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BGH Urteil vom 09.06.1999 - VIII ZR 336/98 (veröffentlicht am 09.06.1999)

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Leitsatz (amtlich)

Zur Schadensersatzpflicht des Lagerhalters, der gepfändete und anschließend vom Gläubiger eingelagerte Sachen ohne Rücksprache mit diesem herausgibt.

Normenkette

HGB § 417 a.F.; BGB § 276

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Aktenzeichen 7 U 1702/97)

LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 564/95)

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin betrieb aus einem Räumungs- und Zahlungstitel gegen ihre – damalige – Mieterin A. die Zwangsvollstreckung. Dabei pfändete der Gerichtsvollzieher laut Protokoll vom 17. März 1994 für die Klägerin fünf wertvolle Teppiche, die er mit dem Vermerk: „Gepfändete Sachen/Vermieterpfandrecht” bezeichnete und bei der Beklagten einlagerte. Anschließend schlossen die Parteien unmittelbar einen Lagervertrag ab.

Nachdem die Mieterin den titulierten Zahlungsanspruch, aufgrund dessen die Pfändung erfolgt war, erfüllt hatte, gab die Beklagte am 27. Juli 1994 die Teppiche ohne Rücksprache mit der Klägerin an die Mieterin heraus.

Die Klägerin nimmt die Beklagte mit der Begründung auf Schadensersatz in Anspruch, durch die unberechtigte Herausgabe der eingelagerten Teppiche sei ihr die Möglichkeit genommen worden, bestehende Restforderungen gegen die Mieterin von über 30.000 DM durch einen freihändigen Verkauf der Teppiche durchzusetzen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 16.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung von Mietzinsansprüchen der Klägerin gegen die Mieterin A. in gleicher Höhe zu erfolgen habe.

Mit ihrer – zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt: Das Vermieterpfandrecht der Klägerin an den Teppichen sei nicht durch die anläßlich der Räumungsvollstreckung erfolgte Pfändung und Einlagerung bei der Beklagten durch den Gerichtsvollzieher erloschen. Die Beklagte habe daher wegen des fortbestehenden Vermieterpfandrechts der Klägerin die Teppiche nicht an die Mieterin herausgeben dürfen, nachdem diese die der Pfändung zugrundeliegende titulierte Forderung bezahlt habe. Die Herausgabe stelle eine Pflichtverletzung des Lagervertrages dar, die die Beklagte zu vertreten habe. Die Beklagte sei somit verpflichtet, der Klägerin den hieraus entstandenen Schaden zu ersetzen.

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren zunächst bestritten habe, daß noch Forderungen der Klägerin gegen die Mieterin A. aus dem Mietverhältnis in Höhe von über 30.000 DM bestünden, habe sie nach Vorlage der Titel dieses Vorbringen nicht aufrechterhalten.

Der Höhe nach habe das Landgericht den Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zutreffend auf 16.000 DM geschätzt.

II. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Beklagte aufgrund des mit der Klägerin geschlossenen Lagervertrages für eine ordnungsgemäße Unterbringung und sachgerechte Aufbewahrung der eingelagerten Teppiche zu sorgen hatte; dazu gehörte auch die Verpflichtung, Anweisungen oder Wünsche nicht legitimierter Dritter hinsichtlich des Lagergutes abzulehnen und gegenüber dem Herausgabeverlangen eines Dritten dessen behauptete Sachbefugnis zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1984 - I ZR 47/82, WM 1984, 1060 unter II 2 a m.w.Nachw.). Diese Verpflichtung hat die Beklagte verletzt, als sie der Mieterin A. auf deren Verlangen die eingelagerten Teppiche am 27. Juli 1994 ohne Rücksprache mit der Klägerin herausgab.

