Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. hinreichende Wahrscheinlichkeit. Erkrankungsrisiko. Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Dioxinbelastung. koronare Herzerkrankung. Konkurrenzursache. Zigarettenkonsum. Übergewicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dioxin ist nach überwiegender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung generell geeignet, eine koronare Herzkrankheit (KHK) zu verursachen.

2. Das Erfordernis der Risikoverdoppelung ist ein geeignetes Kriterium für die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Dioxinexposition und KHK im Einzelfall.

3. Nach allen bisher bekannten epidemiologischen Studien liegt das relative Risiko der Erkrankung an einer KHK auch bei den am höchsten Dioxin-Exponierten unter 2,0.

 

Orientierungssatz

Zur Nichtanerkennung einer koronaren Herzkrankheit eines 62jährigen Betriebsschlossers mit hohem Zigarettenkonsum, Übergewicht und Bluthochdruck, der während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit einer Dioxinbelastung von 506 ppt ausgesetzt war, als Berufskrankheit gem BKV Anl Nr 1310.

 

Tatbestand

Im Streit ist, ob der Versicherte an den Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1310 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung -- BKV -- verstorben ist und die Klägerin als Witwe dem Grunde nach Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann.

Der Versicherte arbeitete in der Zeit von 1969 bis Ende 1984 als Betriebsschlosser bei der Firma C. H. B Sohn in H, wo er insbesondere einer Exposition gegenüber 2,3,7,8- Tetrachloridbenzo-p-dioxin (TCDD -- nachfolgend Dioxin) ausgesetzt war. Eine im Jahr 1986 vom Bundesgesundheitsamt durchgeführte Dioxin-Bestimmung in seinem Fettgewebe ergab einen Wert von 506 ppt.

Im Juni 1989 wurde im Rahmen einer stationären Behandlung im Marienkrankenhaus H eine koronare Herzkrankheit (nachfolgend KHK) in der Form einer Zweigefäßerkrankung diagnostiziert. Am 24. November 1989 erfolgte im Deutschen Herzzentrum B eine ACVB (= Bypass)-Operation; am 11. Dezember 1989 verstarb der Versicherte dort infolge eines therapiefraktären septischen Schocks.

Aus eigenen Angaben sowie der Krankenvorgeschichte geht hervor, dass der Versicherte seit seiner Jugend ca. 25 bis 30 Zigaretten täglich geraucht hatte, bei ihm seit Ende 1972 eine Hepatopathie (Erkrankung der Leber und Gallenwege), seit 1984 eine leichte Hypertriglyceridämie, ein labiler Bluthochdruck, eine tablettenpflichtige Zuckerkrankheit, eine Hyperlipidämie sowie ein Übergewicht (1985 laut Nachuntersuchung 94 kg bei einer Größe von 1,66 m) vorlagen.

Am 17. Januar 1990 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Prof. Dr. M ein, wonach bei dem Versicherten etwa seit 1980 Herzbeschwerden, Schwindelerscheinungen, Atemnot bei körperlicher Anstrengung vorgelegen hätten und eine Berufskrankheit -- BK -- nach Nr. 1310 der Anlage zur BKV anzunehmen sei.

Nach Durchführung von Ermittlungen zum Arbeitsleben des Versicherten und zur Krankengeschichte sowie Einholung einer Stellungnahme der staatlichen Gewerbeärztin S vom 24. April 1991, die einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Dioxinexposition und der KHK als nicht hinreichend wahrscheinlich ansah, lehnte die Beklagte auf der Grundlage dieser ärztlichen Beurteilung mit Bescheid vom 27. Juni 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1991 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung an die Klägerin ab.

Während des nachfolgenden Klagverfahrens hat das Sozialgericht insbesondere ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Dr. P vom 12. April 1995 eingeholt, der -- auch unter Berücksichtigung einer von der Beklagten vorgelegten epidemiologischen Stellungnahme von Prof. K vom 29. Dezember 1995, einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme von Prof. Dr. T vom 15. Januar 1996 sowie einer Studie von Flesch-Janys und anderen aus dem Jahr 1995 (Exposition gegenüber polychlorierten Dioxinen und Furanen und Mortalität in einer Kohorte von Arbeitern eines Herbizide produzierenden Betriebes in H) -- die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen einer sehr hohen Dioxin-Exposition und einem erhöhten Erkrankungsrisiko für ischämische Herzerkrankungen annahm und die Kausalität im Falle des Versicherten auch unter Berücksichtigung der vorliegenden außerberuflichen Risikofaktoren bejahte (ergänzende Stellungnahme Dr. P vom 15. April 1997).

Auf der Grundlage dieser Beurteilung hat das Sozialgericht mit Urteil vom 17. Juni 1997 der Klage stattgegeben und in der Begründung im Wesentlichen auf die hohe berufliche Dioxinbelastung des Versicherten abgestellt. In Würdigung der vorliegenden epidemiologischen Studien sei mit dem medizinischen Sachverständigen Dr. P mit Wahrscheinlichkeit eine generelle Eignung der Dioxinbelastung für die Verursachung einer KHK anzunehmen. Dieser Ursachenzusammenhang entfalle auch nicht bei Berücksichtigung der beim Versicherten vorhandenen außerberuflichen Faktoren ...

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