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BFH Urteil vom 10.02.1972 - V R 119/68

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Leitsatz (amtlich)

Entschädigungen, die als Folgewirkung einer Enteignung nach § 96 BBauG gezahlt werden, sind kein Schadensersatz und daher umsatzsteuerbar.

 

Normenkette

UStG 1951 § 1 Nr. 1; BBauG § 96

 

Tatbestand

Streitig ist die Umsatzsteuerpflicht einer "Gewerbeentschädigung" und einer "Inventarentschädigung", die nach der Enteignung eines Grundstücks mit einer Gastwirtschaft gezahlt worden sind.

Die Kläger (Steuerpflichtigen) betrieben zusammen mit ihrer Mutter, der verstorbenen Frau M, in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im folgenden "Gesellschaft") eine Gaststätte. Das Grundstück, auf dem die Gaststätte betrieben wurde, gehörte Frau M. Durch Beschluß des Amtsgerichts wurde das Grundstück im Jahre 1961 enteignet. Als Entschädigung zahlte die Stadtgemeinde - unabhängig von der Entschädigung für das Grundstück - an die Gesellschaft eine "Gewerbeentschädigung" von 104 375 DM und eine "Inventarentschädigung" von 8 159 DM, zusammen 112 534 DM. Die Steuerpflichtigen halten diesen Betrag für echten Schadensersatz und den Vorgang deshalb für nicht steuerbar; das FA unterwarf ihn der Umsatzsteuer.

Auf die Klage hat das FG den Betrag von 112 534 DM von der Umsatzsteuer freigestellt und die Umsatzsteuer für das Jahr 1962 entsprechend dem Antrag der Kläger unter Abänderung des Steuerbescheides auf 4 981,35 DM festgesetzt.

Es hat ausgeführt: Das Interesse der Stadtgemeinde habe sich auf das Grundstück beschränkt, weshalb auch nur dieses - nicht aber der Gaststättenbetrieb - Gegenstand des Enteignungsverfahrens gewesen sei. Daß mit der Enteignung des Grundstücks auch die Gaststätte habe aufgegeben werden müssen und das Inventar wertlos geworden sei, sei eine unvermeidliche, nicht einmal beabsichtigte Nebenfolge der Enteignung gewesen. Die Entschädigung sei auch nicht für die Räumung des Grundstücks - zur Räumung wäre die Gesellschaft auch ohne Zahlung einer Entschädigung verpflichtet gewesen - und für die Aufgabe des Geschäftsbetriebs gezahlt worden, sondern für den Mindergewinn, der für den Fall zu erwarten gewesen wäre, daß die Gesellschaft die Gaststätte an anderer Stelle erneut errichte. Dies entspreche nicht nur einer natürlichen Betrachtungsweise, sondern ergebe sich auch aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Landgerichts, in dem die Gewerbeentschädigung auf insgesamt 104 375 DM festgesetzt worden sei. Diese Entschädigung sei auch nicht etwa für die Aufgabe eines Rechts am eingerichteten Gewerbebetrieb gezahlt worden, da das Recht der Gesellschafter zum Betrieb der Gaststätte nicht Gegenstand des Enteignungsverfahrens gewesen sei. Es handle sich mithin bei der Entschädigung nicht um die Abgeltung einer Leistung, sondern um echten Schadensersatz, der nicht der Umsatzsteuer unterliege. Für die sog. "Inventarentschädigung" gelte dies sinngemäß.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des geltenden Rechts, insbesondere des § 1 Nr. 1 UStG 1951.

Das FG habe übersehen, daß bei einer Enteignung neben dem Eigentümer des Grundstücks auch sonstige Nebenberechtigte betroffen würden, die nach den Bestimmungen des BBauG ebenso entschädigungsberechtigt seien. Das Interesse der Stadtgemeinde sei nicht nur auf das bloße Eigentum, sondern auch auf die damit zusammenhängenden Besitz- und Nutzungsrechte gerichtet gewesen, dementsprechend sei auch der von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) auf dem Grundstück betriebene Gewerbebetrieb Gegenstand des Enteignungsverfahrens gewesen. Das Amtsgericht als Enteignungsbehörde habe nicht nur über die Enteignung des Grundstücks, sondern auch über die Höhe der an die Revisionsbeklagten zu zahlenden Gewerbeentschädigung entschieden.

Der Umstand, daß sich der förmliche Enteignungsbeschluß nur gegen die Grundstückseigentümerin gerichtet habe, lasse nicht den Schluß zu, daß die Revisionsbeklagten nicht in das Enteignungsverfahren einbezogen worden seien, da die Enteignungsbehörde bei Einigung der Beteiligten auch ohne förmlichen Enteignungsbeschluß verfahren könne (vgl. §§ 110, 113 BBauG). Zwar hätten die der GbR kraft Gesellschaftsvertrags am Grundstück eingeräumten persönlichen Besitz- und Nutzungsrechte Gegenstand eines selbständigen Enteignungsverfahrens sein können (vgl. §§ 113 Abs. 2 Nr. 4 c, 97 Abs. 3 Nr. 2 BBauG). Zu einem solchen Verfahren habe jedoch hier keine Veranlassung bestanden, da die GbR freiwillig geräumt habe, um der Grundstückseigentümerin die Erfüllung ihrer gegenüber der Stadt übernommenen Räumungsverpflichtung zu ermöglichen.

