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BGH Urteil vom 13.05.1985 - II ZR 170/84 (veröffentlicht am 13.05.1985)

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Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einzelklagebefugnis des Gesellschafters (actio pro socio) eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann.

 

Normenkette

HGB §§ 109, 119, 105, 161

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal

OLG Düsseldorf

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 1984 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Klägers festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, der D. K.-O. Vertriebs-Gesellschaft Gerhard H. KG den Schaden zu ersetzen, den diese dadurch erlitten hat, daß der Beklagte nicht seine ganze Arbeitskraft der Kommanditgesellschaft gewidmet hat, abgewiesen worden ist.

Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Kommanditist, der Beklagte geschäftsführender persönlich haftender Gesellschafter der D. K.-O. Vertriebs-Gesellschaft Gerhard H. KG. Mit der Gesellschafterklage (actio pro socio) macht der Kläger gegen den Beklagten wegen schuldhafter Verletzung der im Gesellschaftsvertrag festgelegten Pflichten verschiedene Ansprüche geltend. Im Revisionsverfahren interessiert nur noch der Antrag festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Gesellschaft den Schaden zu ersetzen, den sie dadurch erlitten hat, daß der Beklagte nicht seine ganze Arbeitskraft der Gesellschaft gewidmet hat.

Das Landgericht hat diesem Antrag aufgrund der Klausel Nr. VI Satz 1 des Gesellschaftsvertrages entsprochen, die bestimmt:

„Der persönlich haftende Gesellschafter hat seine ganze Arbeitskraft der Gesellschaft zu widmen”.

Im Hinblick auf diese Entscheidung des Landgerichts hat die Gesellschafterversammlung am 25. November 1983 gegen die Stimmen des Klägers und seiner Tochter Dagmar Gisela P. beschlossen,

  1. die von dem Kläger beanstandete Tätigkeit des Beklagten in anderen Unternehmen für die Zeit ab 1. Dezember 1958 und für die Zukunft ausdrücklich zu genehmigen und
  2. „alle aus einer etwaigen Verletzung des Gesellschaftsvertrages Ziffer VI Satz 1 beinhalteten Ansprüche der Gesellschaft gegen den Komplementär” zu erlassen.

Das Berufungsgericht hat diesen Beschluß als wirksam erachtet und deshalb den Feststellungsantrag abgewiesen. Mit der insoweit angenommenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 25. November 1983 unwirksam, soweit er den hier in Frage stehenden Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Beklagten betrifft.

1. Das Berufungsgericht hält den Gesellschafterbeschluß für rechtswirksam, weil weder das Gesetz noch der Gesellschaftsvertrag für Beschlußfassungen der vorliegenden Art eine qualifizierte Mehrheit fordere, der Gesellschaftsvertrag vielmehr ausdrücklich bestimme, daß für Gesellschafterbeschlüsse die einfache Mehrheit ausreiche, soweit der Vertrag keine Sonderregelung treffe. Für den Fall des Verzichts auf Schadensersatzansprüche gegen den persönlich haftenden Gesellschafter sei dies nicht geschehen. Das Berufungsgericht verkennt damit wesentliche Grundsätze des Personengesellschaftsrechts.

Die Klage geht auf Ersatz des Schadens, der der Gesellschaft dadurch entstanden ist, daß der Beklagte seine im Gesellschaftsvertrag festgelegten Geschäftsführungspflichten nicht erfüllt hat. Die Vorwürfe des Klägers gehen dahin, der Beklagte habe mehrere Gesellschaften in verschiedenen Gewerbezweigen gegründet und durch deren Betrieb Nebentätigkeiten unter Verstoß gegen die gesellschaftsvertraglich übernommene Verpflichtung ausgeübt, seine ganze Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen; der Umsatz und der Ertrag der Gesellschaft sei deshalb seit 1973 in erheblichem Umfange zurückgegangen. Es handelt sich somit um einen der Gesellschaft zustehenden Sozialanspruch, der nach gefestigter Rechtsprechung von jedem einzelnen Gesellschafter im eigenen Namen zugunsten der Gesellschaft geltend gemacht werden kann (actio pro socio). Der Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 25. November 1983 sollte demgemäß – gleichgültig wie man die actio pro socio rechtstheoretisch begründet (vgl. hierzu Wiedemann, Gesellschaftsrecht I 1980, S. 458 f. m.w.N.) nicht nur die gesellschaftsvertragliche Regelung, wonach der persönlich haftende Gesellschafter seine ganze Arbeitskraft der Gesellschaft zu widmen hat, außer Kraft setzen, sondern den Gesellschaftern der H. KG auch das ihnen zustehende Recht nehmen, den aus der Verletzung des Gesellschaftsvertrages folgenden Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Für den Erlaß eines solchen Beschlusses fehlt aber die Rechtsgrundlage.

a) Die Gesellschaft ist zwar dadurch, daß auch der einzelne Gesellschafter selbst die Erfüllung des ihr zustehenden Anspruchs verlangen kann, nicht gehindert, über diesen Anspruch zu verfügen, insbesondere auch auf ihn zu verzichten oder ihn inhaltlich zu verändern. Da mit einem Verzicht auf einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Geschäftsführungspflichten – wie er hier in Frage steht – aber gleichzeitig in gesellschaftsvertragliche Rechte der einzelnen Gesellschafter eingegriffen wird, liegt insoweit entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kein Akt der Geschäftsführung vor (auch nicht im Sinne einer ungewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahme). Das bedeutet, daß die Gesellschafter auch nicht mit der für (ungewöhnliche) Geschäftsführungsmaßnahmen ausreichenden Mehrheit auf einen solchen Anspruch verzichten können und demgemäß hier nicht die Regeln des Gesellschaftsvertrages zum Zuge kommen, wonach Gesellschafterbeschlüsse, die Geschäftsführungsmaßnahmen zum Gegenstand haben, mit einfacher Mehrheit gefaßt werden können.

