Entscheidungsstichwort (Thema)

Benutzung eines scharfen Skalpells bei einer Knie-OP

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verfügung stehende einfache Schutzmaßnahmen wie eine stumpfe Präparation müssen genutzt werden, wenn trotz Durchleuchtung des Knies bei einer (sonst üblichen) Verwendung eines scharfen Skalpells nicht sicher gewährleistet ist, dass wichtige Strukturen (hier Nervus saphenus und Vena saphena magna) geschont werden.

2. Die behandlungsfehlerhafte Schadigung des Nervus saphenus, die bei einer 42-jährigen Frau zu Taubheit und ständigen neuropathischen Schmerzen im Unterschenkel, zur Notwendigkeit permanenter Schmerzmedikation, zur posttraumatischen Bildung von Neuromen, zur Unfähigkeit, Sport auszuüben und zu negativen Auswirkungen auf die Psyche geführt hat, rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 40.000.- EUR.

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 25 O 367/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30. September 2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 367/13 - abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 40.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.8.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung ab Januar 2011 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Bei der am 13.6.1968 geborenen Klägerin wurde im Jahr 1985 am rechten Knie eine subtotale Außenmeniskusresektion durchgeführt. Der Ehemann der Klägerin ist Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie. Am 10.1.2008 nahm der Beklagte, ein niedergelassener Chirurg und Unfallchirurg, den der Ehemann der Klägerin seit dem gemeinsamen Studium kannte, eine Arthroskopie des linken Knies vor.

Am 16.12.2010 stellte sich die Klägerin erneut beim Beklagten vor und schilderte Schmerzen und ein reproduzierbares Knacken an der Außenseite des rechten Knies. Auf den mitgebrachten Bildern einer Magnetresonanztomografie war ein freier Gelenkkörper zu sehen. Nach klinischer Untersuchung nahm der Beklagte eine relative Indikation zu einer Arthroskopie mit Nachresektion des Außenmeniskus, Abtragung von Osteophophyten und Entfernung des freien Gelenkkörpers an. Als möglichen, vom weiteren Verlauf abhängigen Operationstermin legten die Parteien den 27.1.2011 fest. Am 13.1.2011 berichtete die Klägerin, dass es nach einer von ihrem Ehemann vorgenommenen Injektion von Kortison und eines Lokalanästhetikums zu einer deutlichen Besserung gekommen sei. Am 25.1.2011 telefonierte der Beklagte zunächst mit dem Ehemann der Klägerin und sodann mit der Klägerin. Da sich die Beschwerden wieder verschlechtert hatten, kam man überein, die Operation am ursprünglich festgelegten Termin durchzuführen. Am 27.1.2011 unterzeichnete die Klägerin einen auf den 25.1.2011 datierten proCompliance-Aufklärungsbogen. Der Ehemann der Klägerin war an diesem Tag während der Arthroskopie, die in der Klinik links vom Rhein erfolgte, zugegen. Zur Entfernung des freien Gelenkkörpers legte der Beklagte unter Translumination einen weiteren, posteriomedialen Zugang an.

Am 28.1.2011 äußerte die Klägerin ein Taubheitsgefühl am rechten Knie und Unterschenkel. Am 3.2.2011 berichtete sie dem Beklagten über stechende, blitzartig einschießende Schmerzen am Knie und an der Innenseite des Unterschenkels. Am Ober- und Unterschenkel befand sich ein Hämatom. Der Neurochirug Dr. B, den die Klägerin am gleichen Tag aufsuchte, diagnostizierte eine Läsion des Nervus saphenus und sah keine Indikation für eine sofortige Revision. Eine am 5.9.2011 durchgeführte Magnetresonanztomografie zeigte nach der Beurteilung des Radiologen Prof. Dr. C ein Kontinuitätsneurom des Nervus saphenus proximal des Kniegelenkspalts und etwas unterhalb der Eintrittsstelle nach Arthroskopie.

Nach Einholung eines Privatgutachtens von Prof. Dr. T hat die Klägerin den Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Der Beklagte sei bei der Entfernung des freien Gelenkkörpers in fehlerhafter Weise vorgegangen. Der an der Innenseite des rechten Knies gelegene zusätzliche Zugang sei zu hoch und zu weit hinten angelegt worden. Außerdem habe zur Anlage des Zugangs nach der Hautinzision nicht ein scharfes Skalpell, sondern ein stumpfer Trokar benutzt werden müssen. Es sei ferner geboten gewesen,...

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