Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch aus § 852 BGB bei verjährtem Anspruch aus § 826 BGB für vom VW-Diesel-Abgasskandal betroffenes Neufahrzeug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch OLG Stuttgart BeckRS 2021, 5075; LG Regensburg BeckRS 2021, 24604; LG Landshut BeckRS 2021, 3479; LG Hildesheim BeckRS 2020, 35828; BeckRS 2021, 4473; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2021, 4493; BeckRS 2021, 10581; OLG Oldenburg, BeckRS 2021, 10558; aA LG München I BeckRS 2021, 1049 zum Gebrauchtwagenkauf; LG Osnabrück BeckRS 2021, 4305; offen gelassen von BGH BeckRS 2020, 37753.

2. Dass - nach Aufspielen des von VW entwickelten Software-Updates - durch eine temperaturabhängige Steuerung das Emissionskontrollsystem bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für VW handelnden Personen ein (eigenständiges) sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 27)

3. Bei Kauf eines Neuwagens bei einem Vertragshändler erhält der Hersteller den Kaufpreis oder das wirtschaftliche Äquivalent auf Kosten des Endkunden; anders ist dies bei Gebrauchtwagenkäufen, da sich dort die relevante Vermögensverschiebung, auf die im Rahmen des § 852 BGB abzustellen ist, nicht zwischen Gebrauchtwagenkäufer und Hersteller vollzieht, sondern bereits im Rahmen des ersten Kaufes zwischen Neuwagenkäufer und Hersteller. (Rn. 31)

4. Da § 852 S. 1 BGB eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht darstellt, bewirkt die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs "auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte"; es findet somit eine doppelte Deckelung statt, zum einen durch den verjährten Schadensersatzanspruch zum anderen durch das erlangte Etwas. (Rn. 40)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 195, 199, 214, 249, 812 Abs. 1 S. 1, §§ 818, 826, 852; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 15.03.2021; Aktenzeichen 27 O 9470/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 27 O 9470/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: 1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 17.470,92 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges VW Golf mit der FIN ...214.

1) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Golf mit der FIN ...214 seit dem 24.06.2020 in Annahmeverzug befindet.

1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 526,58 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.06.2020 zu bezahlen.

1) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf EUR 19.598,36 festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des von dem Kläger erworbenen Pkw VW Golf Variant Schadensersatz infolge des Einbaus einer abgasbeeinflussenden Software in die Motorsteuerung des Fahrzeuges.

Der Kläger erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug am 17.08.2012 vom V-Zentrum P., das unter anderem Neufahrzeuge der VW AG als Vertragshändler vertreibt, zu einem Kaufpreis von EUR 27.546,99. Es handelte sich um einen Neuwagen, der im Kaufzeitpunkt einen Kilometerstand von 12 aufwies und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet ist. Das Fahrzeug wurde übergeben, der Kaufpreis vom Kläger bezahlt und an die Beklagte weitergeleitet.

Das Fahrzeug ist vom sogenannten Abgasskandal betroffen, da in ihm eine Software verbaut ist, welche bewirkt, dass es im Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv ist, zu einer höheren Abgasrückführungsrate kommt. Die vom Motorhersteller installierte Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig ist, erkennt dabei die Prüfungssituation durch ein unnatürliches Fahrverhalten. Bei diesen Bedingungen ist die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen. Im normalen Fahrbetrieb hingegen sind die Abgasaufbereitung und -rückführung so gestaltet, dass die Stickoxid-Emissionen erheblich höher sind. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, da die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Am 22.09.2015 gab die Beklage eine Ad-hoc-Mittelung heraus, in der sie auf Unregelmäßigkeiten bei der Steuerungssoftware von Diesel-Motoren hinwies. Durch...

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