Leitsatz (amtlich)

1. Ist in einem Sorgerechtsentziehungsverfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB vor dem Beschwerdegericht eine mündliche Verhandlung mit umfassender Anhörung aller Beteiligten, der Kinder und der Sachverständigen erfolgt, über die ein ausführlicher schriftlicher Berichterstattervermerk erstellt und den Beteiligten zusammen mit dem Verhandlungsprotokoll übersandt worden ist, und wird eine im Termin angekündigte, die Beschwerde des Elternteils zurückweisende Entscheidung allein wegen der Gelegenheit zur möglichen schriftsätzlichen Beschwerderücknahme innerhalb einer gesetzten kurzen Frist noch zurückgestellt, ist es zulässig, dass das Beschwerdegericht auch nach einem anschließenden teilweisen Besetzungswechsel des Spruchkörpers nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten mit Gelegenheit zur Stellungnahme eine Hauptsacheentscheidung im schriftlichen Verfahren erlässt.

2. Hierin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn sich der Senat in seiner Entscheidung auf Einzelheiten der Anhörung und auf seinen persönlichen Eindruck von den Beteiligten stützt, soweit ein Teil der Senatsmitglieder unmittelbar an der Anhörung teilgenommen hat und das neue Senatsmitglied auf eine aktenkundige, der Stellungnahme durch die Beteiligten zugängliche Beurteilung zurückgreifen kann.

3. Zu den materiellen Voraussetzungen und Einzelheiten einer Entziehung der vollständigen elterlichen Sorge nebst Inobhutnahme nach den §§ 1666, 1666a BGB, 42 SGB VIII unter Beachtung des Elternrechts aus den Art. 6 Abs. 2 GG, 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

4. Behauptet ein Elternteil, er habe seine Kindern vor deren richterlicher Anhörung heimlich mit versteckten elektronischen Tonaufnahmegeräten ausgestattet, führt dies am Maßstab des § 159 FamFG gemessen grundsätzlich nicht zu einer Unverwertbarkeit der Kindesanhörung. Das aus Art. 6 Abs. 2 GG geschützte materielle Elternrecht und das aus Art. 103 Abs. 1 GG resultierende Verfahrensrecht auf eine dem rechtlichen Gehör der Eltern genügende Art und Weise der Durchführung der Kindesanhörung wird nicht in verfahrensfehlerhafter Weise verletzt, wenn der Senat aufgrund des Vorbringens des Elternteils bereits nicht davon ausgehen kann, dass eine Ausstattung der Kinder mit Tonaufnahmegeräten tatsächlich erfolgt ist. Gleiches gilt, wenn jedenfalls nicht feststellbar ist, dass die Kinder in ihrem Aussageverhalten durch die vorgetragenen Umstände beeinträchtigt worden sein könnten, und wenn der Elternteil keine Abweichungen des durch den Berichterstattervermerk protokollierten Inhalts der Kindesanhörung von dem Inhalt der behaupteten Tonaufnahmen darlegt.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a; SGB VIII § 42; FamFG § 159; GG Art. 6 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1; EMRK Art. 8

 

Verfahrensgang

AG Essen (Beschluss vom 05.08.2013; Aktenzeichen 108b F 6/13)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners und Kindesvaters gegen den am 5.8.2013 erlassenen Beschluss des AG - Familiengericht - Essen (Aktenzeichen: 108b F 6/13) wird zurückgewiesen.

II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt, auch nicht hinsichtlich der zurückgenommenen Beschwerde der Antragsgegnerin und Kindesmutter.

III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über die Entziehung der elterlichen Sorge für die vier Kinder D, S, M und O.

Die Kinder D (geb. am... 2001, 12 Jahre alt), S (geb. am... 2003, 10 Jahre alt), O (geb. am... 2007, 6 Jahre alt) und M (geb. am... 2008, 5 Jahre alt) sind aus der am... 2002 geschlossenen Ehe des Kindesvaters P (geb. am... 1976, 37 Jahre alt) mit der Kindesmutter R (geb. am... 1984, 29 Jahre alt) hervorgegangen. Die Kindesmutter hat die Hauptschule in der 10. Klasse verlassen, der Kindesvater hat eine Schule für Lernbehinderte besucht und dort ein Abgangszeugnis nach der 9. Klasse erreicht. Er ist weitgehend Analphabet, so dass er sich seine Post oft von der Tochter D vorlesen lassen muss. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen beide Kindeseltern nicht. Die Kindesmutter ist - vor allem bedingt durch die vier Schwangerschaften - nie berufstätig gewesen, der Kindesvater hat in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet. Aktuell ist er stundenweise in einer Friedhofsgärtnerei beschäftigt.

Die Familie ist dem Jugendamt seit November 2007 bekannt. Seinerzeit lebten die Kindeseltern noch gemeinsam in einem Haushalt. Im Juni 2008 wurde eine ambulante Familienhilfe in der Familie eingesetzt (Frau N). Damals war die Kindesmutter mit M schwanger. Nachdem sich die familiäre Situation und insbesondere die Beziehung zwischen den Kindeseltern nicht stabilisieren ließen und Absprachen von der Kindesmutter immer wieder unterwandert wurden, trennten sich die Kindeseltern vorläufig. In diesem Zusammenhang bezog der Kindesvater mit den vier Kindern am 1.12.2009 eine eigene Wohnung T-Straße in F.

In dem zu Bewei...

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