Effektiver Rechtsschutz ist eine zentrale Idee unseres Grundgesetzes, Art. 19 Abs. 4 GG.[35] Dies setzt aber voraus, dass zunächst überhaupt ein Zugang zum Recht besteht.[36] Die Furcht vor einem zu hohen Kosten- und Zeitaufwand hält eine Vielzahl von Verbrauchern von der Auseinandersetzung mit ihren rechtlichen Problemstellungen ab.[37] Durch das Konzept von Legal Tech ergeben sich nun neue kostengünstige und zeitsparende Möglichkeiten, die das Versprechen des Rechtsstaats mit neuem Leben erfüllen. Speziell im Bereich der rechtlichen Vorsorge hat Legal-Tech das Potenzial, den Markt zu verändern und die Art und Weise, wie Menschen Zugang zu Rechtsberatung und -dienstleistungen erhalten, grundlegend zu reorganisieren.

Noch besteht ein großer Entwicklungsspielraum, sowohl was die Einzelfallgerechtigkeit als auch die Ausgestaltung und Rechtsgenauigkeit der Softwares angeht. Einige Legal Tech-Plattformen nutzen Algorithmen und automatisierte Prozesse, die aufgrund einer inkorrekten Programmierung oder nicht berücksichtigten Informationen zu fehlerhaften Ergebnissen führen können. Die Gestaltungsmöglichkeiten werden oft nicht bis ins Letzte ausgereizt, einzelne Komponenten nicht ausreichend erklärt und stattdessen einfach vorausgesetzt. Gerade bei komplexeren Aufgabenstellungen wird meist keine optimale Struktur geschaffen, hier könnte der Gang zum versierten Anwalt oder Notar deutlich bessere Ergebnisse erzielen.

Auch ist das so schnell wachsende Gebiet bisher unzureichend reguliert. Es gibt Bedenken, dass einige Legal Tech-Unternehmen möglicherweise gesetzliche Anforderungen und Verpflichtungen unterlaufen.[38] Einige Fragen in puncto Reglementierung und Verantwortlichkeit bei Fehlern/Unklarheiten verbleiben bislang ungeklärt.[39] Es ist wichtig, die Auswirkungen der Branche sorgfältig zu überwachen und zu evaluieren, um sicherzustellen, dass sie den Verbrauchern und dem Rechtssystem insgesamt zugutekommt. Somit kann Legal Tech bislang nicht als Ersatz für die Kompetenz und Erfahrung von Rechtsanwälten und Notaren gesehen werden, sondern fungiert als ergänzendes Tool, das ihnen dabei hilft, ihre Dienstleistungen sowie ihren Arbeitsalltag effizienter zu gestalten.

Der Scheitelpunkt der technologischen Fortentwicklung ist indes bei weitem noch nicht erreicht.[40] Es ist zu erwarten, dass der Einfluss digitaler Produkte, besonders im Milieu der rechtlichen Vorsorge, noch erheblicher wird.[41] Es kann also prognostiziert werden, dass sich insbesondere der Anwalt mehr denn je als Rechtsberater verstehen wird. Davon profitieren werden speziell die gut vernetzen und spezialisierten Mitglieder der Anwaltschaft, die sich permanent im Rückschluss mit den digitalen Entwicklungen des rechtlichen Universums befinden und eine individuelle dazu umfassende Beratung anbieten können. Wir sollten uns vor diesem Innovationsprozessen nicht verstecken, sondern mehr Fortschritt wagen. Dafür benötigen wir einen Brückenschlag zwischen Technik und Rechtswissenschaft. Algorithmen sind nur so zuverlässig wie ihre Programmierer und wie das Datenfundament, von dem sie gelernt haben.

[35] Sachs/Sachs, GG, Art. 19, Rn 143.
[36] Ruschmeier, LTZ 2022, 75; Lucy Oxf Leg Stud 40 (2020), 377.
[37] Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des GDV aus dem Jahr 2013 haben über zwei Drittel der Deutschen aus Angst vor den Kosten auf die Einschaltung eines Anwalts verzichtet, https://www.gdv.de/resource/blob/30990/916cec00467920d4121f3f234e109ba5/studie-forsa-studie-kosten-eines-rechtsstreits-data.pdf.
[38] Aus der Vielzahl an Literaturstimmen vgl. nur Hartung, AnwBl Online 2019, 353, Henssler, NJW 2019, 545; Remmertz, AnwBl 2020, 186.
[39] Heumer, Legal Tech und das Rechtsdienstleistungsgesetz, S. 90 f.
[40] Hartung/Bues/Halbleib/Barth, Legal Tech, 2020, S. 328 ff.
[41] Kilian, AnwBl 2018, 160; s. ferner zu den Auswirkungen von Legal Tech auf den Bereich der Rechtspflege Fries, RW 2018, 414.

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