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BFH Beschluss vom 21.05.1971 - III B 48/70

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Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Einspruch des Abgabepflichtigen gegen den Abgabenbescheid des Finanzamts zu einer Herabsetzung des Abgabenbetrages geführt und ist der Streit um die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung durch Anfechtungsklage des Abgabepflichtigen vor dem Finanzgericht fortgeführt worden, so kann der Antrag des Abgabepflichtigen, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß, soweit der Einspruch Erfolg gehabt habe, sich ein Klageverfahren nicht mehr habe anschließen können.

2. Ein Einspruch, dem das Finanzamt in einem vorangegangenen Verfahren stattgegeben hatte, ist kein Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 FGO, wenn ein zweiter in die Klage einmündender Einspruch das gleiche materielle Ziel hatte.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Durch einen nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO berichtigten Bescheid waren die Erben zur Vermögensabgabe herangezogen worden.

Ihr Einspruch gegen diesen Bescheid hatte insofern Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung eine Teilverjährung der festgesetzten Vermögensabgabeschuld anerkannte und demgemäß die Nachzahlung der Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge 108 bis 64 entsprechend herabsetzte. Die darüber hinaus von den Einspruchsführern geltend gemachte Verwirkung der nachgeforderten Vermögensabgabeleistungen erkannte das FA nicht an. Die Kosten des Einspruchsverfahrens wurden zu 4/5 den Einspruchsführern auferlegt, so daß das FA 1/5 der Kosten selbst zu tragen hatte.

Die Klage der Beschwerdeführerin, zu der eine Miterbin als Beteiligte hinzugezogen worden war, hatte in der Sache selbst vollen Erfolg. Das FG hob sowohl den nach § 222 AO berichtigten Bescheid als auch die angefochtene Einspruchsentscheidung des FA auf, weil das FA das Nießbrauchsrecht bzw. die Nießbrauchslast der abgabepflichtigen Erblasser bei der Vermögensabgabe unberücksichtigt gelassen hatte. Das FG ließ die Kostenentscheidung des FA im Einspruchsverfahren unverändert bestehen und belastete die Klägerin mit den vollen Kosten des Klageverfahrens, weil sie das Bestehen des Nießbrauchsrechtes bereits im Einspruch gegen den berichtigten Vermögensabgabebescheid hätte geltend machen können.

Mit einem an das FG gerichteten Schreiben vom 15. Juni 1970 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin, gestützt auf den Beschluß des BVerfG 1 BvL 8, 19/68 vom 28. Januar 1970 (BVerfGE 27, 391), Antrag auf Erstattung seiner Gebühren, und zwar sowohl für ein vorangegangenes Verfahren, das sich gegen eine Berichtigung des ursprünglichen Vermögensabgabescheides gemäß § 92 AO gerichtet und zur Aufhebung des Berichtigungsbescheids wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen des § 92 AO geführt hatte, als auch für das Einspruchsverfahren, welches der Klage unmittelbar vorangegangen war und in dem die Kosten des Verfahrens zu 1/5 vom FA zu tragen waren.

Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 24. August 1970 beim FG den Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären, und zwar sowohl für das Einspruchsverfahren gegen die Berichtigung gemäß § 92 AO als auch für das Einspruchsverfahren gegen § 222 AO, das in die Klage einmündete.

Das FG hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß ein Einspruchsverfahren nur insoweit Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 FGO sei, als es in das Klageverfahren übergehe. Sei der Steuerpflichtige bereits im Vorverfahren teilweise erfolgreich gewesen, so habe sich insoweit ein Klageverfahren nicht mehr anschließen können. Damit scheide nach geltendem Recht eine Kostenerstattung für ein teilweise erfolgreiches Vorverfahren auch dann aus, wenn in einem anderen Punkte Klage erhoben worden sei.

Gegen diese Entscheidung des FG richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der vom FG nicht abgeholfen worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der angefochtene Beschluß ist aufzuheben.

