Leitsatz

* 1. Aufwendungen für Fahrten zum Besuch eines pflegebedürftigen Angehörigen können als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen sofern die Fahrten nicht lediglich der Unterhaltung verwandtschaftlicher Beziehungen oder der Erledigung gelegentlicher Besorgungen dienen, sondern die Betreuung und Pflege des Angehörigen zum Zweck haben.

2. Eine sittliche Verpflichtung zur Übernahme von Pflegeleistungen besteht nur, wenn für den Steuerpflichtigen ein unausweichliches, einem Rechtszwang ähnliches Gebot besteht. Dass der Angehörige die Pflege durch Dritte ablehnt, begründet noch keine ausreichende sittliche Verpflichtung.

3. Die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen fehlt, wenn der Steuerpflichtige von dem Angehörigen Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann.

* Leitsatz nicht amtlich

 

Normenkette

§ 33 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger besuchte seinen 80-jährigen allein lebenden Vater, der 120 km entfernt wohnte, zweimal pro Woche. Bei diesen Besuchen erbrachte er Pflegleistungen (Wäsche wechseln, Medikamentenversorgung, Körperpflege) und erledigte sonstige Besorgungen.

Das FG anerkannte – entgegen dem FA – die Fahrtkosten mit dem eigenen Kfz als außergewöhnliche Belastung an. Es stützte sich auf vom Kläger eingeholte medizinische Gutachten, die die Krankheit bzw. Pflegebedürftigkeit des Vaters auswiesen.

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Zwar sei der Vater des Klägers krank und pflegebedürftig gewesen. Wegen des u.U. sehr persönlichen Charakters der Pflegeleistungen könne jedoch nicht ohne weiteres von einer sittlichen Verpflichtung zur Pflege ausgegangen werden. Anders könne es nur sein, wenn es wegen nicht hinnehmbarer Folgen unzumutbar wäre, sich über die Weigerung des Angehörigen, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hinwegzusetzen.

Das FG habe auch nicht geprüft, ob der Kläger von seinem Vater hätte Ersatz seiner Aufwendungen verlangen können. Außerdem könnten die Fahrtkosten grundsätzlich nur in Höhe der Kosten öffentlicher Verkehrsmittel anerkannt werden.

 

Hinweis

Die Aufwendungen für Besuche unter Angehörigen sind regelmäßig ebenso wenig außergewöhnlich wie sonstige Kosten der Kontaktpflege, z.B. Telefonkosten. Das gilt auch für häufigere und über größere Entfernungen durchgeführte Fahrten zu kranken oder pflegebedürftigen Angehörigen, da solche Besuche allgemein üblich sind.

Ausnahmsweise anerkennt der BFH Besuchsfahrten, wenn sie ausschließlich dazu dienen, eine Krankheit oder ein Leiden zu heilen, zu lindern oder erträglicher zu machen. Unter dieser Voraussetzung rechnen die Aufwendungen zu den unmittelbaren Krankheitskosten. Dazu gehören auch Fahrten zur Betreuung und Versorgung eines kranken oder pflegebedürftigen Angehörigen, aber nur soweit sie über die Fahrten hinausgehen, die der Steuerpflichtige auch ohne die Erkrankung üblicherweise ausgeführt hätte. Übliche Fahrten zur Erledigung von Besorgungen wie Einkäufe und Schriftverkehr rechnen nicht dazu.

Eine sittliche Verpflichtung zur Pflege wird nur anerkannt, wenn sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Mitbürger dazu verpflichtet sehen kann. Bei einer Pflege kann angesichts des u.U. sehr persönlichen Charakters der Pflegeleistungen aber selbst bei einem nahen Verwandtschaftsverhältnis nicht ohne weiteres vom Bestehen einer sittlichen Verpflichtung ausgegangen werden. Das bedeutet, auch wenn dies widersprüchlich erscheinen mag, dass in schweren Pflegefällen die sittliche Verpflichtung – auch wenn die Pflege tatsächlich übernommen wird – eher zu verneinen sein wird. Denn dann dürfte die Übertragung der Pflege auf Dritte (soziale Dienste) nicht missbilligenswert erscheinen.

Zu beachten ist der Hinweis des BFH, dass die Zwangsläufigkeit entfällt, wenn der Steuerpflichtige von dem betreuten Angehörigen Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. Bei entsprechenden Einkommens- und Vermögensverhältnissen der gepflegten Person ist es zumutbar, zumindest zu versuchen, sich die Fahrtkosten und die übrigen mit der Pflege verbundenen Aufwendungen erstatten zu lassen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 2.12.2004, III R 27/02

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