Zustellung von Steuerbescheiden in der Schweiz

Eine Zustellung von Einkommensteuerbescheiden an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen unmittelbar durch die Post ist völkerrechtlich erstmals für Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 zulässig.

Hintergrund: Öffentliche Zustellung in die Schweiz

Streitig war, ob die ESt-Bescheide für 2009 bis 2013 ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sind.

X hat seinen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweiz. Nachdem seine Ehefrau die Getrennt-/ Einzelveranlagung beantragt hatte, forderte das FA den X vergeblich auf, ESt-Erklärungen einzureichen und einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen.

Anschließend hob das FA in 2017 die Zusammenveranlagungs-Bescheide auf und veranlagte den X getrennt bzw. einzeln zur ESt. Außerdem ordnete es die öffentliche Zustellung der ESt-Bescheide und der Aufhebungsbescheide an. Die Benachrichtigungen über die öffentliche Zustellung wurden im FA ausgehängt. Zudem informierte das FA den X über die öffentliche Zustellung und übersandte ihm Kopien der Bescheide.

X wandte ein, die Bescheide seien wegen nicht ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam geworden. Die Klage, mit der X die Feststellung der Unwirksamkeit der Bekanntgabe begehrte, war erfolgreich. Das FG entschied, die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen. Denn die Zustellung hätte durch Einschreiben mit Rückschein unmittelbar durch die Post in der Schweiz erfolgen können.   

Entscheidung: Wirksame öffentliche Bekanntgabe

Der BFH widerspricht dem FG. Die Bescheide wurden dem X wirksam durch öffentliche Bekanntgabe bekanntgegeben. Der BFH hob daher das abweichende FG-Urteil auf und wies die Klage ab.

Amtshilfeübereinkommen

Nach Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen v. 25.01.1988 (Amtshilfeübereinkommen) i.d.F. des Protokolls v. 27.05.2010 (BGBl II 2015, 1277) kann eine Vertragspartei die Zustellung an eine Person im anderen Vertragsstaat unmittelbar durch die Post vornehmen. Nach Art. 28 Abs. 6 Satz 1 gilt das Übereinkommen jedoch "für die Amtshilfe" (erst) für Besteuerungszeiträume ab 2018. Im Streitfall stellte sich daher die Frage, ob der Begriff der Amtshilfe auch die Zustellung durch die Post nach Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens umfasst. Wird dies bejaht, ist die Zustellung durch die Post erst für Besteuerungszeiträume ab 2018 zulässig. Für die Zeit davor wäre dementsprechend die öffentliche Bekanntmachung möglich.  

Öffentliche Bekanntmachung als letztes Mittel

Nach § 122 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn sie im Fall des § 9 VwZG (Zustellung im Ausland) nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, den Verwaltungsakt dem Empfänger in anderer Weise (z.B. durch die Post) zu übermitteln (BFH v. 09.12.2009 - X R 54/06, BStBl II 2010, 732).

Die Zustellung durch die Post war nach dem Amtshilfeübereinkommen ausgeschlossen

Die Zustellung der Steuerbescheide konnte nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, da eine Zustellung in die Schweiz nach § 9 Abs. 1 VwZG (insbesondere mittels Einschreiben mit Rückschein) völkerrechtlich nicht zulässig war. Entgegen der Auffassung des FG hätte das FA die Zustellung nicht nach Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens unmittelbar durch die Post vornehmen können. Denn Art. 28 Abs. 6 Satz 1 des Übereinkommens erstreckt sich auch auf die Zustellung von Schriftstücken durch die Post gemäß Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens. Auch diese Zustellung ist eine Form der Amtshilfe im Sinne dieser Regelung. Eine Zustellung von Steuerbescheiden unmittelbar durch die Post an in der Schweiz ansässige Steuerpflichtige ist daher erst für Steuerbescheide ab dem Veranlagungszeitraum 2018 möglich. Das FA konnte die umstrittenen Bescheide für 2009 bis 2013 daher öffentlich zustellen.

Weiter Begriff der Amtshilfe

Diese Auslegung entspricht dem Regelungsgehalt des Übereinkommens, von dem die Vertragsparteien (Schweiz und Deutschland) ausgegangen sind. Art. 28 Abs. 6 Satz 1 des Übereinkommens bezieht sich auf jegliche Form der einkommensrechtlichen Amtshilfe. Diese umfasst auch die Zustellung von Schriftstücken. Der Begriff "Amtshilfe" ist einheitlich in einem weiten Sinne zu verstehen. Auch die Zustellung durch die Post ist "Amtshilfe". Denn auch eine solche Zustellung und die damit einhergehenden Rechtsfolgen zu Lasten einer Person im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates stellen einen (zustimmungsbedürftigen) Eingriff in die staatliche Gebietshoheit dar, der einer besonderen Rechtsgrundlage (hier Amtshilfeübereinkommen) bedarf.

Begründete Revision des FA

Entgegen der Auffassung des FG sind die Bescheide dem X daher wirksam bekanntgegeben worden. Da die Zustellung an X nach Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens unmittelbar durch die Post völkerrechtlich nicht zulässig war, war deren öffentliche Zustellung nach § 122 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG nicht zu beanstanden. Damit war die Klage abzuweisen.

Hinweis: Bestätigung der Verwaltungspraxis

Der BFH bestätigt die Verwaltungsanweisung in AEAO zu § 122 Nr. 3.1.4.1 für die Schweiz: Eine Zustellung von deutschen Steuerverwaltungsakten durch die Post ist für Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 für die folgenden Steuerarten zulässig: Einkommensteuer (einschließlich Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Zinsabschlag, Steuerabzug bei Bauleistungen und besondere Erhebungsformen nach § 50a EStG), Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Vermögensteuer, Gewerbesteuer sowie gesonderte und gesonderte und einheitliche Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der vorgenannten Steuern.  

BFH Urteil vom 08.03.2022 - VI R 37/19 (veröffentlicht am 18.08.2022)

Alle am 18.08.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen

Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, DBA Schweiz, Steuerbescheid