Entscheidungsstichwort (Thema)

Versehentliche Wundspülung mit Putzmittel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das versehentliche, aber ohne weiteres vermeidbare Spülen einer offenen Wunde (hier entzündete weibliche Brust) mit einem zum Reinigen von Böden und Möbeln vorgesehenen Flächendesinfektionsmittel stellt einen groben Behandlungsfehler dar.

2. Hinsichtlich der als Gesundheitsschaden geltend gemachten Verzögerung des Heilverlaufs einer Brustentzündung nach Spülen mit einem Flächendesinfektionsmittel tritt eine Beweislastumkehr unabhängig davon ein, ob es sich um einen Primär- oder einen Sekundärschaden handelt, da jedenfalls von einer typischen Schadensfolge auszugehen ist.

3. Für die durch den Einsatz eines Flächendesinfektionsmittels bei einer entzündeten weiblichen Brust verursachten erheblichen Schmerzen und für eine um mehrere Monate verzögerte Heilung der Entzündung in Verbindung mit einem Genugtuung erfordernden Regulierungsverhalten angesichts eines groben ärztlichen Fehlverhaltens ist ein Schmerzensgeld von 6.000 EUR angemessen.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 03.03.2010; Aktenzeichen 25 O 260/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 3.3.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 260/08 - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilen, an die Klägerin einen Schmerzensgeldbetrag von 5.500 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2008 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Vorfall vom 1.6.2006 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden..

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 661,16 EUR an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten erster Instanz tragen die Klägerin zu 77 % und die Beklagte zu 23 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 94 % der Klägerin und zu 6 % der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Bei der am 0.00.1969 geborenen Klägerin traten rezidivierend Abszesse in der linken Brust auf, die im Juli 2004 im Krankenhaus Q. sowie im April 2005 und am 19.5.2006 im Krankenhaus der Beklagten operativ gespalten wurden. In der Zeit nach dem 19.5.2006 wurde die Wunde täglich mit Octenisept gespült. Am 1.6.2006 spülte die bei der Beklagten beschäftigte Ärztin T. die Wunde versehentlich mit Terralin Liquid, einem Flächendesinfektionsmittel. Unmittelbar danach und anschließend noch mehrfach am 1.6.2006 erfolgten Nachspülungen mit einer Kochsalzlösung. Am 9.6.2006 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zahlte vorgerichtlich ein Schmerzensgeld von 500 EUR.

Die Klägerin hält ein weiteres Schmerzensgeld von 30.000 EUR für angemessen. Sie hat behauptet, dass die Wundheilung infolge des Behandlungsfehlers sechs Monate gedauert habe. Sie habe noch immer Schmerzen in der äußerst berührungsempfindlichen linken Brust.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2006 sowie 10 EUR vorgerichtliche Mahnkosten zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem Vorfall vom 1.6.2006 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.196,43 EUR vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, dass das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld ausreichend sei. Der verzögerte Heilungsverlauf und der gegenwärtige Zustand der Brust beruhten nicht auf der Spülung mit Terralin Liquid.

Das LG hat das Gutachten des Sachverständigen A. (Bl. 89 ff. d.A.) nebst Ergänzung (Bl. 121 ff. d.A.) eingeholt und den Sachverständigen angehört (Bl. 151 f. d. A).

Daraufhin hat es die Beklagte zur Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes von 4.000 EUR und vorgerichtlicher Anwaltskosten von 402,82 EUR verurteilt und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Spülung mit Terralin Liquid stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Der Klägerin seien...

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