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BGH Urteil vom 01.12.2005 - IX ZR 95/04

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage des Originalvollstreckungstitels. Keine zwingende Voraussetzung für Feststellung zur Insolvenztabelle sofern kein anderer Insolvenzgläubiger Widerspruch erhebt

 

Leitsatz (amtlich)

Die Feststellung der titulierten Forderung zur Insolvenztabelle setzt die Vorlage des Originaltitels weder im Prüfungstermin noch im Feststellungsrechtsstreit voraus.

 

Normenkette

InsO §§ 174, 178-179

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 01.04.2004; Aktenzeichen 52 S 308/03)

AG Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 01.10.2003; Aktenzeichen 209 C 191/03)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 52. Zivilkammer des LG Berlin v. 1.4.2004 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Feststellung von Forderungen des Klägers zur Insolvenztabelle.

Der Kläger ließ am 28.2.2000 seine Vergütung als Prozessbevollmächtigter des J. S. (i.F.: Schuldner) i.H.v. 197,74 DM (= 101,10 EUR) nebst Zinsen gerichtlich festsetzen und versuchte hieraus mehrfach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 21.8.2002 zu vollstrecken. Er meldete die Forderung nebst Vollstreckungskosten von 197,10 EUR zur Tabelle an, wobei er - wie im folgenden Rechtsstreit - lediglich unbeglaubigte Fotokopien der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses und der Gebührenrechnungen beifügte. Die beklagte Insolvenzverwalterin bestritt im Prüfungsverfahren die Forderungen, weil ihr der Vollstreckungstitel und die sonstigen Unterlagen nicht im Original vorlagen.

Das AG hat die angemeldeten Forderungen mit Ausnahme eines Teils der Zinsen zur Tabelle festgestellt. Die zugelassene Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das AG hat ausgeführt, die klägerischen Forderungen seien mangels substantiierten Bestreitens nicht beweisbedürftig gewesen. Aus den Vorschriften der Insolvenzordnung, insb. aus § 174 Abs. 1 S. 2 InsO, folge keine Verpflichtung zur Vorlage von Originalurkunden. Das Berufungsgericht hat sich auf diese Ausführungen berufen und ergänzt, ein Gläubiger solle zwar nach Beendigung des Insolvenzverfahrens keinen anderen Titel als die Tabelleneintragung in Händen haben. Deshalb sei nach § 178 Abs. 2 S. 3 InsO auf dem ursprünglichen Titel die Feststellung zur Tabelle zu vermerken. Wie das Insolvenzgericht dafür Sorge trage, dass der klägerische Titel diesen Vermerk erhalte, berühre jedoch den Feststellungsrechtsstreit nicht.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.

1. Der Inhalt des Berufungsurteils genügt entgegen der Auffassung der Revision noch den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Danach enthält das Urteil anstelle des Tatbestands die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Eine solche Verweisung erstreckt sich nicht auf den in zweiter Instanz gestellten Berufungsantrag. Wenn das Berufungsurteil auf die wörtliche Wiedergabe des Antrags verzichtet, muss es wenigstens erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (BGH v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99 = MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629; v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216 [218] = BGHReport 2004, 272 m. Anm. Schultz = MDR 2004, 289; Urt. v. 11.3.2004 - IX ZR 178/03, CR 2004, 889 = BGHReport 2004, 1066 = WM 2004, 2216 [2217]). Diesen Mindestanforderungen genügt das Berufungsurteil gerade noch. Aus den Ausführungen unter Ziff. II des Urteils wird hinreichend deutlich, dass die Beklagte die Aufhebung des Ersturteils und insgesamt die Abweisung der beantragten Feststellung zur Tabelle mangels Vorlage von Originalurkunden begehrt hat. Eine Unklarheit, ob die Beklagte das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang oder nur beschränkt angegriffen hat, besteht hier nicht. Auch neuer Sachvortrag ist von den Parteien in der Berufung nicht eingeführt worden, so dass insoweit die Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ausreichte.

