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BFH Urteil vom 21.12.1954 - V 26/54 U

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Leitsatz (amtlich)

Die Einhaltung der im Gesetz über die Heimarbeit vorgesehenen allgemeinen Schutzvorschriften (Zweiter Abschnitt des Gesetzes über die Heimarbeit in der Fassung der Verordnung vom 30. Oktober 1939, RGBl. I S. 2143, 2145; Dritter Abschnitt des Gesetzes über die Heimarbeit vom 14. März 1951, BGBl. I S. 191) ist keine zusätzliche Voraussetzung der Steuervergünstigung nach § 4 Ziff. 14 UStG 1934, § 4 Ziff. 18 UStG 1951, deren Nichterfüllung die Gewährung der Vergünstigung auch dann ausschließt, wenn die sachlichen Voraussetzungen hierfür im übrigen gegeben sind. Jedoch kann die Einhaltung oder die Nichteinhaltung der Schutzvorschriften im einzelnen Falle für die Beurteilung der Frage, ob ein Unternehmer Hausgewerbetreibender ist, als Beweisanzeichen von Bedeutung sein.

 

Normenkette

UStG 1934 § 4 Ziff. 14; UStDB 1938 § 40; UStG 1951 § 4 Ziff. 18; UStDB 1951 § 44

 

Tatbestand

Die Brüder X. und Y. Z. bearbeiten in eigener Schleiferwerkstatt, ohne fremde Hilfskräfte zu beschäftigen, für eine beschränkte Anzahl von Auftraggebern Metallteile. Sie wurden arbeitsrechtlich zunächst als Heimarbeiter angesehen und als solche nicht zur Umsatzsteuer herangezogen. Mitte Dezember 1950 meldeten sie ihren Betrieb als selbständiges stehendes Gewerbe an; nach ihrer Sachdarstellung geschah das nicht in der Absicht einer grundsätzlichen betrieblichen Umstellung, sondern auf Betreiben ihrer Auftraggeber, die sich von der Umgestaltung des Heimarbeitsbetriebs in einen selbständigen Gewerbebetrieb eine Entlastung von den mit der Beschäftigung von Heimarbeitern verbundenen Buchungs- und sonstigen Büroarbeiten versprochen hätten; an der Art ihrer Tätigkeit habe sich nach der Anmeldung nichts geändert.

Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1951, ob die beiden Brüder Hausgewerbetreibende im Sinne des Gesetzes über die Heimarbeit vom 23. März 1934 in der Fassung der Verordnung zur Änderung des Gesetzes über die Heimarbeit vom 30. Oktober 1939 (Reichsgesetzblatt -- RGBl. -- I S. 2143, 2145) und im Sinne des Gesetzes über die Heimarbeit vom 14. März 1951 (Bundesgesetzblatt -- BGBl. -- I S. 191) sind und ob demgemäß die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, zu der sie zusammengeschlossen sind (Steuerpflichtige -- Stpfl. --), Anspruch auf Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1934 in Verbindung mit § 40 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1938 und nach § 4 Ziff. 18 UStG 1951 in Verbindung mit § 44 UStDB 1951 hat.

Das Finanzamt hat bei der Veranlagung die Vergünstigung versagt; es vertritt, wie sich aus seiner Stellungnahme zu der Sprungberufung der Stpfl. gegen den Steuerbescheid ergibt, einer Verfügung der Oberfinanzdirektion folgend im wesentlichen die Auffassung, daß die Gesellschafter der Stpfl. als Hausgewerbetreibende nicht anerkannt werden könnten, weil die im Gesetz über die Heimarbeit vorgesehenen Schutzvorschriften, insbesondere die Vorschriften über Listenführung und über Führung von Entgeltbüchern, nicht eingehalten worden seien. Die Sprungberufung gegen den Steuerbescheid des Finanzamts hatte Erfolg. Das Finanzgericht mißt der Frage der Einhaltung der im Gesetz über die Heimarbeit vorgesehenen Schutzvorschriften lediglich arbeitsrechtliche, nicht aber umsatzsteuerrechtliche Bedeutung bei und ist der Meinung, daß im übrigen die Voraussetzungen für die beanspruchte Steuerbefreiung gegeben seien.

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts rügt unrichtige Anwendung des geltenden Rechts und bringt vor, es genüge für die Anwendung der Befreiungsvorschrift nicht, daß auf einen Unternehmer, der überwiegend mit bestimmten Auftraggebern in festem Geschäftsverkehr stehe, formal gesehen die arbeitsrechtlichen Merkmale des Begriffes Hausgewerbetreibender zuträfen; hinzutreten müsse vielmehr, daß der Unternehmer wirtschaftlich (arbeitsrechtlich) auch wirklich die Stellung eines Hausgewerbetreibenden einnehme. Daran fehle es, wenn, wie im Streitfalle, weder der Unternehmer die Rechte aus den dem Schutze der Hausgewerbetreibenden dienenden arbeitsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehme, noch seine Auftraggeber den Pflichten nachkämen, die ihnen durch solche Schutzvorschriften auferlegt seien. Die diesen Gesichtspunkt verkennende Auffassung des Finanzgerichts führe zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Ausweitung des Anwendungsbereichs der Befreiungsvorschrift.

