Rn 81

Die beweisrechtlichen Folgen einer Verletzung der Aufklärungs-, Hinweis- und Belehrungspflicht werden sehr uneinheitlich beurteilt. Ein Teil der Rspr nimmt eine Umkehr der Beweislast für die Kausalität zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Schaden an (grdl BGHZ 61, 118, 122 = NJW 73, 688; BGH NJW 01, 2163, 2165 – Verkauf von GmbH-Anteilen). Diese Rspr hat der BGH für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters mehrfach bestätigt (BGHZ 189, 13 Rz 40 = NJW 11, 1949; BGHZ 196, 233, 237 Rz 19 = NJW 13, 1801, 1803; MDR 14, 602 Rz 10; NJW-RR 16, 1187, 1188 Rz 17 = VersR 16, 1444, 1445; beiläufig gebilligt von BVerfG NJW 12, 443 = WM 12, 68, 69; s dazu auch Schwab NJW 12, 3274 ff; Piekenbrock WM 12, 429 ff; Bassler WM 13, 544 ff; Roth JZ 15, 1081 ff). Danach trägt der Aufklärungspflichtige die objektive Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, weil sich der Geschädigte über jeden Rat bzw Belehrung hinweggesetzt hätte. Vereinzelt wird demgegenüber auch von einer tatsächlichen Vermutung für den Ursachenzusammenhang zwischen Aufklärungspflichtverletzung und Schaden gesprochen, ohne dass damit eine Umkehr der Beweislast verbunden sein soll (BGH 116, 60, 73 = NJW 92, 560, 562 [BGH 12.11.1991 - VI ZR 7/91] – Kindertee; BGH NJW-RR 06, 685, 687 [BGH 09.02.2006 - III ZR 20/05] – Anlagevermittlung). In neuerer Zeit werden zur Begründung einer Vermutung des aufklärungspflichtigen Verhaltens vermehrt die Grundsätze des Anscheinsbeweises herangezogen (grdl BGHZ 123, 311, 314 ff = NJW 93, 2359 für die Anwaltshaftung; bestätigt von BGH NJW 12, 2435, 2439 mwN; BGH VersR 15, 69 Rz 2; BGH NJW 93, 2744, 2746 für die Notarhaftung; BGH 04, 444, 445 für die Steuerberaterhaftung; s dazu auch Laumen DStR 15, 2570, 2572f). Danach steht dem ersten Anschein nach fest, dass sich der Geschädigte dem Rat oder Hinweis – wäre er denn ordnungsgemäß erteilt worden – nicht verschlossen hätte. Dieser Anscheinsbeweis kann durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen.

 

Rn 82

Der letztgenannten Auffassung ist zu folgen (ausf Laumen MDR 15, 1, 4 ff). Es entspricht in der Tat der Lebenserfahrung, dass sich derjenige, der einen Rat oder Empfehlung einholt, diesem Rat oder Empfehlung nicht verschlossen hätte. Gerade die Heranziehung des Gesichtspunktes der Lebenserfahrung, der als Erfahrungssatz seinen Platz ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung hat, zeigt sehr deutlich, dass es nicht um eine Umkehr der objektiven Beweislast gehen kann. Die Rspr des BGH zur Beweislastumkehr bei Aufklärungspflichtverletzungen durch Anlageberater ist deshalb abzulehnen. Es ist schon nicht ersichtlich, worin der Unterschied liegen sollte zwischen der Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzung eines Anlageberaters einerseits und eines Anwalts oder Notars andererseits. Die Entwicklung einer Beweislastsonderregel im Wege der richterrechtlichen Rechtsfortbildung contra legem für die Kausalität zwischen Aufklärungs-, Hinweis- und Beratungspflichtverletzungen und dem eingetretenen Schaden ist zudem keineswegs zwingend geboten. Eine typischerweise bestehende Beweisnot des Geschädigten – wie etwa in Arzthaftungsprozessen – ist in diesen Fällen nicht gegeben. Darüber hinaus können durch die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis letztlich die gleichen Ergebnisse erzielt werden.

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