Schließlich spreche auch die Berechnung der Gewerbeentschädigung der Höhe nach gegen die Annahme einer Schadensersatzleistung. Maßstab der Entschädigung sei der gemeine Wert (Verkehrswert des Gewerbebetriebs) gewesen. Voller Schadensersatz sei wesentlich umfassender als die gewährte Entschädigung, die nach dem 2 1/4fachen des Jahresreingewinns bemessen worden sei. Darin zeige sich der wesentliche Unterschied zum echten Schadensersatz, der zusätzlich auch den in der Zukunft entgangenen Gewinn hätte umfassen müssen (Hinweis auf Palandt-Hoche, Bürgerliches Gesetzbuch, § 903 Anm. 5d ee).

Da somit die hier in Rede stehende "Gewerbeentschädigung" für die Aufgabe des Gewerbebetriebs festgesetzt und gezahlt worden sei, stehe sie in Wechselwirkung zu einer von den Klägern erbrachten Leistung. Sie unterliege als Unterfall der für die Enteignung des Grundstücks selbst gezahlten Entschädigung ebenso wie diese der Umsatzsteuer nach § 1 Nr. 1 UStG 1951.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid des FA vom 4. August 1966 abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie halten daran fest, daß die Gewerbe- und die Inventarentschädigung nicht als Entgelt für eine Leistung (§ 1 Nr. 1 UStG 1951), sondern als Schadensersatz gezahlt worden seien. Die Vorinstanz sei zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß die Stadt die Entschädigungen gezahlt habe, weil sie durch die Enteignung des Grundstücks zwangsläufig auch den Gewerbebetrieb zum Stillstand gebracht habe. Ein Leistungsaustausch nach § 1 UStG 1951 liege daher nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist - wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat - das rechtskräftige Urteil des Landgerichts. Danach handelt es sich bei der "Gewerbeentschädigung" und - wie sich aus den Gründen des Urteils ergibt - auch bei der" Inventarentschädigung" eindeutig um Entschädigungen nach § 96 BBauG. Es kommt also darauf an, ob diese Entschädigungen als Schadensersatz zu qualifizieren sind oder nicht.

2. Für die Beurteilung dieser Frage ist nach der Rechtsprechung des BFH maßgebend, ob eine echte Wechselbeziehung zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben ist (§ 1 Nr. 1 UStG 1951; vgl. Urteile V 37/62 S vom 11. März 1965, BFH 82, 158, BStBl III 1965, 303, und V 144/65 vom 27. Februar 1969, BFH 95, 308, BStBl II 1969, 387). Das ist nicht der Fall, wenn der Entschädigungsbetrag gezahlt worden ist, weil dem Empfänger ein Schaden, also ein zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtender Nachteil an seinem Vermögen oder sonstigen Rechtsgütern zugefügt worden ist. Diese Lage ist dann gegeben, wenn der Nachteil vom Entschädigungspflichtigen gegen den Willen des Entschädigungsempfängers verursacht worden ist, ohne daß sich jener auf eine gesetzliche oder behördliche Anordnung stützen kann (§ 1 Nr. 1 Satz 2 UStG 1951). Hier liegt aber eine solche Anordnung vor.

3. Die Entschädigung nach § 96 BBauG ist zwar - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - nicht identisch mit der Entschädigung für die Enteignung des Grundstücks selbst. Der Unterschied besteht aber nur hinsichtlich des entschädigten Gegenstandes, nicht hinsichtlich des rechtlichen Charakters der Entschädigung. Denn § 96 BBauG spezifiziert lediglich die Vorschrift des § 93 Abs. 2 Nr. 2 BBauG, derzufolge neben die Entschädigung für den Rechtsverlust am Grundstück noch diejenige für "andere durch die Enteignung eintretende Vermögensnachteile" tritt (vgl. Brüggelmann-Pohl, Kommentar zum Bundesbaugesetz, Anm. 1 zu § 96, unter Hinweis auf das Urteil des BGH III ZR 172/64 vom 6. Dezember 1965, NJW 1966, 493). Es handelt sich hierbei um solche Vermögensnachteile, die ohne dingliche Wertbeziehung zum Grundstück entstehen (vgl. das genannte BGH-Urteil vom 6. Dezember 1965). Eben dies trifft auf die Gewerbeentschädigung in vollem Umfang zu, weil mit dieser die Folgeschäden der Enteignung in bezug auf den damit zwangsläufig zum Erliegen gebrachten Gaststättenbetrieb der Gesellschafter abgegolten werden sollten.

4. Der Senat kommt daher - in Übereinstimmung mit der Literatur zum BBauG, vgl. Brüggelmann-Pohl, a. a. O., § 96 Anm. 4; Schütz-Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, § 96 Anm. III Nr. 2 - zu dem Ergebnis, daß die hier in Rede stehenden Entschädigungen begrifflich und wirtschaftlich kein Schadensersatz sind. Sie stehen vielmehr in Wechselbeziehung zur Aufgabe des Gaststättenbetriebes (Gewerbeentschädigung) und der Aufgabe seiner zweckgebundenen Inneneinrichtung (Inventarentschädigung), also einer Leistung nach § 1 Nr. 1 UStG 1951, deren Steuerpflicht nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Umsatz - als Folgewirkung der Enteignung des Grundstücks -, also auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt worden ist (§ 1 Nr. 1 Satz 2 UStG 1951).

Der Senat befindet sich damit auch nicht in Widerspruch zu dem BFH-Urteil V 216/60 vom 28. Februar 1963 (HFR 1963, 419), das einen Fall des § 4 Abs. 3 des Mieterschutzgesetzes (MSchG) betrifft, in dem der Sachverhalt schon insofern anders gelagert ist, als § 4 Abs. 3 MSchG nur eine in das Ermessen des Gerichtes gestellte Billigkeitsentschädigung kennt.

Die Vorinstanz ist zu einem anderen Ergebnis gelangt. Ihre Entscheidung war daher aufzuheben und - da die Sache spruchreif ist - die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 4. August 1966 abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 403

BFHE 1972, 75

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