Das FG hat seine Entscheidung damit begründet, daß sich bei teilweise erfolgreichem Vorverfahren (Einspruchsverfahren) ein Klageverfahren insoweit nicht mehr anschließen könne, als der Einspruch Erfolg gehabt hat. Diese Begründung erscheint schon deshalb bedenklich, weil sie dem Begriff des Streitgegenstandes, wie er in der Entscheidung des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344) festgelegt worden ist, nicht gerecht wird. Danach ist Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides allerdings in den Grenzen, die den Anträgen des Steuerpflichtigen, der sich mit einer Herabsetzung der festgesetzten Steuer begnügen kann, entsprechen. Im Streitfall kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Rechtmäßigkeit des gesamten nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO berichtigten Vermögensabgabebescheides Streitgegenstand gewesen ist, da dieser Bescheid schon durch den Einspruch seinem ganzen Umfang nach angegriffen worden war. Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, daß das FA in der Einspruchsentscheidung dem Begehren des Steuerpflichtigen zu einem geringen Teil entsprochen hatte. Denn Gegenstand des nachfolgenden Klageverfahrens blieb nach wie vor die völlige Beseitigung des wegen Rechtsverletzung angefochtenen Veranlagungsbescheids. Die Einspruchsentscheidung hatte deshalb zwar die Wirkung, daß das FG die vom FA in der Einspruchsentscheidung herabgesetzte Abgabe seinerseits nicht wieder erhöhen durfte. Davon abgesehen hatte aber das FG die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abgabebescheides ebenso in vollem Umfang der rechtlichen Prüfung zu unterziehen, wie es das FA im Einspruchsverfahren getan hatte, und zwar auch insoweit, als das FA wegen teilweiser Verjährung des festgesetzten Abgabenbetrages in der Einspruchsentscheidung eine Herabsetzung der Vermögensabgabe vorgenommen hatte. Dies hätte jedenfalls dann, wenn das FG in der Verjährungsfrage zu einem anderen rechtlichen Ergebnis gelangt wäre als die Einspruchsentscheidung, im Streitfall zur Folge haben müssen, daß das FG, wenn es aus anderen Gründen eine Herabsetzung der Vermögensabgabe für geboten erachtete, die sich daraus ergebende Ermäßigung der Vermögensabgabe gegebenenfalls um den wegen der vom FA angenommenen Verjährung gewährten Ermäßigungsbetrag in den Grenzen, die durch das Verböserungsverbot gezogen werden, hätte mindern müssen. Es trifft deshalb nicht zu, daß sich, soweit der Verjährungseinwand im Einspruchsverfahren zur Herabsetzung der Vermögensabgabe geführt hatte, insoweit ein Klageverfahren nicht mehr habe anschließen können. Eine Beschränkung des Klagegegenstands war somit durch die Einspruchsentscheidung entgegen der Auffassung des FG nicht herbeigeführt worden.

Im übrigen nötigt der Wortlaut des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht zu der Auslegung, die das FG der Vorschrift gegeben hat. Denn der Satzteil "soweit ein Vorverfahren geschwebt hat" kann auch in dem Sinne verstanden werden, daß die Erklärung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren davon abhängig gemacht werden muß, daß ein solches Vorverfahren überhaupt geschwebt hat. Daß andererseits eine Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO vom FG nur getroffen werden kann, wenn das Begehren des Klägers nicht bereits im Vorverfahren seine endgültige Erledigung gefunden hat, sondern durch Einlegung eines Rechtsmittels in das Klageverfahren übergegangen ist, liegt auf der Hand. Denn nur soweit das FG überhaupt mit einer Klage befaßt worden ist, kann es auch eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und, soweit es durch § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO dazu berufen worden ist, über die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Vorverfahrens treffen. Das besagt aber nicht, daß das Gericht die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten nur in dem Umfang aussprechen dürfte, in dem der Kläger im Vorverfahren unterlegen ist, und daß es die Erstattung der durch die Vertretung des Klägers im Vorverfahren entstandenen Kosten nicht anordnen darf, soweit der Kläger die Kosten des Vorverfahrens nach dem Inhalt der Einspruchsentscheidung nicht zu tragen hat. Würde man die gegenteilige Auffassung vertreten, so müßte das allgemein zu dem sonderbaren Ergebnis führen, daß, je wirksamer die Wahrnehmung der Rechte des Steuerpflichtigen im Vorverfahren gewesen ist und je berechtigter sich seine Einwendungen gegen die Besteuerung schon im Vorverfahren erwiesen haben, um so geringer sein Anspruch auf die Erstattung der im Vorverfahren erforderlichen Vertretungskosten sein würde (vgl. hierzu Wendt in NJW 1970, 1407).

Vielleicht könnte eine derart die Anwendung des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO einschränkende Gesetzesauslegung dem Sinn und der Zweckrichtung des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO a. F. entsprochen haben. Nachdem aber das BVerfG in dem oben genannten Beschluß 1 BvL 8, 19/68 vom 28. Januar 1970 diese Vorschrift für nichtig erklärt hat, weil sie mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sei und deshalb gegen Art. 3 GG verstoße, erscheint eine einengende Auslegung des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht mehr gerechtfertigt.

Da die Vorentscheidung dies verkannt hat, war der angefochtene Beschluß des FG aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Unter Berücksichtigung der erheblichen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Rechtsmitteln in Lastenausgleichssachen erscheint insbesondere im Streitfall, in dem den rechtlich bedeutsamen und nicht leicht zu beurteilenden Fragen der Verjährung und Verwirkung im Einspruchsverfahren eine entscheidende Bedeutung zukam, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig und geboten. Die Entscheidung des erkennenden Senats betrifft allerdings nur das Vorverfahren, das die Aufhebung des gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO geänderten Vermögensabgabebescheides zum Gegenstand hatte. Nur insoweit ist dieser nach § 222 AO berichtigte Vermögensabgabebescheid Gegenstand des finanzgerichtlichen Klageverfahrens gewesen. Das vorangegangene Einspruchsverfahren gegen den gemäß § 92 AO geänderten Bescheid hatte seine Erledigung nach § 94 AO gefunden und bildet kein Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 FGO.

Unter der Beschränkung auf das Vorverfahren gegen den nach § 222 AO berichtigten Bescheid war der Beschwerde der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 135 FGO zu entsprechen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69245

BStBl II 1971, 714

BFHE 1971, 454

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