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BFH Urteil vom 25.01.2006 - II R 61/04 (NV) (veröffentlicht am 12.04.2006)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einheitlicher Erwerbsgegenstand: Bauvertrag als nachträglich bekannt gewordene Tatsache

 

Leitsatz (NV)

1. Trotz einer nachträglich bekannt gewordenen rechtserheblichen Tatsache kann das FA an der Änderung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen gehindert sein, wenn ihm die Tatsache infolge Verletzung seiner Ermittlungspflichten zunächst unbekannt geblieben ist. Dies gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt hat.

2. Liegen nach den Grundsätzen zum einheitlichen Erwerbsgegenstand die Voraussetzungen eines Grundstückserwerbs mit noch zu errichtendem Gebäude vor, wird dem FA aber zunächst nur der Grundstückskaufvertrag angezeigt und erfährt es erst nachträglich von dem Bauvertrag, dann stellt dieser die nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 dar und nicht der objektiv enge sachliche Zusammenhang. Bei Letzterem handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine Schlussfolgerung.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 14.05.2003; Aktenzeichen 7 K 61/01)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beauftragte am 15. März 1994 die Bauunternehmung X mit der schlüsselfertigen Errichtung eines Einfamilienhauses zu einem Preis von 410 144 DM auf einem Grundstück, welches er erst am Folgetag, nämlich am 16. März 1994, durch notariell beurkundeten Vertrag zu einem Kaufpreis von 54 575,70 DM von einer Erbengemeinschaft erwarb. In der Urkunde hieß es, das Grundstück liege in einem Neubaugebiet, welches gemäß dem Bebauungsplan mit fünf Einzelhäusern und zehn Doppelhaushälften bebaut werden solle. Die Erschließung und Bauleitung erfolge verantwortlich durch das Baugeschäft X. Der Käufer verpflichte sich, mit dem Bau des Gebäudes unverzüglich zu beginnen und ihn binnen 14 Monaten fertig zu stellen.

Dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) wurde lediglich der Grundstückskaufvertrag angezeigt. Er setzte daraufhin auf der Grundlage des Grundstückskaufpreises Grunderwerbsteuer in Höhe von 1 091 DM gegen den Kläger fest. Nachdem dem FA der Abschluss des Bauvertrages bekannt geworden war, setzte es durch Änderungsbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vom 30. September 1997 die Steuer nach einer Gegenleistung von (54 575 DM + 410 144 DM =) 464 719 DM auf 9 294 DM herauf.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, es fehle an einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache, da die Urkunde über den Grundstückskauf deutliche Hinweise auf die vorgesehene Bebauung enthalten habe. Es wäre daher Sache des FA gewesen, Ermittlungen darüber anzustellen, ob vorliegend ein Grundstück mit Gebäude Erwerbsgegenstand gewesen ist.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Änderungsbescheid auf. Nach seiner Ansicht fehlt es an einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Maßgebliche Tatsache des ungeschriebenen Steuertatbestandes des sog. einheitlichen Vertragswerks sei vorliegend, ob ein objektiv enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskauf- und dem Werkvertrag bestanden habe. Ein solcher Zusammenhang ergebe sich im Streitfall aber bereits aus dem Grundstückskaufvertrag. Darin werde nämlich ausgeführt, dass die Bauleitung in dem Neubaugebiet durch das Baugeschäft X erfolge. Damit sei dem FA der objektiv enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen bekannt gewesen. Diesen Sachverhalt hätte es dahin gehend würdigen können und müssen, dass ein einheitliches Vertragswerk vorliege.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sowie der §§ 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen Erwerbsgegenstandes und der Höhe der Gegenleistung maßgebliche Tatsache sei der zeitlich vor dem Kaufvertrag erfolgte Abschluss des Bauvertrages. Diese Tatsache sei dem FA erst nachträglich bekannt geworden, da der Kläger insoweit seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen sei.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das FA war gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zum Erlass des Änderungsbescheides vom 30. September 1997 berechtigt. Da das FG diese Berechtigung verneint hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Eine unanfechtbare Steuerfestsetzung kann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden, soweit dem FA nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569). Merkmal oder Teilstück des Grunderwerbsteuertatbestandes und damit Tatsachen i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sind deshalb auch die Umstände, die ein sog. einheitliches Vertragswerk begründen, insbesondere ein vom Erwerber geschlossener Bau-, Betreuungs- oder Geschäftsbesorgungsvertrag, der in objektiv engem sachlichem Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag steht (vgl. BFH-Urteile vom 13. Mai 1998 II R 67/96, BFH/NV 1999, 1, sowie vom 14. Mai 2003 II R 25/01, BFH/NV 2003, 1395).

