Entscheidungsstichwort (Thema)

Gefährdung des Straßenverkehrs. Rücksichtslos. Rücksichtslosigkeit. Konkrete Gefährdung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt.

2. Ob eine solche grob verkehrswidrige Gesinnung vorgelegen hat, ist aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Tatumstände zu prüfen. Neben der Frage, inwieweit der Täter die Verkehrsumstände erkannt hat, können hierbei der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Tätgers und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren - beispielsweise ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen - Bedeutung gewinnen.

3. Eine konkrete Gefährdung ist gegeben, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund objektiv nachträglicher Prognose die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob die Rechtsgutverletzung eintritt oder nicht dabei an die tatrichterlichen Feststellung strenge Anforderungen zu stellen. Die Gefährdung ist präzise und nachvollziehbar zu belegen; "inhaltsleere" und eher wertende Begriffe wie z.B. "Notbremsung", "Vollbremsung" oder "scharfes Abbremsen" sind wegen ihrer ungenügenden Aussagekraft zu vermeiden.

 

Normenkette

StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 19.10.2015; Aktenzeichen 2040 Js 59004/14)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 19. Oktober 2015 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler hat den Angeklagten durch Urteil vom 7. Mai 2015 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 3 Nr. 1 StGB) zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 70 € verurteilt. Außerdem hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von sechs Monaten festgesetzt.

Durch Urteil vom 19. Oktober 2015 hat das Landgericht Koblenz die gegen dieses Urteil unbeschränkt eingelegte Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Höhe des Tagessatzes 50 € beträgt.

Die Berufungskammer hat zum Tatgeschehen folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Am Vormittag des 10. August 2014 befuhr der Angeklagte mit einem Personenkraftwagen Renault Espace - amtliches Kennzeichen ... - die Bundesstraße 258 vom "P." (Kreuzung mit der Bundesstraße 257) her in Richtung des "N.". Seine Ehefrau saß auf dem vorderen Beifahrersitz. Die drei Kinder des Ehepaares, die elf, neun und vier Jahre alt sind, saßen ebenfalls im Wagen. Vor dem Renault Espace bewegten sich mehrere Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 70 km/h voran. Erstes Fahrzeug der Kolonne war ein "Oldtimer" MG Cabrio. Ihm folgte ein Personenkraftwagen Ford Mondeo. Der "Oldtimer" wurde von dem Zeugen W. G. geführt, auf dem - einzigen - Beifahrersitz saß seine Ehefrau mit dem gemeinsamen drei Jahre alten Enkelkind. Insassen des Ford Mondeo waren der Zeuge L. als Fahrzeugführer und seine Lebenspartnerin C. G., die Eltern des Kindes. Beide Wagen waren in W. auf die Bundesstraße 258 eingebogen.

In dem ansteigenden Streckenbereich vor der links gelegenen Einmündung der Kreisstraße 73 in die Bundesstraße 258 begann der Angeklagte, die Fahrzeuge vor ihm zu überholen, obwohl er sah, dass er sich einer vor der Einmündung beginnenden, nicht weit einsehbaren Rechtskurve der Straße näherte. Nachdem er mehrere Fahrzeuge überholt hatte, erreichte er den Ford Mondeo. Der Zeuge L., der die Situation als gefährlich einschätzte, reduzierte die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs, um dem Angeklagten zu ermöglichen, den Renault Espace vor ihm wieder einzuordnen. Indes fuhr der Angeklagte weiter im Kurvenbereich auf dem für den Gegenverkehr bestimmten Teil der Fahrbahn. Ihm war bewusst, dass jederzeit Fahrzeuge entgegen kommen konnten, denen er würde ausweichen müssen. Er vertraute darauf, dass es dann nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde. Als sich der Renault Espace neben den MG Cabrio befand, sah der Angeklagte Fahrzeuge entgegenkommen. Er überholte den "Oldtimer" und lenkte den Renault Espace unmittelbar vor dem Wagen nach rechts. Der Zeuge W. G. bremste den MG stark ab und lenkte zugleich nach rechts. Auch das erste entgegenkommende Fahrzeug wurde gebremst und nach rechts gelenkt. Hätten die Fahrzeugführer nicht derart reagiert, wäre...

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