Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufklärungspflicht des Zahnarztes auf extrem seltene Risiken (hier: Taubheit des hinteren Teils der Zunge, keine klar und deutliche Artikulation mehr möglich), die im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 12.08.2009; Aktenzeichen 1 O 109/08)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.8.2009 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 16.3.1961 geborene Klägerin, die von Beruf Gymnasiallehrerin für Latein und Deutsch ist, macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen einer fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung bzw. Aufklärung über das Risiko einer anästhesiebedingten Nervschädigung im Jahr 2007 geltend.

Die Klägerin hat erstinstanzlich von dem Beklagten ein Schmerzensgeld i.H.v. mind. 15.000,000 EUR, die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten für alle materiellen und immateriellen Schäden sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 899,43 EUR begehrt. Sie hat behauptet, der Beklagte habe sie zu keinem Zeitpunkt während des Behandlungszeitraumes über das Risiko einer auch dauerhaften Nervschädigung des Nervus lingualis infolge einer Leitungsanästhesie aufgeklärt. Zu einer solchen Schädigung sei es im Rahmen der Behandlung am 29.8.2007 durch die vom Beklagten applizierte Leitungsanästhesie gekommen. Der hintere Teil der Zunge sei seit diesem Zeitpunkt taub, so dass die Klägerin sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr klar und deutlich artikulieren könne. Sie befinde sich zudem in logopädischer Behandlung.

Der Beklagte ist dem Haftungsbegehren nach Grund und Höhe entgegengetreten. Er hat die Ansicht vertreten, angesichts des geringen Risikos sei eine Aufklärung über eine Verletzung des Nervus lingualis nicht geboten gewesen. Ungeachtet dessen habe er, wie bei ihm üblich, vor der ersten Behandlung der Klägerin am 30.3.2007 diese über das Risiko einer auch dauerhaften Verletzung des Nervus lingualis aufgeklärt. Der Beklagte hat erstinstanzlich bestritten, dass es zu einer Nervschädigung aufgrund seiner Behandlung gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das LG nach Einholung eines zahnärztlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. N2, eines schriftlichen Gutachtens des neurologischen Sachverständigen Dr. B, nach Vernehmung einer Zeugin sowie nach Anhörung der Parteien die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass nach der Beweisaufnahme zu ihrer Überzeugung feststehe, dass es bei der Klägerin aufgrund der bei dem Beklagten am 29.8.2007 durchgeführten Leitunganästhesie zu einer dauerhaften Schädigung des Nervus lingualis gekommen sei. Diese sei aber nicht durch einen Behandlungsfehler des Beklagten verursacht worden. Es bestehe auch keine Haftung des Beklagten wegen Aufklärungsverschuldens, wobei dahinstehen könne, ob eine Aufklärung über das seltene Risiko einer solchen Schädigung überhaupt geboten sei. Jedenfalls stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte am 30.3.2007 über dieses Risiko aufgeklärt habe. Es sei im weiteren Verlauf der Behandlung auch nicht notwendig gewesen, die Klägerin jedes Mal über dieses Risiko aufzuklären. Darüber hinaus habe die Klägerin auch keinen Entscheidungskonflikt darlegen können. Soweit sie auf Behandlungsalternativen wie die Vollnarkose oder Infiltrationsanästhesie hingewiesen habe, handele es sich hierbei um keine echten Behandlungsalternativen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlich gestellten Anträge vollumfänglich weiter.

Sie rügt, dass das LG rechtsfehlerhaft angenommen habe, eine Aufklärung über das Risiko eines Nervschadens bei Leitungsanästhesie sei wegen der Seltenheit dieses Risikos nicht erforderlich. Selbst bei erfolgter Aufklärung sei diese am Anfang der Behandlung erfolgt und habe wiederholt werden müssen. Das LG habe auch nicht aufgeklärt, ob als Anästhesiealternativen eine intraligamentäre Anästhesie, eine Infiltrationsanästesie oder eine Vollnarkose in Betracht gekommen wären.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Essen vom 12.8.2009 (Az. 1 O 109/08) aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,

1. an die Klägerin ein ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.5.2008 zu zahlen, nicht jedoch unter 15.000 EUR,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jedweden zukünftigen ...

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