2. Dabei bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob, wie die Beklagte geltend gemacht hat, das Vermieterpfandrecht an den Pfandgegenständen durch deren Entfernung durch den Gerichtsvollzieher nach § 560 Satz 1 BGB erloschen ist und ob der Vermieter stattdessen nach § 805 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung am Erlös erhält (so die überwiegende Meinung, vgl. Staudinger/Emmerich (1995) § 560, BGB, Rdnr. 12 f; Palandt/Putzo, BGB, 58. Aufl., § 560 Rdnr. 4; MünchKomm-Voelskow, BGB, 3. Aufl., § 560 Rdnr. 6; offengelassen in BGHZ 27, 227, 231; siehe auch BGH, Urteil vom 20. März 1986 - IX ZR 42/85, NJW 1986, 2426 unter 2 a; a.A. OLG Frankfurt/Main MDR 1975, 228; Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 7. Aufl., Rdnr. 756), so daß die Beklagte ein fortbestehendes Vermieterpfandrecht der Klägerin nicht verletzt hätte. Da, wie das Berufungsgericht als zwischen den Parteien unstreitig festgestellt hat, noch Forderungen der Klägerin gegen die Mieterin A. aus dem Mietverhältnis in Höhe von mehr als 30.000 DM bestehen, stand der Klägerin wegen dieser Ansprüche ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB an den von ihr bei der Beklagten eingelagerten Teppichen zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet ein solches Zurückbehaltungsrecht ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 BGB (BGHZ 64, 122, 125; Senatsurteil vom 25. September 1985 - VIII ZR 270/84, WM 1985, 1421 unter II 2; BGH, Urteil vom 14. Juli 1995 - V ZR 45/94, NJW 1995, 2627 unter II 6 m.w.Nachw.). Mit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts hätte die Klägerin Zwang auf die Mieterin A. zur Erfüllung der weiterhin bestehenden Verbindlichkeiten ausüben können. Wenn die Beklagte ohne Rücksprache mit der Klägerin die eingelagerten Teppiche an die Mieterin herausgab, hat sie die Möglichkeit der Klägerin, an den Teppichen ein Zurückbehaltungsrecht auszuüben, vereitelt. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die Teppiche nicht eigenmächtig hätte herausgeben dürfen, und daß sie der Klägerin bei Bestehen weiterer Mietzinsforderungen einen Schaden zugefügt hat, erhebt die Revision auch keine Einwände.

3. Soweit die Revision sich gegen die Höhe der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Mietforderungen der Klägerin wendet, kann sie damit nicht durchdringen. Nach dem im unstreitigen Teil des Tatbestandes wiedergegebenen Sachverhalt stehen der Klägerin gegen ihre Mieterin aus dem Mietverhältnis noch Ansprüche von mehr als 30.000 DM zu, die überwiegend tituliert sind. In den Entscheidungsgründen ist ergänzend ausgeführt, die Beklagte habe ihr früheres Vorbringen, mit welchem sie das Bestehen der behaupteten Forderungen der Klägerin gegen die Mieterin bestritten habe, nach Vorlage der Titel nicht mehr aufrechterhalten. Diese tatbestandlichen Feststellungen, die auch in den Entscheidungsgründen getroffen werden konnten (st.Rspr., vgl. BGH, Beschluß vom 26. März 1997 - IV ZR 275/96, BGHR ZPO § 314 Feststellungen 2 m.w.Nachw.), sind, nachdem ein Antrag auf Berichtigung nach § 320 ZPO nicht gestellt worden ist, für das weitere Verfahren bindend (§§ 314, 561 ZPO). Entgegen der Ansicht der Revision liegt auch eine Widersprüchlichkeit innerhalb der Feststellungen des Berufungsurteils nicht vor (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 1988 - V ZR 73/87, und vom 9. März 1995 - III ZR 44/94, BGHR ZPO § 314 Widersprüchlichkeit 3 und 4; siehe auch Senatsurteil vom 13. Juli 1994 - VIII ZR 256/93, NJW-RR 1994, 1340 unter II 1 m.w.Nachw.). Die Beklagte hat vielmehr, nachdem die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung vom 29. April 1998 die ihr gegen die Mieterin zustehenden noch offenen Forderungen im einzelnen dargelegt und insoweit Titel – auch unter Berücksichtigung der Zahlungen der Mieterin – über mehr als 30.000 DM vorgelegt hatte, die Forderungen der Klägerin nur noch „soweit nicht zwischenzeitlich belegt, weiterhin bestritten”. Dann aber gibt das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten in den Entscheidungsgründen in Übereinstimmung mit dem unstreitigen Teil des Berufungsurteils zutreffend wieder, wenn das Bestehen von Forderungen der Klägerin gegen die Mieterin in Höhe von noch über 30.000 DM als nicht mehr streitig bezeichnet wird.

