Unrichtige Sachbehandlung

Erstmals hat ein OLG die Frage bejaht, dass dem Betroffenen im Bußgeldverfahren vor Veranlassung erheblicher Kosten rechtliches Gehör jedenfalls dann zu gewähren ist, wenn die aufgrund der beabsichtigten Beweiserhebung zu erwartenden Kosten das verhängte Bußgeld erheblich überschreiten.

Liegt in einem solchen Fall ein Verstoß gegen eine zwingende Rechtsvorschrift vor, hier Art. 103 Abs. 1 GG, stellt sich dann die Frage, ob die Voraussetzungen für die Nichterhebung von Gerichtskosten – hier gerichtliche Auslagen nach Nr. 9005 GKG KV hinsichtlich der an den gerichtlich bestellten Sachverständigen auf der Grundlage des JVEG zu zahlenden Beträge – vorliegen. Dabei muss es sich um einen offensichtlichen und eindeutigen Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift handeln, was hier bei der vom OLG Stuttgart behandelten Fallgestaltung zu bejahen ist. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nur Kosten – hier gerichtliche Auslagen – nicht erhoben werden, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Folglich muss die unrichtige Sachbehandlung seitens des Gerichts kausal für den Anfall oder die Erhebung der Kosten gewesen sein. Dies konnte das OLG Stuttgart hier aufgrund des Verhaltens des Betroffenen im Bußgeldverfahren problemlos feststellen.

Beispiele aus der Rechtsprechung

Ob die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ohne vorherige Anhörung des Betroffenen eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 Abs. 1 GKG darstellt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls, was einige Beispiele aus der Rechtspraxis belegen mögen:

Stellt der Verteidiger des Betroffenen einen spezifizierten Beweisantrag und kommt dem das Gericht nach, bedarf es keines gerichtlichen Hinweises auf die Beauftragung des Sachverständigen und ggf. dazu, dass möglicherweise hohe Kosten entstehen können. Denn in einem solchen Fall kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Verteidigungsstrategie eine sinnvolle Abwägung von Kosten und Nutzen zugrunde liegt (LG Duisburg NZV 2018, 291).
Jedoch kann es eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 21 Abs. 1 GKG darstellen, wenn das Gericht den Betroffenen nicht dazu anhört, dass der Sachverständige mit dem Gericht wegen eines erweiterten Aufwands der Begutachtung Rücksprache gehalten hat (LG Duisburg a.a.O.). Im entschiedenen Falle sollte der Sachverständige das für die Geschwindigkeitsmessung verwendete Messgerät der Polizei daraufhin untersuchen, ob dies dem bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hinterlegten Baumuster entspricht. Die Polizei war zur Herausgabe des Geräts an den Gutachter nur bereit, sofern ihr ein Ersatzgerät zur Verfügung gestellt werde. Für dieses Leihgerät berechnete der Sachverständige Fremdkosten in Höhe von insgesamt 2.329,09 EUR zzgl. Umsatzsteuer. Das LG Duisburg hatte beanstandet, dass Sachverständigenkosten nur in erheblich geringerem Umfang angefallen wären, wenn der Betroffene von diesen Vorgängen unterrichtet worden wäre. In diesem Falle wäre nämlich die Beweisaufnahme frühzeitig abgebrochen worden, sodass gutachtliche Handlungen des Sachverständigen einschließlich der Beschaffung eines Ersatzgerätes nicht mehr stattgefunden hätten. Statt der vom Sachverständigen für seine eigene Tätigkeit berechneten rund 2.300 EUR und der vorerwähnten Fremdkosten hat das LG Duisburg lediglich gut 300 EUR als berechtigt angesehen. Den großen Restbetrag der Sachverständigenvergütung in Höhe von gut 5.300 EUR hat das LG Duisburg gem. § 21 Abs. 1 GKG außer Ansatz gelassen.
Ebenfalls stellt es eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 21 Abs. 1 GKG dar, wenn das Gericht einen Sachverständigen zur Klärung der Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung beauftragt, obwohl weder konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorgelegen haben noch die Fahrereigenschaft bestritten wurde (LG Rostock DAR 2017, 400). Das LG Rostock hat dem Amtsgericht Rostock vorgehalten, dass es dem Betroffenen von der Einholung des Sachverständigengutachtens nicht vorab unterrichtet hat. In jenem Falle hatte der Betroffene dem Gericht mitgeteilt, nachdem er Kenntnis von der Beauftragung des Sachverständigen erhalten hatte, dass die Messung der Geschwindigkeit ausdrücklich nicht bestritten werde. Außerdem hat das LG Rostock auch auf die Diskrepanz zwischen der – in der Entscheidung nicht mitgeteilten – Höhe des Bußgeldes und den Sachverständigenkosten in Höhe von 1.026,14 EUR verwiesen.

Exkurs: Vergütung des Verteidigers im Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren

Die Einlegung der Erinnerung gegen den Gerichtskostenansatz des Kostenbeamten des AG Leutkirch, der Beschwerde gegen den die Erinnerung zurückweisenden Beschluss des AG Leutkirch und der weiteren Beschwerde gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts, das LG Ravensbrück, die zu dem Beschluss des OLG Stuttgart geführt hat, werden durch die im Bußgeldverfahren angefallene Vergütung des Verteidigers nicht abgegolten. Vielmehr stellt dies j...

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