2. Die Auffassung der Revision, die Feststellung der titulierten Forderung zur Insolvenztabelle setze notwendig die Vorlage des Originaltitels im Prüfungsverfahren oder im Feststellungsrechtsstreit voraus, findet weder in der Insolvenzordnung noch in der Zivilprozessordnung eine Stütze.

a) Nach § 174 Abs. 1 S. 2 InsO sollen bei der schriftlichen Anmeldung die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, "in Abdruck" beigefügt werden. Dies soll dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern, die nach § 178 Abs. 1 InsO der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprechen können, eine Prüfung ermöglichen. Die Vorlage von Originalen verlangt das Gesetz in diesem Verfahrensstadium nicht. Selbst wenn der Anmeldung gar keine Belege beigefügt werden, berührt dies ihre Wirksamkeit nicht. Der Gläubiger muss bei einem solchen Vorgehen nur damit rechnen, dass der Insolvenzverwalter oder andere Insolvenzgläubiger die Forderung bestreiten (Nowak in MünchKomm/InsO, § 174 Rz. 23; Braun/Kießner, InsO, 2. Aufl., § 174 Rz. 21 f.; Smid, InsO, 2. Aufl., § 174 Rz. 8 f.; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 174 Rz. 28; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 174 Rz. 20, Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 174 Rz. 16 f.).

b) Nach § 178 Abs. 2 S. 3 InsO ist auf Wechseln und sonstigen Schuldurkunden vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts die Feststellung der zu Grunde liegenden Forderung zur Insolvenztabelle zu vermerken. Ein Teil der Literatur meint deshalb, dass der Gläubiger einer Forderung, für die ein Vollstreckungstitel existiert oder für die ein Wechsel oder eine sonstige Schuldurkunde ausgestellt ist, spätestens im Prüfungstermin die Originalurkunde einreichen muss (HK-InsO/Irschlinger, § 178 Rz. 4a; FK-InsO/Kießner, § 174 Rz. 20; Merkle, Rpfleger 2001, 157 [165]). Diese Auffassung ist unrichtig. Legt ein Gläubiger keine Originalurkunden vor, muss die angemeldete Forderung dennoch vom Insolvenzgericht nach § 178 Abs. 2 S. 1 InsO zur Tabelle festgestellt werden, sofern kein anderer Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter Widerspruch erhebt. § 178 Abs. 2 S. 3 InsO ändert daran nichts. Die Vorschrift dient in erster Linie den Interessen des anmeldenden Gläubigers. Ebenso wie der vom Wortlaut identische frühere § 145 Abs. 1 S. 2 KO soll sie ihm die Übertragung verbriefter Forderungen erleichtern (vgl. Motive zur Konkursordnung, S. 363; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl., § 145 Rz. 2; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 178 Rz. 22). Der Zessionar hat auf Grund des Vermerks die Gewissheit, dass die Forderung nicht bestritten ist und an der Verteilung teilnimmt. Außerdem kann er unmittelbar aus der Urkunde ersehen, dass auf die Forderung nur die Quote bezahlt wird. Darüber hinaus soll § 178 Abs. 2 S. 3 InsO zwar auch vermeiden, dass ein Gläubiger, dem nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf seinen Antrag hin eine vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle erteilt wird (§ 201 Abs. 2 S. 3 InsO), zugleich über weitere Urkunden verfügt, aus denen er wegen seiner im Verteilungsverfahren nicht befriedigten Forderung wieder die Einzelzwangsvollstreckung betreiben könnte (FK-InsO/Kießner, § 178 Rz. 15). Auch dieser Gesetzeszweck rechtfertigt es aber nicht, die Feststellung einer - unbestrittenen - Forderung von der Vorlage des Originaltitels abhängig zu machen. Eine Doppeltitulierung kann dadurch vermieden werden, dass das Insolvenzgericht, soweit der Feststellungsvermerk nicht bereits im Anschluss an den Prüfungstermin angebracht werden kann, die spätere Erteilung des vollstreckbaren Tabellenauszugs von der Vorlage der Originalurkunde zur Entwertung abhängig macht. Dies entspricht auch der Praxis eines Teils der Insolvenzgerichte (Kaiser/Crämer, InVo 2001, 153 [154]). Selbst wenn dies unterbleibt und der Gläubiger aus dem früheren Titel die Vollstreckung betreibt, obwohl über den deckungsgleichen Anspruch ein vollstreckbarer Tabellenauszug vorliegt, kann sich der Schuldner hiergegen noch mit dem jeweils statthaften Rechtsbehelf wehren (Hintzen in MünchKomm/InsO, § 201 Rz. 38). Insolvenzrechtlich ist die Vorlage von Originalurkunden mithin keine zwingende Voraussetzung für die Feststellung zur Tabelle. Verweigert der Gläubiger die Vorlage des Originals, kann dies zwar einen Widerspruch des Insolvenzverwalters oder eines anderen Gläubigers provozieren (zutreffend Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 174 Rz. 17). Allein unter Berufung auf § 178 Abs. 2 S. 3 InsO kann der Widerspruch im nachfolgenden Feststellungsprozess nach § 180 InsO aus den genannten Gründen allerdings keinen Erfolg haben.