4. Auch soweit die Revision beanstandet, der der Klägerin durch die Herausgabe der Teppiche entstandene Schaden hätte nicht auf 16.000 DM geschätzt werden dürfen, da von dem im Pfändungsprotokoll angesetzten und vom Sachverständigen E. bestätigten Schätzwert von 32.000 DM brutto statt eines Abschlages von 50 % ein solcher von 60 % hätte gemacht werden müssen, kann sie damit nicht gehört werden. Nachdem das Landgericht aufgrund des Ergebnisses der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme den bei einer öffentlichen Versteigerung oder einem freihändigen Verkauf vorzunehmenden Abschlag gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 50 % geschätzt hatte, hat die Beklagte im Berufungsverfahren hiergegen nichts vorgebracht, sondern ist selbst von einem Abschlag von 50 % bis 60 % ausgegangen. Im übrigen kann die Ausübung des tatrichterlichen Schätzungsermessens vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die Schadensermittlung auf grundsätzlich falschen oder offenbar unrichtigen Erwägungen beruht und ob wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer acht gelassen worden sind (st.Rspr., siehe BGH, Urteil vom 17. April 1997 - X ZR 2/96, NJW-RR 1998, 331 unter III 1 = BGHR ZPO § 287 Abs. 1 Schadensschätzung m.w.Nachw.). Anhaltspunkte dafür zeigt die Revision nicht auf.

5. Schließlich muß sich die Klägerin entgegen der Ansicht der Revision auch ein Mitverschulden an der Entstehung ihres Schadens nicht anrechnen lassen. Ein schadensursächliches Verschulden der Klägerin käme nur in Betracht, wenn sie nach Herausgabe der Teppiche an die Mieterin zumutbare Maßnahmen unterlassen hätte, sich wieder in den Besitz der Teppiche zu setzen. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte ihr der Gerichtsvollzieher W. am 19. Dezember 1995 (gemeint wohl: 19. Dezember 1994) mitgeteilt, daß eine weitere Zwangsvollstreckung gegen die Mieterin aussichtslos sei und diese auch nicht mehr über die Teppiche verfüge; ein am 5. Juli 1995 unternommener Pfändungsversuch verlief ergebnislos. Daß die Klägerin von der Ende Juli 1994 erfolgten Herausgabe der Teppiche durch die Beklagte so rechtzeitig erfahren hat, daß sie die – noch im Besitz der Mieterin befindlichen – Teppiche hätte erneut pfänden lassen können, ist weder festgestellt noch von der darlegungspflichtigen Beklagten vorgetragen. Damit scheidet auch ein Mitverschulden der Klägerin wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung eines etwaigen Herausgabeanspruchs nach § 561 Abs. 2 Satz 2 BGB (Staudinger/Emmerich, aaO, § 561 Rdnr. 47; Palandt/Putzo, aaO, § 561 Rdnr. 14; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. III Rdnr. 272, jew. m.w.Nachw.) aus.

Unterschriften

Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers, Dr. Wolst

Fundstellen

  • Haufe-Index 539199
  • BB 1999, 1678
  • DB 1999, 2309
  • NJW 1999, 3487
  • NJW-RR 1999, 1410
  • EWiR 1999, 731
  • WM 1999, 1992
  • Nachschlagewerk BGH
  • MDR 1999, 1145
  • VersR 2000, 1550
  • TranspR 1999, 355

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