Rz. 76

Wählen "Auslandsspanier" nach Art. 22 EuErbVO spanisches Recht, stellt sich die Frage, ob über die Wahl spanischen Rechts hinaus unmittelbar das Recht einer Teilrechtsordnung Gegenstand der Rechtswahl sein kann oder ob bei einer Rechtswahl die Bestimmung der maßgeblichen Teilrechtsordnung den Vorschriften des spanischen interregionalen Kollisionsrechts überantwortet ist.

 

Rz. 77

Ist spanisches Recht auf einen Erbfall mit Auslandsbezug infolge Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO anwendbar, bestimmen aufgrund von Art. 36 Abs. 1 EuErbVO die Art. 14 ff., 9.8 CC anhand der vecindad civil des Erblassers die das Erbstatut ausfüllende maßgebliche Teilrechtsordnung (vgl. Rdn 63). Das maßgebliche Erbrecht bestimmt sich also in zwei Schritten.[120] Hiernach kann ein Spanier mit bürgerlich-rechtlicher Gebietszugehörigkeit zu einer Region, die gemeinspanischem Recht untersteht, zwar das spanische Recht wählen, nicht aber die maßgebliche Teilrechtsordnung bestimmen, denn diese wird über Art. 9.8 CC nach Maßgabe seiner vecindad civil aufgefunden. Die Wahl einer konkreten spanischen Teilrechtsordnung ginge somit ins Leere. Nicht nur bei objektiver Anknüpfung, sondern insbesondere in Fällen, in denen der spanische Erblasser spanisches Recht nach Art. 22 EuErbVO wählt, überzeugt die indirekte Verweisung nach Art. 36 Abs. 1 EuErbVO (siehe Rdn 63).

 

Rz. 78

Selbst dann, wenn man eine direkte Wahl der Teilrechtsordnung über Art. 22, Art. 36 Abs. 2 EuErbVO (siehe Rdn 63) zuließe, könnte die Wahl allerdings nicht beliebig,[121] sondern nur zugunsten der Teilrechtsordnung ausgeübt werden, zu der die "engste Verbindung" i.S.v. Art. 36 Abs. 2 lit. b) EuErbVO zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtswahl bzw. des Eintritts des Erbfalls bestand.[122] Die Wahl des Rechts einer nicht konkret bezeichneten Teilrechtsordnung, zu der jeweils die "engste Verbindung" besteht ist – wie "die Wahl des Heimatrechts als solchem" – unzulässig,[123] da eine Wandelbarkeit des gewählten Rechts nicht in Betracht kommt. Es liegt auf der Hand, dass eine Rechtswahl, die zugunsten einer Teilrechtsordnung aufgrund der "engsten Verbindung" des Erblassers ausgeübt wird, auf "tönernen Füßen steht"[124] und die – nicht nur für den Erblasser – mit großen Unsicherheiten für den Erblasser verbunden ist.[125] Gerade in Streitfällen (z.B. wegen variierender Noterbrechte oder Erbquoten zwischen den in Betracht kommenden Teilrechtsordnungen) wäre sie u.U. leicht angreifbar, denn die Frage nach der "engsten Verbindung" des Erblassers zu einer konkreten Teilrechtsordnung wird sich häufig erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem Wegzug des Erblassers ins Ausland stellen und dann nur noch schwerlich klären lassen. Gegebenenfalls ist der Bezug zur Heimat zum Zeitpunkt des Erbfalls dann schon vollständig eingeschlafen. Die vecindad civil bleibt jedoch trotz dauerhaften gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb Spaniens unverändert bestehen und kann anhand relativ klarer Kriterien geprüft werden.

 

Rz. 79

Gerade diese Erwägungen legen nahe, dass es nicht nur aufgrund des in Art. 36 Abs. 1 EuErbVO vorgesehenen Vorrangs des mitgliedstaatlichen interregionalen Rechts vor der direkten Verweisung nach Art. 36 Abs. 2 EuErbVO geboten, sondern sogar zweckmäßig ist, für die Bestimmung der maßgeblichen spanischen Teilrechtsordnung auch bei Vorliegen einer Rechtswahl hinsichtlich der Bestimmung der maßgeblichen Teilrechtsordnung an die vecindad civil anzuknüpfen, da sie gegenüber dem Merkmal der "engsten Verbindung" deutlich greifbarere Konturen aufweist und sie grundsätzlich auch Jahrzehnte nach dem Wegzug aus Spanien noch feststellbar und beweisbar ist. Während die "direkte Verweisung" bzw. Wählbarkeit der Teilrechtsordnung der "engsten Verbindung" dem Erblasser "mehr Steine als Brot geben" wird,[126] bietet die "indirekte Verweisung" dem Erblasser bei seiner Nachfolgegestaltung eine größere Sicherheit[127] (vgl. Erwägungsgrund 38 der EuErbVO).

 

Rz. 80

 

Beispiel:

A, mit bürgerlich-rechtlicher Gebietszugehörigkeit von Navarra zieht von Navarra nach Valencia, wo er bei einem international operierenden Unternehmen Arbeit findet, während seine Familie in Navarra verbleibt, wo er sie an den Wochenenden gelegentlich besucht. Da die Immobilienpreise niedrig sind, kauft er sich eine Eigentumswohnung in Valencia. Nach zwei Jahren wird A eine neue Anstellung bei der gleichen Firma in Köln angeboten, woraufhin er zusammen mit seiner Familie nach Köln zieht. Vor dem Kölner Notar lässt A ein Testament protokollieren, in dem er eine Rechtswahl zugunsten des Rechts von Navarra trifft. A verstirbt 25 Jahre später in Köln. Es kommt zum Streit um die Erbschaft und das anwendbare Erbrecht. Wird das Erbstatut durch das Recht von Navarra oder das gemeinspanische Recht (Valencia) ausgefüllt? Die Frage, zu welchem Recht die engere Verbindung bestand, stellt sich im Falle der indirekten Verweisung nicht, denn nach Art. 36 Abs. 1, 22 EuErbVO wird über Art. 9.8 CC das Recht von Navarra als maßgebliches Erbrecht berufen, da dieses Rec...

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