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BFH Urteil vom 17.08.1972 - IV R 104/71

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Leitsatz (amtlich)

Die Gebäude der alten Hofstelle eines buchführenden Landwirts, die bisher zum notwendigen Betriebsvermögen gehörten, scheiden grundsätzlich nicht schon deshalb aus dem Betriebsvermögen aus, weil sie nach der Verlegung der Betriebstätte nicht mehr landwirtschaftlich genutzt, sondern an Gewerbetreibende vermietet werden. Sie können unter gewissen Voraussetzungen als gewillkürtes Betriebsvermögen fortgeführt werden.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob anläßlich der Verlegung (Aussiedlung) der landwirtschaftlichen Betriebstätte des Steuerpflichtigen die in der landwirtschaftlich nicht mehr genutzten alten Hofstelle (Anwesen) steckenden stillen Reserven aufgedeckt und versteuert werden müssen.

Der Steuerpflichtige bewirtschaftete im streitigen Wirtschaftsjahr 1960/61 als buchführender Landwirt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die landwirtschaftliche Betriebstätte befand sich zunächst mitten im Stadtzentrum.

Der landwirtschaftliche Grundbesitz lag außerhalb der Stadt. Wegen der dadurch gegebenen Schwierigkeiten bei der Bewirtschaftung entschloß sich der Steuerpflichtige zur Aussiedlung an den Stadtrand. Dort baute er auf einem ihm gehörigen Grundbesitz eine neue Hofstelle. Die Übersiedlung erfolgte am 21. Oktober 1960. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Übersiedlung verkaufte der Steuerpflichtige von dem alten Hofgrundstück ein Teilgrundstück für 75 000 DM. Davon entfielen 12 000 DM auf frühere Wirtschaftsgebäude. Der bei diesen entstandene Veräußerungsgewinn von 3 564 DM wurde gemäß Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 8. August 1960 auf das Ersatzwirtschaftsgut übertragen.

Die alten Hofgebäude wurden überwiegend als Möbellager vermietet, ihre Bilanzwerte jedoch in der Betriebsbilanz weiter geführt. Nach einer im November 1967 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat das FA die Ansicht, daß durch die Überführung der alten Betriebsgebäude in das Privatvermögen infolge anderweitiger Nutzung nach der Aussiedlung stille Reserven aufzudecken seien. Es errechnete den dadurch sich ergebenden Entnahmegewinn auf 66 031 DM.

Der Einspruch, mit dem der Steuerpflichtige unter anderem vortrug, er habe die alten Hofgebäude weiterhin als sein Betriebsvermögen erklärt, eine Gewinnverwirklichung sei daher nach der Rechtsprechung des BFH nicht eingetreten, hatte keinen Erfolg. Mit der Klage brachte der Steuerpflichtige vor, die alte Hofstelle sei für den Bau der neuen Hofstelle mit einer Hypothek von 75 000 DM belastet worden, außerdem sei ein Teil der alten Hofstelle schon vor der Aussiedlung als Lagergebäude vermietet gewesen. Wenn die vom FA im Betriebsprüfungsbericht geäußerte Ansicht über die Notwendigkeit der Aufdeckung der stillen Reserven richtig sein sollte, so müßten diese gemäß Abschnitt 35 EStR auf die neue Hofstelle als Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden. Die Versteuerung eines Entnahmegewinns müsse als unbillig angesehen werden. Der Fall liege bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht anders als bei einer Veräußerung gegen Entschädigung, da das Grundstück der alten Betriebstätte mit den Hypotheken zur Finanzierung des Neubaus belastet worden sei. Hilfsweise werde die Tarifvergünstigung des § 34 EStG wegen der Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebes begehrt.

Das FA wies demgegenüber darauf hin, daß jede Entnahme zu ihrer steuerlichen Wirksamkeit eine eindeutige Entnahmehandlung voraussetze, also eine Maßnahme oder einen erkennbaren Willensentschluß des Steuerpflichtigen, daß das Wirtschaftsgut dem Betriebsvermögen entnommen werde. Eine solche Maßnahme oder ein solcher Entschluß des Steuerpflichtigen sei in der Zeit vor der Überführung in das Privatvermögen im Zeitpunkt der Aussiedlung nicht erkennbar. Der vermietete Grundstücksteil sei weiterhin bilanziert worden.

Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus: Der Hauptantrag des Steuerpflichtigen, die aufgedeckten stillen Reserven grundsätzlich für steuerfrei zu erklären, entbehre jeglicher gesetzlichen Grundlage. Die stillen Reserven seien aufzulösen, wenn das Wirtschsftsgut veräußert oder aus dem Betriebsvermögen entnommen werde. Es entstehe dann ein steuerpflichtiger Gewinn in Höhe des Betrages, um den das Entgelt oder der Teilwert den Buchwert des Wirtschaftsgutes im Zeitpunkt der Veräußerung oder der Entnahme übersteige. Auch die Bildung einer Rücklage nach Abschnitt 35 EStR für Ersatzbeschaffung komme nicht in Betracht. Die Tarifvergünstigung des § 34 EStG könne dem Steuerpflichtigen nicht gewährt werden, da keine Veräußerung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb vorliege. Auch eine als Veräußerung geltende Aufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs sei nicht gegeben, denn Voraussetzung dafür sei es, daß der Steuerpflichtige die wesentlichen Grundlagen seines Betriebes veräußere oder in das Privatvermögen überführe. Hier habe der Steuerpflichtige lediglich die Gebäude seiner alten Hofstelle in sein Privatvermögen überführt, während er die übrigen Bestandteile (Felder, Inventar etc.) noch weiterhin betrieblich nutzte.

Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige die Verletzung materiellen Rechtes und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die aufgedeckten stillen Reserven grundsätzlich für steuerfrei zu erklären, hilfsweise beantragt er die Zulassung der Bildung einer Rücklage gemäß Abschnitt 35 EStR.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet.

Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt, daß der Steuerpflichtige die in den alten Hofgebäuden steckenden stillen Reserven mit steuerlicher Wirkung auflösen muß, wenn diese Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen entnommen worden sind. Es geht auch davon aus, daß eine solche Entnahme im Streitjahr stattgefunden hat. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich jedoch nicht, daß die alten Hofgebäude aus dem Betriebsvermögen entnommen wurden. Es muß vielmehr das Gegenteil angenommen werden, und zwar aus folgenden Gründen:

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. unter anderem Urteil IV 274/63 U vom 9. Januar 1964, BFH 78, 243, BStBl III 1964, 97) kann allein in der Tatsache, daß die alten Hofgebäude nach der Verlegung der Hofstelle vom Steuerpflichtigen nicht mehr betrieblich (landwirtschaftlich) genutzt, sondern überwiegend an Gewerbetreibende vermietet wurden, keine Entnahme dieser Gebäude aus dem Betriebsvermögen gesehen werden, wie der Betriebsprüfer und das FA offenbar angenommen haben.

Diese Annahme wäre nur gerechtfertigt, wenn die alte Hofstelle, die durch die Änderung der Nutzung nicht mehr zum notwendigen Betriebsvermögen gehörte, vom Steuerpflichtigen auch nicht als gewillkürtes landwirtschaftliches Betriebsvermögen hätte beibehalten werden können.

Wie der erkennende Senat im Urteil IV 20/63 U vom 30. Juli 1964 (BFH 80, 274, BStBl III 1964, 572) betont hat, kann auch ein buchführender landwirtschaftlicher Betrieb gewillkürtes Betriebsvermögen haben. Voraussetzung für diese Zuordnung ist allerdings, daß - ähnlich wie bei Gewerbetreibenden - das betreffende Wirtschaftsgut nicht zum notwendigen Privatvermögen gehört, in einer gewissen objektiven Beziehung zum Betrieb steht und ihn zu fördern bestimmt und geeignet ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Eine alte landwirtschaftliche Hofstelle, die vom Eigentümer nicht mehr bewohnt und in der Hauptsache an Gewerbetreibende vermietet ist, stellt kein notwendiges Privatvermögen eines Landwirts dar. Die objektive Beziehung der alten Hofstelle zum landwirtschaftlichen Betrieb ergibt sich bereits aus ihrer bisherigen Verwendung, durch die sie bis zur Verlegung der Betriebstätte Teil des notwendigen Betriebsvermögens war. Bei solchen bisher zum notwendigen Betriebsvermögen gehörigen Wirtschaftsgütern bedarf es zur Bejahung einer gewissen objektiven Beziehung zum Betrieb keines weiteren Nachweises (vgl. BFH-Urteil IV 274/63 U). Daß die alte Hofstelle auch nach ihrer anderweitigen Verwendung zur Förderung des landwirtschaftlichen Betriebes bestimmt und geeignet war, ergibt sich hier daraus, daß das Grundstück mit einer Hypothek belastet wurde, mit deren Hilfe die neue Hofstelle am Stadtrand errichtet werden konnte. Der Steuerpflichtige hatte danach die Möglichkeit, die alte Hofstelle als gewillkürtes Betriebsvermögen weiterzuführen. Er hatte damit die Wahl, ob er das bisher zum notwendigen Betriebsvermögen gehörige Wirtschaftsgut weiterhin als gewillkürtes Betriebsvermögen beibehalten oder durch Überführung in das Privatvermögen dem Betriebsvermögen entnehmen wollte. Das FA konnte eine solche Entnahme des Steuerpflichtigen nach dem Sachverhalt nicht einfach unterstellen. Wie das FA selbst zutreffend dargelegt hat, setzt jede Entnahme von Betriebsvermögen eine Entnahmehandlung des Steuerpflichtigen in dem betreffenden Wirtschaftsjahr voraus (vgl. BFH-Urteil IV R 192/67 vom 29. April 1970, BFH 99, 523, BStBl II 1970, 754). Hat sich also der Steuerpflichtige für eine Privatentnahme entschieden, so muß er durch eine Entnahmehandlung, vor allem also durch die Ausbuchung, das Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen entnehmen.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat sich der Steuerpflichtige im Wirtschaftsjahr 1960/61 nicht für eine Entnahme der alten Hofgebäude aus dem Betriebsvermögen entschieden. Eine Entnahmehandlung liegt nicht vor. Es ist vielmehr unter den Beteiligten unstreitig, daß der Steuerpflichtige die alten Hofgebäude auch nach der Übersiedlung in die neue Hofstelle bis zur Betriebsprüfung im Jahre 1967 als Betriebsvermögen weitergeführt hat. Der Steuerpflichtige hatte sich im Einspruchsverfahren auch ausdrücklich gegen die Annahme einer Privatentnahme gewehrt.

Danach ist die alte Hofstelle in den Streitjahren gewillkürtes Betriebsvermögen geblieben. Die von der Vorinstanz bejahte Aufdeckung und Versteuerung der in der alten Hofstelle steckenden stillen Reserven wurde vom FA zu Unrecht vorgenommen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage der Übertragung der aufgedeckten stillen Reserven auf das Ersatzwirtschaftsgut. Die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide des FA müssen wegen fehlerhafter Anwendung materiellen Rechtes aufgehoben werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413330

BStBl II 1972, 942

BFHE 1973, 132

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