Leitsatz

Der Streit über die sachenrechtlichen Grundlagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gehört nicht zu den Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 WEG, sondern ist eine allgemeine Zivilsache.

 

Normenkette

§ 43 Nr. 1 WEG; § 72 Abs. 2 GVG

 

Das Problem

  1. Wohnungseigentümer K verlangt von Wohnungseigentümer B die Räumung und Herausgabe eines Teils eines Kellerraums (K sieht sich insoweit als Sondereigentümer an) sowie Zahlung von 600 EUR Nutzungsentgelt für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2008 nebst Zinsen.
  2. Das AG Wiesbaden verurteilt B mit diesem am 2. November 2012 zugestellten Urteil unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Räumung und Herausgabe des beanspruchten Teils sowie zur Zahlung des Nutzungsentgelts nebst Zinsen. Dagegen legt B beim LG Wiesbaden mit am 30. November 2012 eingegangenem Schriftsatz Berufung ein. Dieses verwirft die Berufung mangels fristgerechter Einlegung bei dem für Wohnungseigentumssachen zuständigen LG Frankfurt a.M. durch dem Beklagten am 8. März 2013 zugestellten Beschluss als unzulässig. Das LG Wiesbaden hält sich für unzuständig, weil es sich bei dem Streit über die Zuordnung des Abstellraums im Keller der Wohnungseigentumsanlage eine um Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG handle. Hierfür sei nach § 72 Abs. 2 GVG das LG Frankfurt a.M. als das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht zuständig.
  3. B legt daraufhin mit am 11. März 2013 eingegangenem Schriftsatz bei dem LG Frankfurt a.M. erneut Berufung ein und beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das LG Frankfurt a.M. verwirft die Berufung seinerseits mangels Zuständigkeit als unzulässig. Das LG Frankfurt a.M. verweist auf BGH v. 30.6.1995, V ZR 118/94, BGHZ S. 130, 159, 164, wonach ein Streit über den Gegenstand und den Umfang des Sondereigentums keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG sei und deshalb von dem allgemein für die Berufung zuständigen Landgericht, hier dem LG Wiesbaden, zu entscheiden sei.
  4. Mit Rechtsbeschwerden gegen beide Beschlüsse möchte B eine Sachentscheidung über seine Berufung erreichen.
 

Die Entscheidung

  1. Der Bundesgerichtshof verbindet die Verfahren über die Rechtsbeschwerden zur gemeinsamen Entscheidung. Auf die Rechtsbeschwerden hebt er die Beschlüsse auf und verweist die Sache an das LG Wiesbaden.
  2. B's Berufung habe nicht verworfen werden dürfen. Sie sei beim LG Wiesbaden form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das LG Wiesbaden sei für die Entscheidung über die Berufung auch zuständig gewesen. Der Streit sei keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG. Die Parteien stritten nicht um die Ausübung ihrer Rechte aus dem Sondereigentum oder um die Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums, sondern darüber, ob der streitige Teil des Kellers im Sondereigentum des K oder in dem des B steht. Das Sondereigentum sei indes kein Recht aus dem Gemeinschaftsverhältnis, sondern Teil seiner sachenrechtlichen Grundlagen. Der Streit über die "sachenrechtlichen Grundlagen der Wohnungseigentümergemeinschaft" gehöre aber nicht zu den Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 WEG, sondern sei eine allgemeine Zivilsache (Hinweis unter anderem auf BGH v. 30.6.1995, V ZR 118/94, BGHZ 130 S. 159, 164, BGH v. 26.10.2012, V ZR 57/12, ZfIR 2013 S. 377 Rn. 8 und BGH v. 19.12.2013, V ZR 96/13, ZfIR 2014 S. 255 Rn. 6). Dafür mache es keinen Unterschied, ob abstrakt über den Inhalt des Sondereigentums gestritten werde oder über die sich aus dem Sondereigentum ergebenden Ansprüche (Hinweis auf BGH v. 30.6.1995, V ZR 118/94, BGHZ 130 S. 159, 164). Diese Rechtsprechung habe fast einhellige Zustimmung gefunden (anderer Ansicht seien allein Elzer in Timme, WEG, 2. Aufl., § 43 Rn. 139 und Mansel in Weitnauer, WEG, 9. Aufl., § 43 Rn. 8).
  3. Das nach der Verwerfung der zuerst eingereichten Berufung als zweites angerufene, für Wohnungseigentumssachen zuständige LG Frankfurt a.M. sei zwar für die Entscheidung über die Berufung nicht zuständig gewesen. Es habe sie aber dennoch nicht verwerfen dürfen. B habe gegen das Urteil des Amtsgerichts als Rechtsmittel nur die Berufung zugestanden. Auch wenn er dieses Rechtsmittel mehrmals und bei verschiedenen Gerichten eingelegt habe, ändere das nichts daran, dass es sich um ein einheitliches Rechtsmittel handle. Dieses einheitliche Rechtsmittel dürfe nur verworfen werden, wenn keine der Einlegungen erfolgreich war. Das später angerufene Gericht dürfe deshalb eine mehrfach eingelegte Berufung nicht schon dann verwerfen, wenn sie bei ihm selbst nicht form- und fristgerecht eingelegt worden ist. Es müsse vielmehr prüfen, ob eine frühere Einlegung der Berufung erfolgreich war. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die erste Einlegung der Berufung durfte es über die zweite Einlegung nicht entscheiden (Hinweis auf BGH v. 29.6.1966, IV ZR 86/65, BGHZ 45 S. 380, 383).
 

Kommentar

Anmerkung

Der Bundesgerichtshof legt sich auch für die Zeit nach der WEG-Reform darauf fest, dass der Streit, in...

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