c) Auch zivilprozessual ist die Feststellung einer titulierten Forderung zur Insolvenztabelle im Klageverfahren nach § 180 InsO nicht notwendig von der Vorlage des Originaltitels abhängig. Der Forderungsnachweis kann im Feststellungsrechtsstreit nicht nur im Wege des Urkundsbeweises, sondern mit sämtlichen nach der Zivilprozessordnung zulässigen Beweismitteln geführt werden. Nach den §§ 420, 435 ZPO genügt im Übrigen bei öffentlichen Urkunden, wozu Vollstreckungstitel gehören, die Vorlage einer öffentlich beglaubigten Abschrift, wenn nicht das Gericht aus besonderem Anlass die Vorlage der Urschrift anordnet.

3. Die Angriffe der Revision gegen die Annahme des AG, die streitgegenständlichen Forderungen seien mangels substantiierten Bestreitens zugestanden und deshalb nicht beweisbedürftig, bleiben ohne Erfolg.

a) Die Vorinstanzen haben angenommen, dass der Kläger nach § 179 Abs. 1 InsO die Betreibungslast zu tragen und dementsprechend im Feststellungsprozess auch den Bestand der bestrittenen Forderung zu beweisen hatte. Das entspricht der überwiegend vertretenen Rechtsauffassung, nach der die Betreibungslast gem. § 179 Abs. 1 InsO stets bei dem Gläubiger liegt, wenn der Insolvenzverwalter einer vollstreckbaren Forderung mangels Vorlage des Originaltitels im Prüfungsverfahren widerspricht (Schumacher in MünchKomm/InsO, § 179 Rz. 26; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 6. Aufl., Rz. 1563; ebenso zur Konkursordnung RGZ 85, 64 [68]; Kuhn/Uhlenbruck, InsO, § 146 Rz. 32; a.A. FK-InsO/Kießner, § 178 Rz. 16). Der Kläger ist dieser Last gerecht geworden.

b) Die Vorinstanzen haben die Behauptung des Klägers, die streitgegenständlichen Forderungen stünden ihm zu, mit Recht nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Der Erhebung der angebotenen Beweise bedurfte es deshalb nicht.

Macht der Insolvenzverwalter wegen der Nichtvorlage von Originalurkunden im Prüfungsverfahren von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, muss er sich im nachfolgenden Feststellungsrechtsstreit mit den geltend gemachten Forderungen des Klägers in der Sache auseinander setzen. Für seine Einlassungsobliegenheit gelten die allgemeinen Grundsätze. Der über die Vorgänge nicht unterrichtete Insolvenzverwalter muss die Geschäftsunterlagen des Schuldners sichten und diesen notfalls befragen. Erst wenn seine Erkundigungen keinen Aufschluss erbracht haben, darf sich der Insolvenzverwalter unter Darlegung dieses Umstandes zu der Forderung gem. § 138 Abs. 4 ZPO pauschal mit Nichtwissen erklären. Ansonsten muss er den Bestand der zur Tabelle eingeklagten Forderung konkret anhand der gewonnenen Erkenntnisse bestreiten.

Die Beklagte ist den unter Vorlage von Fotokopien konkret bezeichneten Forderungen lediglich mit Hinweis auf das Fehlen der Originale von Titel und Belegen über die Vollstreckungskosten entgegengetreten. Damit hat sie den Bestand der angemeldeten Forderungen nicht in rechtserheblicher Weise bestritten (§ 138 Abs. 2 ZPO).

 

Fundstellen

BB 2006, 464

DStR 2006, 620

DStZ 2006, 496

BGHR 2006, 460

EWiR 2006, 177

JurBüro 2006, 329

WM 2006, 628

ZIP 2006, 192

DZWir 2006, 125

MDR 2006, 835

NZI 2006, 173

Rpfleger 2006, 217

VuR 2006, 68

ZInsO 2006, 102

InsbürO 2006, 158

KSI 2006, 118

ZVI 2006, 26

ZVI 2006, 59

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