b) Der Gesellschaftsvertrag hat auch im übrigen das gesetzlich vorgesehene Einstimmigkeitsprinzip (§ 119 HGB) nicht dahin abgeändert, daß für den hier in Frage stehenden Beschlußgegenstand an die Stelle der Zustimmung aller stimmenberechtigten Gesellschafter ein Mehrheitsbeschluß treten kann. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gesellschaftsvertrag der Gesellschaftermehrheit überhaupt die Befugnis einräumen kann, auf Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der gesellschaftsvertraglich festgelegten Pflichten mit der Folge zu verzichten, daß die Klagebefugnis des einzelnen Gesellschafters entfällt (zum Aktienrecht vgl. hierzu § 93 Abs. 4 AktG); die actio pro socio – soweit sie in ihrem Kern beeinträchtigt wird – würde insbesondere dann nicht zur Disposition der Gesellschafter stehen, wenn ihr die Bedeutung eines unentziehbaren und unverzichtbaren Minderheiten- und Kontrollrechts zukäme.

Dem Berufungsgericht kann insbesondere nicht in der Auffassung gefolgt werden, die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses ergebe sich aus der Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, wonach die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit gefaßt werden können, soweit der Gesellschaftsvertrag keine Sonderbestimmung enthält und daraus, daß eine solche Sonderregelung für den hier in Frage stehenden Fall nicht getroffen worden sei. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind gesellschaftsvertragliche Klauseln, die allgemein festlegen, daß für Gesellschafterbeschlüsse einfache Mehrheiten genügen, nur auf Geschäftsführungsbeschlüsse und auf Beschlüsse über laufende Angelegenheiten zu beziehen. Kann die Klausel dahin ausgelegt werden, daß auch über Änderungen des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß entschieden werden soll, so ist sie grundsätzlich nicht auf solche Vertragsänderungen zu beziehen, deren Vornahme durch Mehrheitsbeschluß ungewöhnlich ist. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Rechte und Pflichten der Gesellschafter wesentlich betroffen werden. Dem liegt der auch aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen folgende Gedanke zugrunde, daß nicht angenommen werden kann, der einzelne Gesellschafter wolle sich mit der Zustimmung zu einer Klausel, die generell Mehrheitsbeschlüsse zuläßt, uneingeschränkt dem Willen der Mehrheit unterwerfen. Soll in solchen Angelegenheiten das Mehrheitsprinzip gelten, so muß ein entsprechender Parteiwille eindeutig feststellbar sein.

Da hier ein derartiger außergewöhnlicher und weittragender Eingriff in die Rechtsstellung des einzelnen Gesellschafters in Frage steht, hätte es einer in diesem Sinne eindeutigen gesellschaftsvertraglichen Bestimmung bedurft, wenn der Verzicht auf einen Sozialanspruch der Gesellschaft und die damit verbundene Beseitigung der Einzelklagebefugnis durch Mehrheitsbeschluß hätte zulässig sein sollen. Das ist jedoch nicht der Fall und wird von dem Beklagten und dem Berufungsgericht nicht aufgezeigt. Die Parteien und das Berufungsgericht gehen vielmehr – zutreffend – davon aus, daß der Gesellschaftsvertrag, insbesondere der darin enthaltene Katalog von Gegenständen, für die die einfache Mehrheit der Gesellschafterversammlung genügen sollte, keine Bestimmung enthält, aus der entnommen werden könnte, daß darunter auch der Gegenstand des Beschlusses vom 25. November 1983 fallen sollte.

2. Aus alledem folgt, daß der Gesellschafterbeschluß vom 25. November 1983 nicht mit einfacher Mehrheit ergehen durfte und mit Rücksicht auf die Gegenstimmen des Klägers und seiner Tochter als unwirksam anzusehen ist. Dem Vortrag des Beklagten kann auch nichts dafür entnommen werden, daß der Kläger durch die Klageerhebung überwiegende Interessen der Gesellschaft verletzt und damit gegen die auch hier bestehende gesellschaftliche Treuepflicht verstößt (vgl. hierzu BGHZ 25, 47, 50).

3. Danach kann das angefochtene Urteil mit der bisherigen Begründung nicht bestehen bleiben. Die vom Berufungsgericht ausdrücklich offengelassene Frage, ob der Gesellschaft ein Schaden aus einer schuldhaften Verletzung des Gesellschaftsvertrages durch den Beklagten entstanden ist, bedarf der Entscheidung. Da hierzu weitere tatsächliche Feststellungen geboten sind, ist das Berufungsurteil, soweit der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung abgewiesen worden ist, aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Kellermann, Dr. Seidl, Richter am Bundesgerichtshof Brandes kann krankheitshalber nicht unterschreiben. Stimpel

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 13.05.1985 durch Spengler, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 682232

NJW 1985, 2830

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1985, 1137

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