Mit dem Tarifeinheitsgesetz und den sich daraus ergebenden Konsequenzen müssen sich insbesondere solche Betriebe beschäftigen, in denen Tarifpluralität herrscht bzw. herrschen kann und die Gefahr von Tarifkollisionsstreitigkeiten besteht. Die zentrale Regelung des Tarifeinheitsgesetzes ist der neue § 4a TVG. Er lautet:

Zitat

§ 4a Tarifkollision

(1) Zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags werden Tarifkollisionen im Betrieb vermieden.

(2) Der Arbeitgeber kann nach § 3 an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. Als Betriebe gelten auch ein Betrieb nach § 1 Absatz 1 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Betriebsverfassungsgesetzes errichteter Betrieb, es sei denn, dies steht den Zielen des Absatzes 1 offensichtlich entgegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind.

(3) Für Rechtsnormen eines Tarifvertrags über eine betriebsverfassungsrechtliche Frage nach § 3 Absatz 1 und § 117 Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt Absatz 2 Satz 2 nur, wenn diese betriebsverfassungsrechtliche Frage bereits durch Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft geregelt ist.

(4) Eine Gewerkschaft kann vom Arbeitgeber oder von der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung der Rechtsnormen eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen. Der Anspruch auf Nachzeichnung beinhaltet den Abschluss eines die Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags enthaltenden Tarifvertrags, soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden. Die Rechtsnormen eines nach Satz 1 nachgezeichneten Tarifvertrags gelten unmittelbar und zwingend, soweit der Tarifvertrag der nachzeichnenden Gewerkschaft nach Absatz 2 Satz 2 nicht zur Anwendung kommt.

(5) Nimmt ein Arbeitgeber oder eine Vereinigung von Arbeitgebern mit einer Gewerkschaft Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags auf, ist der Arbeitgeber oder die Vereinigung von Arbeitgebern verpflichtet, dies rechtzeitig und in geeigneter Weise bekanntzugeben. Eine andere Gewerkschaft, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben der Abschluss eines Tarifvertrags nach Satz 1 gehört, ist berechtigt, dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen.

Nach § 4a Abs. 2 TVG ist folglich nunmehr das Mehrheitsprinzip für die Anwendung kollidierender Tarifverträge entscheidend. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden, sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten Mitglieder hat.

 

Hinweis:

Dieses Mehrheitsprinzip soll gewährleisten, dass der Tarifvertrag zur Anwendung gelangt, der die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt.

Bezugspunkt für das Mehrheitsprinzip ist danach der Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn und nicht das ganze Unternehmen. Insoweit dürfte sich neben dem Umstand, dass in der wirtschaftlichen Realität vor allem Unternehmen bzw. Konzerne ausschlaggebende Faktoren sind, zukünftig insbesondere die Frage stellen, welche Einheit überhaupt als "Betrieb" zu betrachten ist. Der Verweis auf den Betriebsbegriff nach dem BetrVG hilft angesichts der umfangreichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung hierzu nur begrenzt, zumal der Betriebsbegriff durch Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers stark beeinflusst werden kann (ausführlich Greiner NZA 2015, S. 769 ff.).

Auch könnte die fehlende Verankerung eines Mindestquorums in § 4a TVG nicht nur Zweifel an der demokratischen Legitimation wecken, sondern auch Zufallsergebnisse oder sogar Manipulationsmöglichkeiten eröffnen, stellt man sich beispielsweise vor, dass in einem Betrieb mit mehr als 1.600 Mitarbeitern die Mehrheitsgewerkschaft zehn Mitglieder stellt und sich die Mitgliederzahl der Minderheitsgewerkschaft entsprechend im einstelligen Bereich bewegt (vgl. Fischer NZA 2015, 662, 664 unter Hinweis auf BAG, Urt. v. 29.7.2009 – 7 ABR 27/08, NZA 2009, 1424).

 

Hinweis:

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass der Grundsatz der Tarifeinheit weder das Entstehen tarifpluraler Situationen verhindern ...

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