Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung. Kündigung wegen Stromentnahme am Arbeitsplatz. Auflösungsantrag des Arbeitgebers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Selbst wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung des Arbeitnehmers nur Sachen von geringem Wert betrifft, ist die Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet.

2. Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers.

3. Im Rahmen der Interessenabwägung ist es zu berücksichtigen, wenn im Betrieb des Arbeitgebers der private Verbrauch von Strom gängig ist, das heißt zahlreiche privat mitgeführte elektronische Gegenstände betrieben werden, wie Kaffeemaschinen, Radios und Mikrowelle und darüber hinaus Handys aufgeladen werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitnehmer, der in Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen seinen Arbeitgeber begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihm gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise. Dabei kommt es auf die Höhe des durch die Straftat verursachten Schadens nicht an. Selbst wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft, ist die Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet.

2. Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend und für alle Fälle einheitlich festlegen. Geht es um die Beurteilung rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens des Arbeitnehmers, sind aber stets die beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen einer Vertragsverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

3. Zwar mag die Duldung einer Stromentnahme nicht dazu führen, die Rechtswidrigkeit der Entnahme entfallen zu lassen, es ist aber von Bedeutung, ob der Stromverbrauch aus privaten Gründen beim Arbeitgeber jedenfalls zum Zeitpunkt der Kündigung gängig war.

4. Bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist immer auch der Zeitablauf bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG §§ 1, 9

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Urteil vom 14.01.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1070/09)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 14.01.2010 – 1 Ca 1070/09 – wird unter Einbeziehung des Auflösungsantrags der Beklagten kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte, über einen vom Kläger verfolgten Weiterbeschäftigungsantrag sowie über einen von der Beklagten im Berufungsverfahren gestellten Auflösungsantrag.

Der am 01.02.1969 geborene Kläger war seit dem 01.08.1990 bei der Beklagten, bei der er seine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert hatte, beschäftigt und zuletzt als Netzwerkadministrator in der EDV-Abteilung eingesetzt. Er erzielte ein monatliches Gehalt von 3.372,97 EUR brutto ohne vermögenswirksame Leistungen. Der Kläger ist verheiratet und Vater eines unterhaltsberechtigten Kindes.

Die Beklagte beschäftigt ca. 1.400 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Im Mai 2009 hatte sich der Kläger für einige Tage einen Elektroroller („Segway”) gemietet. Am Freitag, dem 15.05.2009, fuhr der Kläger mit diesem Elektroroller zu seiner etwa zwei Kilometer entfernt liegenden Wohnung zum Betrieb der Beklagten zur Arbeit. Er schloss diesen Elektroroller in der Zeit zwischen ca. 9.30 Uhr und 9.45 Uhr im Vorraum zum Rechenzentrum der Beklagten an eine Steckdose an, um den Akku aufzuladen. Ob der Kläger dabei ein von ihm mitgebrachtes oder ein im Vorraum zum Rechenzentrum der Beklagten liegendes Ladekabel benutzte, ist zwischen den Parteien streitig. Zugang zu dem Vorraum haben nur autorisierte Personen. Hierbei handelt es sich jedenfalls um 12 Mitarbeiter der Beklagten.

Gegen 10.00 Uhr bemerkte der Vorgesetzte des Klägers, der Zeuge B2, dass der im Vorraum abgestellte elektrische Motorroller zum Aufladen an eine herkömmliche 220 Volt-Steckdose angeschlossen war. Er sprach den Kläger hierauf an und forderte ihn auf, den Motorroller zu entfernen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kläger in einem sogenannten „Hotline”-Telefonat mit einem Außendienstmitarbeiter der Beklagten. Dieses Telefonat setzte der Kläger fort. Erst nachdem er in der Zeit zwischen ca. 11.00 Uhr und 11.15 Uhr erneut aufgefordert worden war, den Elektroroller vom Stromnetz zu nehmen, beendete der Kläger das Telefonat und kam dieser Aufforderung nach. Wird ein Ladevorgang von einer Dauer von 1,5 Stunden zugrunde gelegt, so betrugen die Stromkosten für die Aufladung des Elektrorollers ca. 1,8 Cent.

In einem Gespräch am 18. oder 19.05.2009 wurde dem Kläger vom Personalleiter vorgehalten, auf Kosten der ...

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