennung des Zeugen B. Gegenbeweis angetreten. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht diesem Beweisantrag, für dessen Verspätung nichts festgestellt ist, nicht nachgegangen ist.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, auf den Beweisantrag der Klägerin komme es mit Rücksicht auf Indizien, die für ein Scheingeschäft sprächen, nicht an, trifft nicht zu. Unstreitige Indizien, die einen Schluß auf die Haupttatsache zulassen, können eine Beweisaufnahme über die Haupttatsache selbst zwar entbehrlich machen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Gegner die Haupttatsache, hier den Abschluß des Darlehensvertrages mit dem Beklagten nur zum Schein, substantiiert bestritten und Gegenbeweis angetreten hat. Ohne Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen B. und Würdigung seiner Aussage läßt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Darlehensvertrag ein Scheingeschäft ist.

c) Die Feststellung des Berufungsgerichts, bereits aufgrund unstreitiger Indizien sei von einem Scheingeschäft auszugehen, beruht überdies auf mehreren Verfahrens- und Auslegungsfehlern.

aa) Das Berufungsgericht hat Verhalten und Erklärungen des Beklagten sowie der Darlehensgeberin nach Abschluß des Darlehensvertrages als unerheblich unberücksichtigt gelassen, da es auf Umstände nach Vertragsschluß nicht ankomme. Dies widerspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach kann nachträgliches Verhalten für die Ermittlung des tatsächlichen Vertragswillens der Beteiligten durchaus Bedeutung haben (Senatsurteile vom 6. Juli 1993 - XI ZR 201/92, WM 1993, 1504, 1505 und vom 12. Dezember 1995 - XI ZR 15/95, WM 1996, 249, 250).

Infolge seiner unrichtigen Rechtsansicht hat das Berufungsgericht den Schriftwechsel zwischen der Klägerin, ihrer Rechtsvorgängerin und dem Beklagten zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Das gilt insbesondere für das Einschreiben der Darlehensgeberin an den Beklagten vom 13. Juni 1988 und dessen Reaktion. In diesem Schreiben hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin den Beklagten aufgefordert, das Darlehen über 18.000.000 DM binnen sechs Tagen zurückzuzahlen oder aber für eine Verlängerung der Garantien zu sorgen. Anstatt, was insbesondere für einen Rechtsanwalt nahegelegen hätte, dem Schreiben sofort zu widersprechen und darauf hinzuweisen, daß der Darlehensvertrag mit ihm nur zum Schein geschlossen worden sei, hat er die Rechtsvorgängerin unter dem 16. Juni 1988 auf die Inanspruchnahme der Garantien verwiesen. Das Schreiben bringt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht zum Ausdruck, daß er die Rückzahlung des Darlehens nicht schulde. Am 23. Juni 1988 ist der Beklagte dann nach Zürich gereist und hat die "Garantieversicherung" mitunterzeichnet. In deren Nr. 4 hat er anerkannt, der Klägerin für alle Aufwendungen aus der Garantie regreßpflichtig zu sein. Wenn der Beklagte aus dem Darlehensvertrag nicht haftete (§ 117 Abs. 1 BGB), ist diese Reaktion nicht recht verständlich. Das hätte das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, bei seiner Würdigung berücksichtigen müssen, zumal es in anderem Zusammenhang davon ausgegangen ist, die Garantieversicherung sei kein Scheingeschäft.

bb) Fehlerhaft behandelt hat das Berufungsgericht, auch das rügt die Revision zu Recht, weiter Nr. 9. 2 lit. b) des Darlehensvertrages. Danach hatte die G. Ltd. eine generelle Verpfändungs- und Abtretungserklärung zugunsten des Beklagten abzugeben. Eine Besicherung von Rückgriffsansprüchen

des Beklagten gegen G. Ltd. macht Sinn, wenn nicht nur G. Ltd., sondern auch er der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Rückzahlung des Darlehens schuldete. Dagegen ist ein Sinn der Absicherung des Beklagten nicht ohne weiteres erkennbar, wenn, wie das Berufungsgericht angenommen hat, nach dem Willen aller Beteiligten nur G. Ltd., nicht aber der Beklagte zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sein sollte. Dann lagen Regreßansprüche des Beklagten gegen G. Ltd. fern. Dies hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt.

cc) Auch die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte wäre niemals in der Lage gewesen, den Darlehensbetrag aus eigenem Einkommen oder Vermögen zurückzuzahlen, beruht auf einem Verfahrensverstoß. Die Revision rügt zu Recht, daß insoweit ausreichender Vortrag des darlegungsbelasteten Beklagten fehlt. Sein Vorbringen, angesichts seiner Berufstätigkeit als Rechtsanwalt seien alle Beteiligten davon ausgegangen, daß er den Darlehensanspruch über 18.000.000 DM in absehbarer Zeit nicht erfüllen könne, ist unter Berücksichtigung des vom Berufungsgericht übergangenen Vortrags der Klägerin unsubstantiiert. Danach hat sich der Beklagte in zweistelliger Millionenhöhe an konkret bezeichneten Anlageprogrammen beteiligt.

dd) Verfahrensfehlerhaft ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, der Beklagte habe mit dem Abschluß des Darlehensvertrages (auch) im Auftrag und im Interesse der Rechtsvorgängerin der Klägerin gehandelt. Die Klägerin hat, wie die Revision zu Recht rügt, mit Schriftsatz vom 31. Januar 1995 unwiderlegt vorgetragen, der Geschäftspartner A. des Beklagten habe diesen gebeten, das in Rede stehende Darlehen für die G. Ltd. aufzunehmen. Für die Richtigkeit dieser Darstellung sprechen der Schriftsatz des Beklagten vom 14. Mai 1993 und sein vorprozessuales Schreiben vom 25. Februar 1991, den Kontakt zwischen ihm und der Darlehensgeberin habe A. in eigener Initiative in Vertretung von G. Ltd. hergestellt.

ee) Zu Recht beanstandet die Revision schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, nach dem Darlehensvertrag sei die Besicherung des Darlehens "allein" Sache von G. Ltd. gewesen. Diese Auslegung läßt unter Verstoß gegen anerkannte Grundsätze den Wortlaut des schriftlichen Darlehensvertrages außer acht. Dessen Nr. 6 (letzter Satz) bestimmt, daß der Beklagte sowie die G. Ltd. jederzeit die bankkonforme Deckung des Darlehens aufrecht zu erhalten haben. Nach Nr. 9.1 lit. c war die Auszahlung des Darlehens von der Beibringung einer Garantieerklärung der Klägerin durch den Beklagten abhängig. Daß der Wortlaut des Vertrages den übereinstimmenden Willen der Parteien auch insoweit nicht richtig wiedergibt, läßt sich ohne Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen zu der Behauptung, der Vertrag zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und dem Beklagten sei nur zum Schein geschlossen worden, nicht feststellen.

III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993441

BB 1997, 910

DB 1997, 325

NJW 1997, 861

LM § 117 BGB Nr. 17

DRsp I(111)231a

DRsp IV(413)240Nr. 10c

NJW-RR 1997, 238

WM 1996, 2272

ZIP 1996, 2159

MDR 1997, 331

ZBB 1997, 70

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