Die vorgenannten Urteile zeigen eine gewisse Kurskorrektur der Rechtspraxis hin zu mehr Selbstbestimmung und Privatautonomie am Lebensende, wenngleich Entkriminalisierungstendenzen durch die Rechtsprechung in Strafsachen nur bedingt und unter massiven Einschränkungen auszumachen sind. Die "Wittig-Rechtsprechung" wäre dringend zur Klarstellung aufzugeben gewesen, um für Sterbebegleiter die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen und um zu verdeutlichen, dass dem freien Wille des Lebensmüden ab Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht mehr jedwede rechtliche Bedeutung abgesprochen wird.[64] Stattdessen hat der BGH eine gelebte (falsche) Rechtspraxis beglaubigt, weshalb de lege lata auch weiterhin auf ein nicht unbedeutendes Strafbarkeitsrisiko für Ärzte und Angehörige gerade bei Nichteinleitung von Rettungsmaßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit trotz freiverantwortlichem Suizid hingewiesen werden muss. Die Diskussion um Restriktion oder Liberalisierung der Suizidbegleitung wird durch die skizzierten höchstrichterlichen Urteile sicher befeuert. Die Frage, ob ein "Sterben in Würde" jenseits brachialer und brutaler Methoden auch weiterhin nur im Ausland möglich ist,[65] auch weil de facto keine geeigneten Betäubungsmittel beschafft werden können, muss zukünftig vom Gesetzgeber beantwortet werden. Es bleibt zu hoffen, dass er de lege ferenda die vielfältigen Vorschläge zur Einführung eines verwaltungs- und oder zivilrechtlichen Sterbehilfegesetzes[66] endlich zur Kenntnis nimmt. Das Strafrecht als Steuerungsinstrument hat sich nämlich vornehmlich an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Fragmentarität und Subsidiarität auszurichten. Es sollte daher im Bereich der Suizidassistenz nur nachrangig und bedingt eingesetzt werden und eben nicht als Mittel erster Wahl.[67] So sieht das auch der kürzlich von 8 Juraprofessoren verfasste Augsburg-Münchner-Hallesche-Entwurf zur Sterbehilfe (AMHE-SterbehilfeG), der hoffentlich Beachtung finden wird.[68]

[64] So auch LK-StGB/Rosenau, Band 7/Teil 1, 12. Aufl., Vor. §§ 211 ff Rn 94; Duttge, NJW 2016, 120, 121.
[65] Kusch, NStZ 2007, 436 ff.
[66] Für eine zivilrechtliche Lösung beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/115766/Suizidbeihilfe-DGHS-plaediert-fuer-zivilrechtliche-Regelung, abgerufen am 30.12.2020. Ein Überblick zu den Anforderungen an ein Gesamtkonzept eines Sterbehilfegesetzes bei Helling-Plahr/Jüsten, DRiZ 2020, 208.
[67] Ein gangbarer Weg, zeigt zum Beispiel auch das Schwangerschaftskonfliktgesetz, wonach beispielsweise die Teilnahme an einer Schwangerschaftskonfliktberatung für die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich ist.

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