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BFH Beschluss vom 02.03.2005 - IX B 176/03 (NV) (veröffentlicht am 29.06.2005)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Verständlichkeit von Steuerformularen und der ihnen beigefügten Erläuterungen als tatrichterliche Würdigung des FG

 

Leitsatz (NV)

1. Ein die Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 hinderndes grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden steuermindernder Tatsachen liegt schon vor, wenn der Steuerpflichtige es unterlässt, das Einkommensteuerformular oder dazugehörende Erläuterungstexte durchzulesen und den Formularen beigefügte Erläuterungen unbeachtet lässt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht verständlich abgefasst sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910).

2. Die Frage, ob eine solche Verständlichkeit gegeben ist, betrifft allein die tatsächliche Würdigung des FG; sie kann allenfalls mit Verfahrensrügen, nicht aber wegen ihrer materiell-rechtlichen Richtigkeit mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden (BFH-Urteil vom 8. August 1998 IX R 63/90, BFH/NV 1999, 743).

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.02.2003; Aktenzeichen 4 K 444/99)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.

Weder hat das Finanzgericht (FG) den Begriff des groben Verschuldens i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) abweichend von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausgelegt noch stellen sich im Streitfall Fragen zur Auslegung dieses Begriffs, die in der bisherigen BFH-Rechtsprechung noch nicht geklärt sind und deshalb einer höchstrichterlichen Entscheidung bedürfen.

a) Das FG hat seiner Entscheidung entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt --FA--) keinen anderen Begriff des groben Verschuldens als der BFH zugrunde gelegt.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid nur zu ändern oder aufzuheben, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, bei deren Kenntnis der den Kläger belastende Bescheid nicht erlassen worden wäre und den Kläger kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Grobes Verschulden bedeutet Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, unter 4. d der Gründe, m.w.N.).

Diese Voraussetzung wird bejaht, wenn es ein Steuerpflichtiger unterlässt, das Einkommensteuerformular und den dazugehörenden Erläuterungstext im Einzelnen durchzulesen sowie den Erklärungsformularen beigefügte Erläuterungen zu beachten. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht verständlich abgefasst sind und auf die besondere Situation eingehen, an die die Mitwirkungspflicht anknüpft (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910, m.w.N.).

Diese rechtlichen Maßstäbe hat das FG entgegen der Ansicht des FA ausdrücklich seiner Entscheidung zugrunde gelegt, indem es grobes Verschulden bei Nichtbeachtung einer im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellten Frage grundsätzlich bejaht und lediglich bei unzureichender Verständlichkeit des Formulars oder seiner Erläuterungen verneint hat.

b) Die für den Streitfall vom FG als allein entscheidungserheblich angesehene und bejahte Frage, ob tatsächlich von einer fehlenden Verständlichkeit der gestellten Fragen im Formular auszugehen und damit Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu verneinen ist, betrifft allein die tatsächliche Würdigung des FG, die --abgesehen von hier nicht erhobenen Verfahrensrügen-- mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden kann (BFH-Beschluss vom 4. August 1993 II B 175/92, BFH/NV 1994, 718; vgl. auch BFH-Urteile vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; vom 21. September 1993 IX R 63/90, BFH/NV 1994, 99; vom 8. Dezember 1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743; vgl. auch BFH-Urteil vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441 zur revisionsrechtlichen Begrenzung auf die Prüfung, ob der Rechtsbegriff des Vorsatzes bzw. der groben Fahrlässigkeit richtig erkannt worden ist und ob die Würdigungder Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht).

c) Die vom FA schließlich erhobene Rüge, das FG habe angesichts der ausdrücklich im Steuererklärungsformular gestellten und erläuterten Fragen zu Unrecht ein grobes Verschulden bei der Nichtbeantwortung dieser Fragen durch die Klägerin verneint, betrifft allein die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Nichtbeachtung von Fragen und Erläuterungen der Steuererklärungsformulare und der ihnen beigefügten Merkblätter einer späteren Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO 1977 entgegenstehen kann. Dazu hat der BFH bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen Stellung genommen (vgl. Entscheidungen in BFH/NV 2003, 441, und in BFH/NV 2004, 910, m.w.N); die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, inwieweit diese Rechtsprechung Rechtsfragen unentschieden gelassen hat, die sich in diesem Verfahren stellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1381486

BFH/NV 2005, 1577

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