Leitsatz (amtlich)

Ist vor einer HWS-Operation eine neurologische Untersuchung geboten und unterbleibt diese, ist die Operation nicht indiziert.

Die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs ohne zuvor gesicherte Diagnose, kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 823, 253

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Urteil vom 14.04.2015; Aktenzeichen 5 O 48/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.4.2015 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer im Verlauf einer ärztlichen Heilbehandlung erlittenen Querschnittslähmung unterhalb des dritten Halswirbels auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht für weitere materielle Schäden in Anspruch.

Die am ... 1960 geborene Klägerin litt als Krankenschwester über Jahre hinweg an Rückenschmerzen, vorwiegend im Bereich der Lendenwirbelsäule. Im November 2008 begab sie sich in die Behandlung des Orthopäden C, der eine radiologische Untersuchung der Lendenwirbelsäule veranlasste.

In der Zeit vom 15.12. bis 20.12.2008 begab sich die Klägerin in die stationäre Behandlung der Beklagten. Diese diagnostizierte nach entsprechender radiologischer Untersuchung bei der Klägerin ein radikulär pseudoradikuläres zervikales Schmerzsyndrom bei Osteochondrosen und Spondylarthrosen C4 bis 7 und Instabilität C3/4 mit konsekutiver Spinalkanalstenose, ein radikulär pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bei produktiven Osteochondrosen und Spondylarthrosen L4 bis S1, eine ACG-Arthrose links sowie den Verdacht auf ein Thoracic-Outlet-Syndrom rechts. Am 06.01.2009 wurde extern ein MRT der HWS gefertigt. Ohne Bezugnahme auf dieses MRT empfahl die Beklagte in ihrem Bericht vom 30.01.2009 die ventrale Dekompression und Fusion der Halswirbel C4 bis 7 sowie die Implantation einer Bandscheibenprothese C 3/4. Der die Klägerin behandelnde Orthopäde C, dem der MRT-Befund vorlag, riet der Klägerin ebenfalls zu einer operativen Behandlung durch den chirurgischen Chefarzt Dr. N.

Am 12.02.2009 führte die Klägerin ein präoperatives Gespräch zum Ablauf des geplanten Eingriffs mit dem Oberarzt der chirurgischen Abteilung, Dr. E. Am 10.03.2009 wurde die Klägerin stationär im Hause der Beklagten zur Durchführung der geplanten Implantation einer Bandscheibenprothese Typ 6 HWK 3/4 und einer Fusion HWK 4-7 mit Cage und Venture Verplattung aufgenommen. Die Ärzte Dr. N2 und Dr. L klärten die Klägerin am 10.03.2009 auf.

Der operative Eingriff wurde am 11.03.2009 durchgeführt. Es erfolgte die Implantation einer Bandscheibenprothese C3/4 sowie eine ventrale Fusion C4-7 mit Cage und Verplattung. Die Operation wurde von Dr. L geleitet, der Chefarzt Dr. N war während des Eingriffs zeitweise anwesend.

Im Anschluss an die Operation wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt. Gegen 20:15 Uhr wurde eine zunehmende Schwäche aller vier Extremitäten festgestellt. Die Klägerin konnte nur noch den rechten Arm und die Zehen bewegen. Insbesondere hatte sie kein Empfindungsvermögen mehr.

Mit der Diagnose einer postoperativen Nachblutung und Myelonkompression erfolgte am 11.03.2009 um 23:05 Uhr eine Revisionsoperation der Klägerin durch Dr. N. Während der Operation wurden die ventrale Platte und der Cage entfernt. Es erfolgten eine Blutstillung von ventral und eine Dekompression des Myelons.

Am 12.03.2009 nahm Dr. N um 14:15 Uhr eine erneute Revisionsoperation vor, nachdem weitere klinische Kontrollen und CT-Untersuchungen eine erneute Kompression des Myelons ergeben hatten. Es erfolgten eine dorsale Dekompression mit Laminektomie und eine dorsale Instrumentation.

Am 16.03.2009 wurde die Klägerin zur weiteren Behandlung in das Querschnittszentrum des berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums C verlegt. Die Klägerin leidet seit der Operation vom 11.03.2009 unter einer kompletten Querschnittslähmung sub. C3.

Die Klägerin hat behauptet, es habe keinen akuten operativen Behandlungsbedarf gegeben, insbesondere nicht im Hinblick auf den durchgeführten maximal-invasiven Eingriff. Es sei pflichtwidrig unterlassen worden, vor der Operation eine neurologische Untersuchung und ein Kernspin des Myelons durchzuführen. Die Operation sei durch den Operateur Dr. L, der nicht über die notwendige Kompetenz verfügt habe, zudem nicht lege artis durchgeführt worden. Da der Querschnitt direkt im Anschluss an die Operation aufgetreten sei, sei anzunehmen, dass es bereits während der Operation zu einer Einblutung gekommen sei, die entweder pflichtwidrig übersehen oder bei der die Blutstillung nicht sorgfältig durchgeführt worden sei. Die Revisionsoperati...

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