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BFH Urteil vom 27.03.1968 - VII 306/64

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Leitsatz (amtlich)

Ein Abrechnungsbescheid ist auch dann zu erteilen, wenn Finanzamt und Steuerpflichtiger über den Grund des Erlöschens einer Zahlungsverpflichtung uneinig sind. Daher ist im Abrechnungsbescheidverfahren und dem sich daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren auch darüber zu entscheiden, wodurch eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist.

 

Normenkette

AO § 125; AO a.F. § 147; FGO § 138

 

Tatbestand

Der Kläger war mit Steuerbescheiden vom 28. September 1953 u. a. zur Umsatzsteuer für 1950 und 1951 veranlagt worden; dabei war unterstellt worden, daß er in West-Berlin einen Gewerbebetrieb unterhalten habe; die Besteuerungsgrundlagen waren geschätzt worden. Die Einspruchsentscheidungen vom 6. November 1954 waren unanfechtbar geworden. Den vom Kläger gemäß § 125 AO beantragten Abrechnungsbescheid u. a. hinsichtlich Umsatzsteuer 1950 und 1951 erteilte ihm das FA mit Schreiben vom 18. Juni 1962. In ihm waren die Steuerarten, die einzelnen Steuerbeträge nach Fälligkeit und Zahlungstagen und die noch zu zahlenden Steuerbeträge aufgeführt. An Umsatzsteuer 1950 und 1951 waren je 21 902,40 DM angegeben, die in je zwei Beträgen eingezahlt waren (am 26. Februar 1959 und am 5. Juni 1962), so daß sich je 0 DM Restbetrag ergab.

Gegen den Abrechnungsbescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein, den er insbesondere auf Verjährung der in dem Bescheid als gezahlt aufgeführten Steuerbeträge stützte. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA sah die Verjährung der Steueransprüche als mehrmals unterbrochen an.

Der Kläger legte gegen die Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 1962 Berufung ein.

Die Umsatzsteuerbescheide 1950 und 1951 sind später durch die Finanzverwaltung ersatzlos aufgehoben worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte der Kläger, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und die Kosten des Verfahrens dem Berufungsgegner (Beklagten) aufzuerlegen; das FA beantragte, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und die Kosten des Verfahrens dem Berufungsführer (Kläger) aufzuerlegen. Das FG erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und erlegte die Kosten des Verfahrens dem Kläger auf. Die Ansicht des beklagten FA, daß der Rechtsstreit wegen der Umsatzsteuer noch anhängig sei, treffe nicht zu, da "die Umsatzsteuern im Abrechnungsbescheid mit 0 DM angegeben worden" seien, so daß insoweit ein Streit im Abrechnungsverfahren nicht bestanden habe. Infolge der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache sei nur noch über die Kosten zu entscheiden; eine solche Entscheidung sei auch erforderlich, da das beklagte FA die Kosten des anhängigen Rechtsstreits über den Abrechnungsbescheid nicht voll nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO übernommen habe. Wenn der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt gewesen wäre, hätte aber die Finanzverwaltung obgesiegt, da die Ansicht des Klägers, daß die in dem Abrechnungsbescheid angegebenen Steuerschulden im Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides verjährt gewesen seien, nicht zutreffe, die Verjährung vielmehr rechtzeitig unterbrochen worden sei.

Mit der fristgerecht eingelegten Rb., die nunmehr als Revision zu behandeln ist, beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA vom 22. Oktober 1962 hinsichtlich der Kosten und der Streitwertfestsetzung aufzuheben sowie die Kosten des gesamten Verfahrens dem beklagten FA aufzuerlegen. Der Kläger bestreitet, daß das FA C-West für die Vollstreckung gegen ihn örtlich zuständig gewesen sei. Nach § 147 AO a. F. habe die Verjährung aber nur durch bestimmte Handlungen des zuständigen Fa unterbrochen werden können. Im übrigen sei der Kläger in der in Betracht kommenden Zeit lediglich Arbeitnehmer im Ostsektor gewesen; eine Zuständigkeit West-Berliner FÄ sei deshalb für ihn überhaupt nicht gegeben gewesen.

Das FA beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen. Es macht geltend, es sei nach § 78 AO auf Grund Vereinbarung mit dem FA C.-Ost örtlich zuständig gewesen. Die Verjährung der Steueransprüche für 1950 bzw. 1951 gegen den Kläger wäre am 31. Dezember 1955 bzw. 31. Dezember 1956 eingetreten; jedoch seien vor Ablauf beider Verjährungsfristen von dem für die Vollstreckung zuständigen Fa mehrere Zahlungsaufforderungen und Beitreibungshandlungen in den Jahren 1953 bis 1954 vorgenommen worden, welche die Verjährung unterbrochen hätten. Bei keiner der Zahlungsaufforderungen und Vollstreckungshandlungen sei vom Kläger die Rüge der Zuständigkeit erhoben worden. Die fünfjährige Verjährungsfrist habe daher mit dem 1. Januar 1956 erneut zu laufen begonnen. "Durch den Teilzahlungsantrag vom 5. Januar 1959 (...), den der Bf. selbst beim Bg. in der Verhandlung am 5. Januar 1959 stellte", habe er "nicht nur die Steueransprüche, sondern auch die Zuständigkeit des FA anerkannt".

Der Kläger bestreitet, daß er in der Verhandlung vom 5. Januar 1959 mit dem Vorsteher des FA die Steuerforderungen anerkannt habe, ebenso daß er die Zuständigkeit des FA anerkannt habe.

Gemäß dem Antrag des Klägers ist mündlich verhandelt worden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat Erfolg.