Die Stpfl. wendet hiergegen ein, daß die Rationalisierungsbestrebungen der als Auftraggeber in Betracht kommenden Unternehmer nicht dazu führen könnten, die steuerliche Vergünstigung der in Heimarbeit Beschäftigten, die sich in der Frage der Gewerbeanmeldung dem Druck der Auftraggeber hätten fügen müssen, in Frage zu stellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.

Mit Recht allerdings geht die Vorinstanz davon aus, daß für die Beurteilung der Frage, ob jemand umsatzsteuerrechtlich als Hausgewerbetreibender anzusehen ist, auf die arbeitsrechtliche Abgrenzung des Begriffs Hausgewerbetreibender abzustellen ist (§ 40 UStDB 1938, § 44 UStDB 1951). Die Begriffsabgrenzung im § 3 Abs. 2 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) 1939, die mit etwas geändertem Wortlaut, aber ohne für den vorliegenden Fall ins Gewicht fallende sachliche Änderung in den § 2 Abs. 2 HAG 1951 übernommen worden ist, zählt die Merkmale des arbeitsrechtlichen Begriffs Hausgewerbetreibender erschöpfend auf. Aus den allgemeinen Schutzvorschriften des HAG (Zweiter Abschnitt HAG 1939, Dritter Abschnitt HAG 1951), insbesondere aus den Vorschriften über Listenführung und über Führung von Entgeltbüchern, lassen sich, wie der Aufbau des HAG zeigt, keine zusätzlichen Merkmale des Begriffs Hausgewerbetreibender herleiten. Diese Vorschriften normieren nur bestimmte Pflichten, die dem Auftraggeber im Interesse derjenigen auferlegt werden, die nach der Art ihrer Tätigkeit unter den Begriff Hausgewerbetreibender fallen. Die Erfüllung dieser Pflichten ist also keine materiellrechtliche Voraussetzung für die umsatzsteuerrechtliche Begünstigung als Hausgewerbetreibender wie etwa der Buchnachweis für die steuerliche Begünstigung bestimmter Umsätze im Großhandel, sondern ein Erfordernis, dem zu entsprechen ist, wenn sich eine Betätigung als die eines Hausgewerbetreibenden darstellt. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Zubilligung der für Hausgewerbetreibende vorgesehenen Steuerfreiheit schlechthin stets dann ausgeschlossen ist, wenn im Einzelfalle den in den Schutzvorschriften normierten Verpflichtungen nicht genügt ist.

Der Rechtsbeschwerde ist jedoch zuzugeben, daß die Vorinstanz irrt, wenn sie annimmt, daß die Erfüllung oder Nichterfüllung der bezeichneten Pflichten für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung völlig unerheblich ist. Die allgemeinen Schutzvorschriften ebenso wie die sonstigen Schutzvorschriften des HAG bezwecken, ausgehend von dem Gedanken einer besonderen Schutzbedürftigkeit der in Heimarbeit Beschäftigten, zu denen die Hausgewerbetreibenden ebenso zählen wie die Heimarbeiter (§ 2 Abs. 1 HAG 1939; § 1 Abs. 1 HAG 1951), die Sicherstellung dieses Personenkreises nach verschiedenen Richtungen hin. Die im HAG vorausgesetzte besondere Schutzbedürftigkeit der in Heimarbeit Beschäftigten kann angesichts der rechtlichen Verknüpfung des Umsatzsteuerrechts mit dem Arbeitsrecht, wie sie sich aus § 40 UStDB 1938 und aus § 44 UStDB 1951 ergibt, auch für die umsatzsteuerrechtliche Betrachtung nicht außer acht gelassen werden. Dem hat der Reichsfinanzhof Rechnung getragen, als er in seinem Urteil V A 263/36 vom 21. Dezember 1936 (Slg.Bd. 40 S. 257, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1937 S. 326) unter Hinweis auf die Begründung zum HAG 1934 (Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1934 Nr. 72 S. 2) aussprach, daß Hausgewerbetreibende steuerfrei sind, wenn das kleine Ausmaß des Unternehmens neben wirtschaftlicher Abhängigkeit eine besondere Schutzbedürftigkeit in Erscheinung treten läßt, wobei der für die Entscheidung maßgebende Umfang des Unternehmens im Einzelfalle nach dem Gesamtbild beurteilt werden soll, das sich aus der Zusammensetzung einzelner objektiver Merkmale (Umsatzhöhe, Arbeiterzahl) ergibt. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung des Reichsfinanzhofs grundsätzlich bei.

