Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, ob die Geschwindigkeitsübertretung (bereits) so eklatant ist, dass sie dem Betroffenen nicht verborgen geblieben sein kann, ist nach der neueren Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, nicht auf das absolute, sondern auf das relative Maß der Überschreitung, mithin auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit abzustellen.

 

Verfahrensgang

AG Frankenthal (Pfalz) (Entscheidung vom 28.10.2019; Aktenzeichen 1 OWi 5987 Js 26300/19)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 28. Oktober 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatsachverhalt aufrechterhalten.
  2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
  3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
 

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 27. Mai 2019 (Az.: 19.4001576.2) mit Urteil vom 28. Oktober 2019 wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h mit einer Geldbuße von 330,-- EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er auf die Sachrüge sowie eine Verfahrensbeanstandung stützt.

Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom heutigen Tag gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG an den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am 10. März 2019 um 02:51 Uhr als Fahrer eines PKWs auf der BAB 6 im Bereich Frankenthal (Pfalz) in Fahrtrichtung Speyer die dort mittels Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h - nach Abzug einer Toleranz - um 46 km/h.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Senat ist an die Entscheidung des Amtsgerichts, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtmitteleinlegungsfrist zu gewähren (Beschluss vom 15.11.2019), gebunden (vgl. Hadamitzky in KK-OWiG, 5. Aufl. § 79 Rn. 63; Bär in BeckOK-OWiG, 25. Ed. 01.01.2020, § 79 Rn. 109).

III.

1.

Die Verfahrensrüge, mit welcher der Betroffene eine Verletzung des fairen Verfahrens und des Anspruchs auf eine effektive Verteidigung rügt, dringt nicht durch. Der Senat hat sich der - soweit ersichtlich außerhalb des Saarlandes in der Rechtsprechung jedenfalls der Oberlandesgerichte einheitlich vertretenen - Auffassung angeschlossen, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden Rohmessdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird (Senat, Beschluss vom 11.02.2020 - 1 OWi 2 Ss Bs 122/19, juris Rn. 8).

2.

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Urteils hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen in Bezug auf die Feststellungen und Wertungen des Amtsgerichts zum äußeren Tatgeschehen ergeben. Insbesondere hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens angewendet.

Demgegenüber begegnen die beweiswürdigenden Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung des subjektiven Tatelements durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Amtsgericht musste sich allerdings mangels entsprechender konkreter Anhaltspunkte nicht ausführlicher als geschehen mit der Möglichkeit befassen, dass der Betroffene das die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen haben könnte. Denn der Tatrichter darf ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder in aller Regel wahrgenommen werden, wenn der Betroffene nicht einwendet, das Verkehrsschild übersehen zu haben und anderweitige greifbare Anhaltspunkte für ein solche Geschehen nicht vorliegen (OLG Hamm, Beschluss vom 27.12.2018 - III-4 RBs 374/18, juris Rn. 3; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019 - 3 Ss OWi 126/19, juris Rn. 6; Burhoff in ders., Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 2290, jew. m.w.N.).

b) Seine Überzeugung, dass der Betroffene bewusst schneller als die von ihm wahrgenommene zulässige Höchstgeschwindigkeit gefahren ist, hat das Amtsgericht mit der Überlegung begründet, eine erhebliche Geschwindigkeitsübertretung, die außerorts "ab einer Überschreitung um mindestens 40 km/h anzunehmen" sei, sei dafür ein "beweiskräftiges Indiz" (UA S. 6). Ein solcher Erfahrungssatz existiert nach Auffassung des Senats nicht. Dies entzieht der Annahme ei...

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