Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzuständigkeit der Einigungsstelle bei fehlender Gefährdungsbeurteilung. Rechtsschutzbedürfnis für § 100 ArbGG nur bei tatsächlich gescheiterten Verhandlungen. Ernsthafter Versuch von Verhandlungen als Voraussetzung für deren Scheitern. Erhöhung der Zahl der Beisitzer in Einigungsstelle bei komplexen und umfangreichen Regelungsinhalten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Folgefall zu der Entscheidung der Beschwerdekammer vom 16.07.2019 - 3 TaBV 36/19 mit denselben Beteiligten und zu dem im Wesentlichen selben Thema der Einsetzung einer Einigungsstelle.

2. Ergibt sich aus konkretem Sachvortrag des Betriebsrats zur Besetzung des Gremiums, der ordnungsgemäßen Ladung aller ordentlichen und bzgl. entschuldigt fehlender Mitglieder der entsprechenden Ersatzmitglieder, zur Festlegung bzw. Genehmigung der Tagesordnung und zur nachfolgenden mehrheitlichen Beschlussfassung des beschlussfähigen Gremiums und den zum Beleg beigefügten Anlagen (Sitzungsprotokoll und Teilnehmerliste der entsprechenden Betriebsratssitzung), dass der Feststellung des Scheiterns von Verhandlungen und der Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 100 ArbGG ein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrunde liegt, ist es Sache des Arbeitgebers, sein bisher pauschales Bestreiten dahingehend zu konkretisieren, welche Angaben der Gegenseite nunmehr noch aus welchen Gründen weiterhin bestritten bleiben sollen. Anderenfalls ist der Sachaufklärungspflicht des Arbeitsgerichts Genüge getan, wenn es auf der Grundlage der konkreten und größtenteils mit entsprechenden Unterlagen belegten Angaben des Betriebsrats von einer wirksamen Beschlussfassung ausgeht.

3. In Fortentwicklung und Abgrenzung zur Entscheidung vom 16.07.2019 - 3 TaBV 36/19 liegt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG vor, wenn nunmehr beiderseits Regelungsentwürfe ausgetauscht wurden und hierüber jedenfalls ein knapp einstündiges gemeinsames Gespräch stattgefunden hat und der Betriebsrat danach das Scheitern der Verhandlungen feststellt, weil er unabänderlich an seinem Entwurf festhalten möchte und hierzu eine Einigung auf absehbare Zeit nicht für möglich hält. Die Verhandlungsobliegenheit nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG geht nicht so weit, dass eine Betriebspartei von ihrer bisherigen Position abrücken müsste, um damit Verhandlungen aufrecht zu erhalten und ihr anderenfalls das Rechtsschutzbedürfnis für ein Verfahren nach § 100 ArbGG abgesprochen werden könnte.

4. Die Einsetzung einer Einigungsstelle mit den beiden Themen "betriebliches Eingliederungsmanagement" und "physische und psychische Gefährdungsbeurteilung" rechtfertigt ausnahmsweise eine von der regelmäßigen Beisitzerzahl abweichende und auf drei je Betriebspartei erhöhte Festsetzung der Anzahl der Beisitzer.

 

Normenkette

ArbGG § 100; ArbSchG §§ 3, 5; BetrVG §§ 3, 87 Abs. 1 Nr. 7, §§ 29, 33-34, 2, 74, 76 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Entscheidung vom 10.12.2019; Aktenzeichen 3 BV 77/19)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers und Beteiligten zu 1.) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 10.12.2019 - Az.: 3 BV 77/19 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und

  1. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit den Regelungsgegenständen "Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement" sowie "Betriebsvereinbarung zur Durchführung einer psychischen und physischen Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG" Herr Dr. P., Richter am Arbeitsgericht Dortmund, bestellt.
  2. Die Anzahl der Beisitzer, die von Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, wird auf jeweils drei festgesetzt.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum betrieblichen Eingliederungsmanagement sowie zur Gefährdungsbeurteilung.

Die Beteiligte zu 2.) ist ein Unternehmen der C.-Gruppe und stellt unter anderem am Standort in T. Leichtmetallräder her.

Der antragstellende Beteiligte zu 1.) ist der im Betrieb der Beteiligten zu 2.) in T. gebildete, aus 13 Mitgliedern bestehende Betriebsrat.

Bereits im Rahmen des Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht Solingen zu dem Aktenzeichen 3 BV 22/19 stritten die Beteiligten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand einer Gefährdungsbeurteilung. Die Anträge des Betriebsrats blieben seinerzeit aufgrund der Entscheidung der erkennenden Beschwerdekammer vom 16.07.2019 - 3 TaBV 36/19 - wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses mangels Erfüllung der vorherigen Verhandlungsobliegenheit erfolglos.

In seiner Sitzung vom 22.07.2019 beschloss der Antragsteller sodann, der Beteiligten zu 2.) Entwürfe oder wichtige Regelungsinhalte von Betriebsvereinbarungen zu den Themen "psychische und physische Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG", "betriebliches Eingliederungsmanagement" sowie zu weiteren arbeitsschutzrechtlichen Themen mit der Maßgabe zu übermitteln, diese binnen vier Wochen entweder gegenzuzeichnen, die Vereinbarung im Rahmen einer Betriebsvereinbar...

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