Für die Beurteilung der Frage, ob die hiernach umsatzsteuerlich rechtserhebliche besondere Schutzbedürftigkeit im einzelnen Falle gegeben ist, sind nach dem oben Ausgeführten die Steuerbehörden rechtlich nicht daran gebunden, ob die im HAG vorgesehenen, auf dem Gedanken der Schutzbedürftigkeit beruhenden Schutzvorschriften eingehalten werden oder nicht. Es kommt jedoch der Einhaltung oder der Nichteinhaltung der Vorschriften die Bedeutung eines von den Steuerbehörden zu würdigenden Beweisanzeichens für oder gegen das Vorliegen besonderer Schutzbedürftigkeit zu. Jedenfalls läßt sich aus der Einhaltung der Schutzvorschriften, insbesondere der Vorschriften über Listenführung und über die Führung von Entgeltbüchern, in der Regel der Schluß herleiten, daß Schutzbedürftigkeit im arbeitsrechtlichen und auch im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gegeben ist; es spricht in solchem Falle eine zwar widerlegbare, aber starke Vermutung für das Vorliegen der Schutzbedürftigkeit. Eine Umkehrung dieses Satzes dahin, es spreche bei Nichteinhaltung der Schutzvorschriften eine starke Vermutung dafür, daß Schutzbedürftigkeit nicht gegeben sei, wird sich in dieser Allgemeinheit allerdings nicht vertreten lassen. Immerhin läßt aber die Nichteinhaltung der Schutzvorschriften Raum für die Vermutung, daß es an einer besonderen Schutzbedürftigkeit fehlen könne. Es bedarf deshalb bei Nichteinhaltung der Schutzvorschriften einer sorgfältigen Prüfung, ob sich die Nichteinhaltung als ein Verstoß der Auftraggeber gegen diese Vorschriften darstellt oder ob sie etwa darauf zurückzuführen ist, daß nach der Überzeugung der beteiligten Stellen ein zur Beachtung der Schutzvorschriften zwingender Fall einer schutzbedürftigen Heimarbeit in Wirklichkeit nicht vorliegt.

Ausreichende Ermittlungen nach der Richtung hin worauf im vorliegenden Falle die Nichteinhaltung der allgemeinen Schutzvorschriften (Listenführung, Führung von Entgeltbüchern) zurückzuführen ist, hat die Vor instanz von ihrem Standpunkte aus nicht für erforderlich gehalten. Das Berufungsurteil ist deshalb wegen durch Rechtsirrtum beeinflußter unzureichender Sachaufklärung aufzuheben. Es erscheint dem Senat geboten, die Streitsache an das Finanzamt zurückzuverweisen. Dieses wird im Hinblick auf die Behauptung der Stpfl., daß sich nach der Anmeldung eines selbständigen Gewerbes in der Art ihrer Tätigkeit und damit wohl auch in der Art der Beziehungen zu den Auftraggebern nichts geändert habe, an Hand der noch im einzelnen festzustellenden Vereinbarungen der Stpfl. mit ihren Auftraggebern zu prüfen haben, ob ungeachtet der Gewerbeanmeldung etwa ein Eingliederungsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 UStG bestehen geblieben ist, das es rechtfertigen würde, die Gesellschafter der Stpfl. nach wie vor als Heimarbeiter anzusehen mit der Folge, daß eine umsatzsteuerbare Tätigkeit nicht angenommen werden könnte. Lassen sich ausreichende Merkmale für eine solche Eingliederung nicht feststellen, so wird das Finanzamt zweckmäßig eine Stellungnahme der in Betracht kommenden Stellen (z. B. der Verbände, denen die Gesellschafter der Stpfl. und deren Auftraggeber angehören, ferner etwa der zuständigen Arbeitsbehörde oder der Industrie- und Handelskammer) darüber herbeizuführen haben, ob sich nach der Art, wie die Beziehungen der Stpfl. zu ihren Auftraggebern nach der Gewerbeanmeldung gestaltet worden sind, die Tätigkeit der Gesellschafter der Stpfl. noch als Tätigkeit von Hausgewerbetreibenden auffassen läßt oder ob die mit der Gewerbeanmeldung angebahnte Entwicklung für eine solche Auffassung keinen Raum mehr läßt.

Bei der auf der Grundlage der weiteren Ermittlungen zu treffenden erneuten Entscheidung (Einspruchsentscheidung oder -- beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 94 Abs. 1 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung -- Änderung des Steuerbescheids) wird das Finanzamt zu beachten haben, daß dann, wenn sonstige Bedenken gegen die Hausgewerbetreibendeneigenschaft der Gesellschafter der Stpfl. nicht ersichtlich sind, die Nichteinhaltung der Schutzvorschriften über die Listenführung und über die Führung von Entgeltbüchern auch unter dem Gesichtspunkte der Unabdingbarkeit der durch die Schutzvorschriften des HAG den Auftraggebern auferlegten Pflichten (zu vgl. Fitting-Karpf, Kommentar zum Heimarbeitsgesetz vom 14. März 1951, S. 52) einer steuerlichen Anerkennung als Hausgewerbetreibende nicht entgegensteht. Auch die Höhe des im streitigen Veranlagungszeitraum von der Stpfl. erzielten Umsatzes wird für sich allein eine Versagung der Anerkennung und damit der Steuerfreiheit nicht rechtfertigen können.

 

Fundstellen

BStBl III 1955, 79

BFHE 1955, 207

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