Der Ausspruch des FG, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, trifft im Ergebnis zu. Es ist deshalb nur noch über die Kosten gemäß § 138 FGO zu entscheiden.

Der Senat vermag der Meinung des FG nicht zu folgen, daß hinsichtlich der Umsatzsteuer ein "Streit im Abrechnungsverfahren" nicht anhängig sei. Im Abrechnungsbescheidverfahren wird nicht über das Bestehen der Steuerforderungen entschieden (das geschieht vielmehr im Steuerbescheidverfahren), sondern es ist nach § 125 AO auf Antrag ein Abrechnungsbescheid zu erteilen, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, "ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist". Entsprechendes gilt für das Rechtsbehelfsverfahren. In beiden Verfahren wird somit nicht um einen "Saldo" gestritten. Die Voraussetzung für das Verlangen eines Abrechnungsbescheids, nämlich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen über das Erlöschen einer Zahlungsverpflichtung besteht, liegt nicht nur dann vor, wenn die eine Seite das Erlöschen bejaht, die andere es verneint, sondern auch dann, wenn zwar Gläubiger und Schuldner eine Verpflichtung als erloschen ansehen, aber jeder aus einem anderen Grunde. Denn die Frage, ob eine Verpflichtung erloschen ist, kann von der Frage, wodurch sie erloschen ist, nicht getrennt werden. Dementsprechend ist nach Sinn und Zweck des § 125 AO im Abrechnungsbescheidverfahren und in dem sich daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren auch darüber zu entscheiden, wodurch die Zahlungsverpflichtung erloschen ist (vgl. auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., Bd. I 1963, 2 (4) zu § 125 AO, S. 409). Daher stand es dem Kläger, wenn die Verwaltung in dem Abrechnungsbescheid feststellte, daß 1959 und 1962 bestimmte Beträge auf die Umsatzsteuer eingezahlt worden seien, dennoch frei, seinerseits darzulegen und im Rechtsbehelfsverfahren durchzufechten, daß die vom Fa geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen nicht durch Zahlung, sondern bereits vorher durch Verjährung erloschen seien. Es war also über die Frage des Erlöschens der Umsatzsteuerforderungen gegen den Kläger zu entscheiden, obwohl keine Restschulden des Klägers an Umsatzsteuer 1950 und 1951 zur Zeit des Abrechnungsbescheids (mehr) bestanden.

Auch soweit der Abrechnungsbescheid des FA den Streit über das Erlöschen der Umsatzsteuerforderungen 1950 und 1951 betraf, hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Denn dem Kläger ist im Ergebnis darin zuzustimmen, daß die Umsatzsteuerforderungen 1950 und 1951 in dem Zeitpunkt, in dem die obengenannten Zahlungen eingingen, gemäß §§ 144, 145 ff. AO a. F. bereits verjährt waren. Es bestand eine fünfjährige Verjährungsfrist, nicht eine zehnjährige. Hinterzogene Beträge kommen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Umsatzsteuerbescheide 1950 und 1951 ersatzlos aufgehoben worden sind. Die Verwaltung hat auch in den Einkommensteuerakten festgestellt, daß im Hinblick auf die vom Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen (Klägers) beigebrachten Zeugenaussagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß der Steuerpflichtige nicht Unternehmer, sondern unselbständig tätig war und daß deshalb die Veranlagungen zur Umsatzsteuer 1950 und 1951 objektiv unrichtig waren; deshalb hat sie auch die Fehleraufdeckung für geboten erachtet. Die Finanzverwaltung macht Unterbrechung der Verjährung geltend; sie ist der Meinung, daß die Voraussetzungen des § 147 AO a. F. im Streitfall gegeben seien. Es bedarf in ihm keiner Untersuchung, ob das FA, das die Umsatzsteuer des Klägers festsetzte, zum Soll stellte und Beitreibungsmaßnahmen durchführte, örtlich dafür zuständig war (etwa unter Heranziehung des § 78 AO). "Zuständiges FA" im Sinne des § 147 Abs. 1 AO a. F. war nur ein sachlich zuständiges FA (vgl. Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 964; Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl. 1963, Bemerkung 3 zu § 147 AO a. F.; Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1. Aufl. 1961, Bemerkung 2 zu § 147). Das war aber nicht das beklagte West-Berliner FA. Wie die Finanzverwaltung im Hinblick auf die vom Bevollmächtigten des Klägers beigebrachten Zeugenaussagen selbst erklärt hat, ist der Kläger in der in Betracht kommenden Zeit nicht Unternehmer in der Bundesrepublik gewesen, sondern er ist nur Arbeitnehmer im Ostsektor Berlins gewesen. Dann waren aber die West-Berliner FÄ sachlich für eine Umsatzbesteuerung des Klägers nicht zuständig. Ihre Handlungen konnten die Verjährung nach § 147 Abs. 1 AO a. F. nicht unterbrechen. Auch eine "Anerkennung" der Steuerforderungen des FA durch den Kläger hätte - wenn sie verjährungsunterbrechend hätte wirken sollen - vor dem (sachlich) "zuständigen FA" vorgenommen werden müssen. Das ist nicht geschehen. Im übrigen bedeutete - wie der Kläger mit Recht ausführt - das "Anbieten" von monatlichen Ratenzahlungen von 50 DM auf sehr große Steuerschulden keine "Anerkennung" dieser Steuerschulden. Die Umsatzsteuerforderungen 1950 und 1951 gegen den Kläger, auf die erst 1959 und 1962 die Sollbeträge im Wege der Beitreibung durch das sachlich unzuständige FA C.-W. hereingeholt wurden, waren somit bereits spätestens mit Ablauf des Jahres 1956 durch Verjährung erloschen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68040

BStBl II 1968, 501

BFHE 1968, 160

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