Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichteheliche Lebensgemeinschaft und § 2077

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 2077 Abs. 1 BGB enthält keine widerlegliche Vermutung, sondern eine dispositive Auslegungsregel.

2. Haben die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft einen Erbvertrag geschlossen oder der Erblasser zu Gunsten seines Partners ein Testament errichtet und heiraten die Partner später, findet auch im Fall der Scheidung vor dem Tod § 2077 BGB keine entsprechende Anwendung.

 

Verfahrensgang

AG Ludwigslust (Aktenzeichen 6 VI 399/17)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ludwigslust, Zweigstelle Parchim - Nachlassgericht - vom 09.03.2020 wird zurückgewiesen.

2. Der Beteiligte zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 96.250,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Erblasser verstarb am 07.06.2017. Der Beteiligte zu 1) ist das einzige leibliche Kind des Erblassers.

Der Erblasser war in erster und einziger Ehe mit der Beteiligten zu 2) verheiratet. Die Ehe wurde am 26.10.2001 geschlossen und mit Rechtskraft vom 06.04.2006 durch das Amtsgericht Güstrow geschieden.

Am 02.05.2000 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 2) vor der Notarin U. T. in P. einen Erbvertrag. In diesem Erbvertrag setzten sich beide gegenseitig zu Allleinerben ein und bestimmten zum Erben der Letztversterbenden die Tochter der Beteiligten zu 2), Ta. P., sowie den Beteiligten zu 1). Der Erbvertrag wurde durch das erstinstanzliche Gericht am 30.06.2017 eröffnet.

Am 22.08.2017 hat der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins dahin beantragt, dass er alleiniger gesetzlicher Erbe nach dem Erblasser F.P. geworden sei.

Er hat die Auffassung vertreten, die letztwillige Verfügung des Erblassers und seiner geschiedenen Ehefrau sei gemäß §§ 2279, 2077 BGB mit der Auflösung der Ehe unwirksam geworden. § 2077 BGB finde auch bei einer späteren Heirat Anwendung.

Es sei eine ergänzende Auslegung des Erbvertrages vorzunehmen. Eine nachträgliche Lücke des Erbvertrages sei festzustellen, wenn sich nach Errichtung des Erbvertrages die Sach- und Rechtslage geändert habe und dadurch nicht mehr die wirtschaftlichen Ziele und Absichten des Erblassers mit seiner letztwilligen Verfügung erreicht werden könnten. Maßgeblich sei die Sicht des Erblassers, so dass eine Lücke der Erklärung nur vorliege, wenn die Unvollständigkeit des Erbvertrages nicht beabsichtigt gewesen sei. Es sei also zu fragen, welche letztwilligen Anordnungen der Erblasser getroffen oder unterlassen hätte, wenn er im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes die nicht in Erwägung gezogenen Umstände gekannt oder sie als möglich vorausgesehen hätte.

Als die Vertragsparteien den Erbvertrag am 02.05.2000 bei der Notarin aufgesetzt hätten, seien sie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihre partnerschaftliche Beziehung andauere und beide lange leben würden. Der gemeinsame Sohn der Vertragsparteien sei zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt gewesen. Knapp 1,5 Jahre später hätten sie die Ehe geschlossen. Damit hätten sie ihre Beziehung auch in rechtlicher Hinsicht vertieft. Mit der Scheidung habe sich die Rechtslage umgekehrt. Mit der Scheidung sei auch der Versorgungsausgleich entschieden worden. 2007 hätten sich die Vertragsparteien auch über sämtliche güterrechtliche Ansprüche auseinandergesetzt. Somit seien ihre Vermögen ebenfalls vollständig voneinander getrennt gewesen. Mit einer Zahlung des Erblassers von 3.500,00 EUR sollten auch jegliche Zugewinnansprüche geregelt sein. Am 10.09.2008 sei dem Erblasser durch das Amtsgericht Güstrow, dass alleinige Sorgerecht für den Beteiligten zu 1) zugesprochen worden.

Ein Kontakt des Erblassers zu Ta.P. habe ebenfalls nicht mehr bestanden.

Als er bereits schwer erkrankt gewesen sei, habe der Erblasser gegenüber seiner Verwandtschaft auch geäußert, dass der Beteiligte zu 1) sein Alleinerbe sei und dieser sich über seine wirtschaftliche Absicherung keine Sorgen machen müsse.

Die Beteiligte zu 2) ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten und hat sich auf den Erbvertrag berufen. Diesen hätten die Parteien in nichtehelicher Lebensgemeinschaft geschlossen. Die Scheidung beeinträchtige die Wirksamkeit des Erbvertrages nicht, da § 2077 BGB nicht einschlägig sei. Auch finde der Erbvertrag im gesamten Scheidungsverfahren keine Erwähnung.

Der Erbvertrag habe vor dem Todesfall seine volle Wirksamkeit erlangt. Eine ergänzende Vertragsauslegung sei nicht geboten. Die Anwendung des § 2077 BGB auf die uneheliche Lebensgemeinschaft scheide nach ganz herrschender Meinung aus.

Für die Vermutung, dass der Erbvertrag nicht mit der Scheidung sein Ende haben finden sollen, spreche die im Erbvertrag vorgenommene Schlusserbeneinsetzung.

Der Erblasser und die Beteiligte zu 2) hätten einen wechselbezüglichen notariellen Erbvertrag geschlossen. Dies sei zu einer Zeit geschehen, zu der an eine Eheschließung nicht gedacht worden sei. Die wechselbezüglichen Erklärungen seien nicht eins...

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