Leitsatz (amtlich)

Keine Treuwidrigkeit des Versicherers bei Berufung auf Verfristung, wenn Einholung eines Gutachtens bezüglich bereist bekannter Unfallfolge zur Feststellung weiterer Unfallfolgen nach Ablauf von drei Jahren führt. Wirksamkeit des Ausschlusses psychischer Reaktionen. "Körperbildsrörung" mit Depression aufgrund verunstaltender Unfallfolgen als "psychische Reaktion".

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 14.01.2010; Aktenzeichen 16 O 409/07)

BGH (Aktenzeichen IV ZR 39/11)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 20.06.2012; Aktenzeichen IV ZR 39/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des LG Koblenz vom 14.1.2010 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aufgrund eines Vertrages über eine Unfallversicherung.

Die Klägerin hat bei der Beklagten einen Vertrag über eine private Unfallversicherung abgeschlossen. Versicherte Person ist der Sohn der Klägerin, A. B.. Dem Vertrag liegen die AUB 2002 der Beklagten zugrunde. Die Invaliditätsgrundsumme beträgt 100.000 EUR, vereinbart ist eine progressive Invaliditätsstaffel von 300 % und eine Unfallrente von 500 EUR monatlich, sofern der Invaliditätsgrad mindestens 50 % beträgt.

Der Sohn der Klägerin erlitt am 18.5.2004 im Alter von 17 Jahren einen schweren Motorradunfall, bei dem er sich eine drittgradige offene Ober- und Unterschenkelfraktur links mit einem erheblichen Weichteildefekt, sowie eine Partialläsion des Nervus peroneus communis links und des Nervus suralis links zuzog. Nach mehrwöchiger umfangreicher stationärer Heilbehandlung wurde der Versicherte am 9.6.2004 aus dem X. krankenhaus entlassen, musste jedoch in der Zeit vom 8. bis 16.7.2004 wegen einer Entzündung mit Verdacht auf Osteomelitis nochmals stationär behandelt werden. Auch in der Folgezeit war der Heilungsverlauf mit Komplikationen verbunden, die sich mit Unterbrechungen bis Februar 2006 hinzogen. Weiterhin befand der Sohn der Klägerin in dem genanten Zeitraum sich in begleitend durchgeführten ambulanten Behandlungen wegen der Nervenverletzung und wegen einer insgesamt streitigen posttraumatischen Belastungsstörung, deren Verdachtsdiagnose zuerst am 23.7.2004 durch den Arzt Dr. C. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie) gestellt worden war.

Nachdem die Klägerin fristgerecht gegenüber der Beklagten den Anspruch auf Invaliditätsleistungen angemeldet hatte, zahlte die Beklagte zunächst einen Vorschuss von 10.000 EUR sowie zum 17.4.2007 eine weitere Invaliditätsentschädigung von 35.000 EUR. Zum Ablauf des dritten Unfalljahres holte die Beklagte verschiedene ärztliche Stellungnahmen ein zur Frage des akuten Gesundheitszustandes der versicherten Person und zu verbleibenden Unfallfolgen. Es ergab sich eine dauernde Invalidität mit einer Funktionseinschränkung des linken Beines von 6/10 Beinwert. Daraufhin zahlte die Beklagte am 14.8.2007 weitere 14.000 EUR.

Noch vor Klagezustellung zahlte die Beklagte nach anwaltlicher Geltendmachung rückwirkend ab Mai 2004 eine Unfallrente i.H.v. 20.500 EUR und erbringt seit dem 10.10.2007 vierteljährlich für längstens 10 Jahre seit dem Unfalltag die weiteren Rentenzahlungen. Daraufhin hat die Klägerin ebenfalls noch vor Klagezustellung die teilweise Klagerücknahme bezüglich der Unfallrentenforderung erklärt.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Die aufgrund des Motorradunfalls vom 18.5.2004 entstandenen Verletzungsfolgen der versicherten Person bewirkten eine Invalidität, die mit 8/10 Beinwert zu bemessen sei. Ferner leide der Versicherte in Folge dieses Unfalls an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die eine psychische Beeinträchtigung mit einem Invaliditätsgrad von 15 % bewirke. Die Beklagte könne sich insoweit nicht auf die Ausschlussfrist nach Ziff. 2.1.1.1 der AUB 2002 berufen, da diese Klausel gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoße. Außerdem sei der Beklagten die Berufung auf diese Ausschlussfrist nach Treu und Glauben verwehrt, da die psychische Belastungsstörung von dem von ihr beauftragten Gutachter D. festgestellt worden sei. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten geleisteten Zahlungen errechne sich bei einer Gesamtinvalidität von 71 % (= 138 % entsprechend der Progression 300) noch eine Invaliditätsentschädigung von 79.000 EUR.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 79.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Eine höhere Invaliditätsentschädigung als die von ihr ber...

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