Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Zurücktreten der Haftung aus Betriebsgefahr gegenüber schuldhaftem Verhalten eines Fußgängers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein vollständiges Zurücktreten der Haftung aus Betriebsgefahr kommt nur bei grob fahrlässigem Verhalten eines Fußgängers in Betracht, das sich im Unfallzeitpunkt niedergeschlagen hat.

2. Zu den Voraussetzungen einer Beweisantizipation von Zeugenaussagen im Prozesskostenhilfeverfahren.

3. Zur Zulässigkeit von Feststellungsklagen auch bei Bezifferbarkeit von Schadenspositionen.

4. Zur Einschätzung der Schmerzensgeldhöhe im Prozesskostenhilfeverfahren.

 

Normenkette

StVG § 7; BGB § 254; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Beschluss vom 15.03.2017; Aktenzeichen 7 O 479/16)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG Darmstadt vom 15.3.2017 abgeändert.

Der Antragstellerin wird für die beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A bewilligt, soweit sie Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Haftungsanteil von nicht mehr als 50 % von den Beklagten zu 1) und 2) verlangt.

Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls vom ... 2016 und behauptet, der Unfall sei durch Unachtsamkeit und überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) verursacht worden, für den die Beklagte zu 2) hafte. Die Beklagte zu 3) hafte deshalb, weil die Fußgängerampel in der Nacht abgeschaltet gewesen sei.

Das LG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) wegen Zurücktretens der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) angesichts grober Fahrlässigkeit der Antragstellerin bei dem Überqueren der Straße, und hinsichtlich der Beklagten zu 3) wegen Fehlens einer Verkehrssicherungspflichtverletzung zurückgewiesen. Hinsichtlich des Feststellungsantrags hat das LG die beabsichtigte Klage als teilweise unzulässig angesehen, weil nicht vorgetragen worden sei, warum eine Bezifferung der bereits eingetretenen Schäden nicht möglich gewesen sei

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

1. Sie ist allerdings unbegründet, was die beabsichtigte Klage gegenüber der Beklagten zu 3) angeht. Weder hat die Antragstellerin rechtliche Normen dargelegt, die zu einer Verpflichtung führen könnten, eine Ampelanlage auch nachts eingeschaltet zu lassen, noch sind solche für den Senat erkennbar.

Die Einrichtung von Ampelanlagen ist Aufgabe der Verkehrsbehörde, die für freien und gefahrlosen Verkehr im Rahmen der Verkehrsregeln zu sorgen hat. Dazu gehört sicherlich auch generell die Überlegung, wie Kreuzungen möglichst gefährdungsfrei passiert werden können, und die Sicherung besonders gefährlicher Verkehrsstellen. Daraus folgt aber weder eine Verpflichtung noch ein subjektives Recht, dass jede Gefahrenstelle besonders auch außerhalb der üblichen Verkehrszeiten gesichert werden muss. Jedenfalls bestehen auch keine Erkenntnisse dahingehend, dass die Unfallstelle bereits zuvor als neuralgisch in Erscheinung getreten ist und deshalb ein Handeln der Verkehrsbehörde unabdingbar erfordert hätte.

Bei Verfolgung der Auffassung der Antragstellerin müssten nachts sämtliche Straßen einer Stadt mit Ampeln gesichert werden. Dass dies unsinnig ist, liegt auf der Hand.

2. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) hält der angefochtene Beschluss allerdings einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Dem LG sind mehrere schwerwiegende Fehler unterlaufen, weshalb der Senat über den Umfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe selbst entschieden hat.

a) Die Beklagten zu 1) und 2) haften für die Folgen des Unfalls gemäß den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG, und zwar unabhängig davon, ob der Beklagte schuldhaft gehandelt hat oder nicht. Die Haftung nach § 7 StVG ist gegenüber dem nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer auch nicht durch die Möglichkeit des Nachweises eines unabwendbaren Ereignisses beschränkt, weil § 17 Abs. 3 StVG seit 2002 nur für die Haftung mehrerer Kraftfahrzeuge untereinander gilt.

Mithin besteht die grundsätzliche Haftung des Beklagten zu 1) völlig unabhängig davon, ob er sich sorgfaltswidrig verhalten hat, gebremst hat oder mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist. Es kommt deshalb zunächst nicht darauf an, welchen Vortrag die Antragstellerin insoweit gehalten hat, zumal sie die Verhaltensweise des Fahrers überhaupt nicht beurteilen konnte.

Zwar muss sich die Antragstellerin auch ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen lassen, weil sie offensichtlich unaufmerksam die Straße überquert hat. Insoweit ist ihr Vorbringen erneut nicht nachvollziehbar, weil das Fahrzeug des Beklagten zu 1) nicht vom Himmel gefallen ist, sondern über eine längere Strecke sichtbar herangekommen sein muss.

Ein vollständiges Zurücktreten der Haftung aus Betriebsgefahr k...

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