Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzansprüche eines ehemaligen Arbeiters einer Kirchengemeinde wegen Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Eingehung einer neuen Partnerschaft nach Trennung von seiner Ehefrau. Rechtsfolgen des Obsiegens des Arbeitnehmers vor dem EGMR

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Kläger konnte den Nachweis einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) nicht führen. Es bleibt dabei, dass rechtskräftig feststeht, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Kirchengemeinde durch die Kündigung am 15.07.1997 zum 31.03.1998 aufgrund der Eingehung einer neuen Partnerschaft nach Trennung von seiner Ehefrau sein Ende gefunden hat.

2. Dies steht einer Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB entgegen weil:

a) Die Kirchengemeinde und das beklagte Bistum sich nicht in vorsätzlicher Weise die rechtskräftigen Urteile erschlichen haben, indem sie den staatlichen Gerichten in den Jahren 1997 bis 2000 in Wahrheit nicht existierende kirchenrechtliche Kündigungsgründe vorgetragen haben. Die dauerhafte außereheliche Beziehung des Klägers nach kirchenrechtlichem Verständnis als Kündigungsgrund anzusehen, war im konkreten Fall des Klägers objektiv vertretbar.

b) Die Kirchengemeinde und das beklagte Bistum im damaligen Kündigungsschutzverfahren nicht bewusst falsch oder unvertretbar vorgetragen haben, dass der Kläger als Kirchenmusiker eine Nähe zum Verkündigungsauftrag gehabt habe. Insoweit haben die Beklagten sich auf einen vertretbaren Rechtsstandpunkt gestellt. So geht bereits das Zweite Vatikanische Konzil davon aus, dass die Kirchenmusik einen notwendigen und integrierenden Bestandteil der feierlichen Liturgie ausmacht.

c) Die Entscheidung des EGMR für den Kläger kein Grund zur Wiederaufnahme des ursprünglichen Kündigungsschutzverfahrens ist und die erkennende Kammer deshalb keine vollständige neue inhaltliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung vorzunehmen hatte. Eine Durchbrechung der Rechtskraft der bisherigen Entscheidungen auf der Grundlage eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 826 BGB kam nicht in Betracht, weil die dafür erforderlichen strengen Voraussetzungen auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR nicht gegeben sind.

 

Normenkette

BGB § 826; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 256-258, 293, 580 Nr. 8; GrO (1993) Art. 3-5

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 04.05.2017; Aktenzeichen 1 Ca 3319/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.12.2019; Aktenzeichen 8 AZR 511/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 04.05.2017 - 1 Ca 3319/16 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Schadensersatz aus einem beendeten Arbeitsverhältnis des Klägers und der Beklagten zu 1).

Der katholische Kläger war seit 1983 bei der zu 1) beklagten katholischen Kirchengemeinde als Organist und Chorleiter zunächst mit einem Beschäftigungsumfang von 80% und ab 1985 zusätzlich als Dekanatskantor und dann zu 100% tätig. In der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (im Folgenden GrO 1993), die durch das beklagte Bistum am 01.01.1994 in Kraft gesetzt wurde, hieß es u.a.:

"Artikel 2 Geltungsbereich

(1) Diese Grundordnung gilt für Arbeitsverhältnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Dienststellen, Einrichtungen und sonstigen selbständig geführten Stellen - nachfolgend als Einrichtung(en) bezeichnet -

a) ...

b) der Kirchengemeinden und Kirchenstiftungen

Art. 3 Begründung des Arbeitsverhältnisses

(1) ...

(2) Der kirchliche Dienstgeber kann pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört.

(3) Der kirchliche Dienstgeber muss bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Festlegung der entsprechenden Anforderungen sicherstellen, dass sie ihren besonderen Auftrag glaubwürdig erfüllen können. ...

Art. 4 Loyalitätsobliegenheiten

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehrer anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

...

Art. 5 Verstöße gegen Loyalitätspflichten

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheits...

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