Trotz einer nachträglich bekannt gewordenen und rechtserheblichen Tatsache kann die Steuerbehörde jedoch an der Änderung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen gehindert sein, wenn ihr die Tatsache vor dem Erlass des zu ändernden Bescheides infolge Verletzung der ihr obliegenden Ermittlungspflichten unbekannt geblieben ist. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist es der Behörde nämlich verwehrt, über § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 eigene Pflichtverletzungen zu Lasten des Steuerpflichtigen auszugleichen. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt hat. Ist dies nicht der Fall, kann er sich regelmäßig nicht auf die Verletzung der Ermittlungspflichten der Behörde berufen (BFH-Urteil vom 4. März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301, m.w.N.). Da der Steuerpflichtige derjenige ist, dem der Sachverhalt bekannt ist, weil er ihn verwirklicht hat, und der als Erster durch Abgabe einer vollständigen Steuererklärung oder Anzeige tätig zu werden hat, schließt eine lückenhafte Unterrichtung der Steuerbehörden es für gewöhnlich aus, gegenüber einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 Ermittlungsfehler der Behörde geltend zu machen. Steuererklärungen und Anzeigen haben nicht nur richtig und vollständig zu sein, sondern darüber hinaus auch deutlich und klar (BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 1301, sowie vom 19. Oktober 1971 VIII R 27/66, BFHE 103, 404, BStBl II 1972, 106, und vom 4. Dezember 1992 III R 50/91, BFH/NV 1993, 496, 498). Das FG hat diese Rechtsgrundsätze verkannt. Es hat zum einen anstatt des Abschlusses des Bauvertrages den objektiv engen sachlichen Zusammenhang beider Verträge als "neue" Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 angesehen, obwohl es sich bei Letzterem lediglich um eine Schlussfolgerung handelt, und zum anderen --daraus folgend-- die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers unberücksichtigt gelassen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Erwerbsgegenstand war das Grundstück in bebautem Zustand. Die Steuer ist daher durch den Änderungsbescheid in zutreffender Höhe festgesetzt worden. Das FA war auch zu der Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 berechtigt. Der Kläger hat nämlich auf zweifache Weise seine Mitwirkungspflichten verletzt. Er ist zum einen seiner Anzeigepflicht gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG nicht nachgekommen. Nach dieser Vorschrift hatte er den am 15. März 1994 abgeschlossenen Bauvertrag im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag anzuzeigen, da sich aus Ersterem gemäß den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum einheitlichen Erwerbsgegenstand eine Erhöhung der Gegenleistung durch Gewährung von zusätzlichen Leistungen neben dem beim Erwerbsvorgang vereinbarten Grundstückskaufpreis ergab (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BFHE 181, 341, BStBl II 1997, 85). Der Anzeigepflicht hatte der Steuerpflichtige unabhängig davon zu genügen, dass den beurkundenden Notar gemäß § 18 GrEStG eine eigene Anzeigepflicht trifft (BFH-Urteil in BFHE 181, 341, BStBl II 1997, 85). Der vom Notar angezeigte Kaufvertrag ist zum anderen unvollständig. Statt offen anzugeben, dass der Kläger bereits am Vortag einen Bauvertrag mit der Bauunternehmung X abgeschlossen hat, wird diese Angabe vermieden und lediglich allgemein auf die geplante Bebauung des Neubaugebiets Bezug genommen. Aufgrund dieser Pflichtverletzungen des Klägers kann auf sich beruhen, ob das FA nicht ausreichend ermittelt hat. Ein etwaiger Verstoß gegen die Ermittlungspflichten wäre jedenfalls auch auf die fehlende Anzeige des Werkvertrages sowie die unvollständigen Formulierungen im Kaufvertrag zurückzuführen und daher nicht geeignet, die Pflichtverstöße des Klägers dergestalt zu überdecken, dass dieser sich gegenüber einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen könnte. Der angefochtene Änderungsbescheid ist daher rechtmäßig. Die Rechtsfolgen, die eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers für die Änderungsbefugnis des FA zeitigt, waren im Streitfall auch nicht dadurch zu umgehen, dass das FG bei der Bestimmung der "neuen" Tatsache den Bauvertrag sowie dessen fehlende Anzeige nicht erwähnt und stattdessen einen objektiv engen sachlichen Zusammenhang zur maßgeblichen Tatsache für die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erklärt hat. Abgesehen davon, dass dabei offen geblieben ist, womit der Grundstückskaufvertrag zusammenhängen soll, stellt der objektiv enge sachliche Zusammenhang im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum einheitlichen Erwerbsgegenstand keine Tatsache, sondern eine Schlussfolgerung dar. Wäre offen ausgesprochen worden, womit der Grundstückskaufvertrag zusammenhängen soll, hätte der Bauvertrag als die für die Änderungsbefugnis des FA maßgebliche Tatsache erwähnt werden müssen. Auf diese Weise wäre dann sichtbar geworden, dass die Anzeige des Bauvertrages unterblieben ist, der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt hat und infolgedessen den Änderungsbescheid hinnehmen muss.

3. Die Entscheidung ergeht gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1497786

BFH/NV 2006, 1059

HFR 2006, 659

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