Leitsatz (amtlich)

Von einer ordnungsgemäßen Aufklärung kann nicht allein aufgrund der vorgelegten Aufklärungsbögen ausgegangen werden. Diese können allenfalls ein Indiz für Inhalt und Umfang des Aufklärungsgesprächs bieten. Sie sind jedoch kein Beleg dafür, dass tatsächlich ein ausreichendes Aufklärungsgespräch stattgefunden hat.

Die Bestimmung des (streitigen) notwendigen Aufklärungsumfangs bedarf einer Hinzuziehung des Sachverständigen.

Kann der Patient wegen Verständnisschwierigkeiten dem Aufklärungsgespräch nicht folgen, fehlt es an einer hinreichenden Aufklärung, die Grundlage einer wirksamen Einwilligung sein könnte.

Für die Beurteilung, ob ein sog. echter Entscheidungskonfliktvorgelegen hat, ist zunächst zu klären, welchen Inhalt eine ordnungsgemäße Aufklärung hätte haben müssen.

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 2 O 373/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 30. Juni 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen fehlerhafter und rechtswidriger Durchführung der Operation eines Leistenbruchs.

Im Oktober 2012 stellte der Frauenarzt der Klägerin wegen einer Schwellung im Bereich der Leiste einen Leistenbruch fest. Die Klägerin ließ sich daraufhin von einem weiteren Arzt untersuchen, der zur Operationsvorbereitung eine Ultraschalluntersuchung vornahm und hierbei einen Leistenbruch mit etwa 3 cm breiter Öffnung diagnostizierte. Am 5. Oktober 2012 unterzeichnete die Klägerin in der Klinik der Beklagten zu 1) in S. einen Aufklärungsbogen, der sich auf die Behandlung eines Leistenbruchs bezog. Dem lag ein Gespräch mit dem Beklagten zu 2) mit streitigem Inhalt zugrunde. Zur Durchführung der operativen Versorgung des Leistenbruchs begab sie sich am 10. Oktober 2012 in die Klinik der Beklagten zu 1) in S. Der Beklagte zu 2) führte daraufhin eine offene Herniotomie unter Gewebsverstärkung durch Einlage eines Polypropylennetzes (Operation nach Lichtenstein) durch. Postoperativ kam es zu einem Kreislaufkollaps der Klägerin. Am 11. Oktober 2012 wurde sie aus der stationären Behandlung entlassen.

In der Folge zeigten sich bei der Klägerin erhebliche Schmerzen in der Leistengegend und es wurde eine Läsion des Nervus ilioinguinalis festgestellt. Der Chefarzt der chirurgischen Abteilung der Klinik der Beklagten zu 1) empfahl eine Neurektomie, die von der Klägerin abgelehnt wurde.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zur Begründung ihres auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in einer Mindesthöhe von 10.000 EUR, Ersatz von rückständigem Haushaltsführungsschaden in Höhe von 32.256 EUR, Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche immateriellen und materiellen Schäden sowie Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.251,48 EUR gerichteten Begehrens vorgetragen, der operative Eingriff sei nicht fachgerecht durchgeführt worden. Bereits die Durchführung des Eingriffs durch den Beklagten zu 2) sei zu beanstanden, da dieser unerfahren gewesen sei. Die postoperativ aufgetretenen Schmerzen seien Zeichen für einen Behandlungsfehler. Es müsse eine unzureichende operative Versorgung stattgefunden haben. Zudem sei sie vor der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sie sei als Türkin der deutschen Sprache kaum mächtig. Von der Hinzuziehung eines Dolmetschers sei aber abgesehen worden. Zudem sei eine mögliche Nervenverletzung nicht Gegenstand des Aufklärungsgesprächs gewesen und der Aufklärungsbogen nicht detailliert mit ihr durchgesprochen worden. Vielmehr habe es sich nur um ein kurzes 5 bis 10-minütiges Gespräch gehandelt. In diesem sei es in erster Linie um ihre Operationsangst gegangen. Das Risiko derartiger Nervenverletzungen hätte sie keinesfalls in Kauf genommen. Aufgrund des Eingriffs leide sie unter einer Nervenschädigung, starken Schmerzen und chronischen Leistenbeschwerden. Eine bereits vor der Operation vorhandene Depression sei durch den Eingriff verstärkt worden. Ihre Fähigkeit zur Haushaltsführung sei erheblich eingeschränkt.

Die Beklagten haben dem entgegengehalten, bei den aufgetretenen Beschwerden handele es sich um eine operationstypische Komplikation. Über die Risiken des Eingriffs und dabei auch über die Möglichkeit einer Nervenverletzung sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Hinweise auf Sprachprobleme bei der Klägerin hätten nicht bestanden. Ansonsten wäre eine mit der türkischen Sprache vertraute Person hinzugezogen worden. Zumindest sei jedoch von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen. Die Spontanheilung einer Leistenhernie sei auszuschließen. Vielmehr habe das Risiko bestanden, dass irgendwann eine Notfallversorgung erforderlich geworden wäre.

Hinsichtlich der erstinstanzlich von den Parteien gest...

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