In Zeiten, in denen Streiks bei Bahn, Flugverkehr und Kindertagesstätten auf der Tagesordnung stehen, hat das mit Wirkung vom 10.7.2015 in Kraft getretene Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) vom 3.7.2015 (BGBl I, S. 1130) besondere Aufmerksamkeit erfahren (zu Einzelheiten Fischinger/Monsch NJW 2015, 2290 ff.; Maaß ZAP F. 17, S. 1183 ff.). Mit dem Gesetz wurde der Grundsatz der Tarifeinheit, der früher lange Zeit auch von der Rechtsprechung vertreten, dann aber vom BAG 2010 aufgegeben worden war (BAGE 135, 80 = NZA 2010, 1068), in neuer Form gesetzlich verankert. Erklärtes Ziel ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Das Gesetz findet nur Anwendung, wenn zwei Gewerkschaften in ein- und demselben Betrieb dieselben Arbeitnehmergruppen vertreten und für diese unterschiedliche tarifliche Regelungen treffen wollen. Die auf diese Weise entstehende Tarifpluralität wird nach dem neuen § 4a TVG mithilfe des betriebsbezogenen Mehrheitsprinzips aufgelöst; vorgesehen ist, dass in dem Umfang, in dem sich in einem Betrieb (nicht: Unternehmen) die Tarifverträge überschneiden, nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung findet, die im Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt. Über eine Änderung des ArbGG wurden die Arbeitsgerichte ermächtigt, im Beschlussverfahren über die Frage des Anwendungsvorrangs eines Tarifvertrags mit bindender Wirkung für Dritte zu entscheiden. Zum Schutz der Rechte von Minderheitsgewerkschaften wurden zwei flankierende Verfahrensregelungen eingeführt: Zum einen ein vorgelagertes Anhörungsrecht gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite (§ 4a Abs. 5 TVG), zum anderen ein nachgelagertes Nachzeichnungsrecht (§ 4a Abs. 3 TVG), das den Anspruch auf Abschluss eines – mit dem kollidierenden Tarifvertrag inhaltsgleichen – Tarifvertrags beinhaltet. Das Tarifeinheitsgesetz verzichtet zwar auf eine explizite Einschränkung des Streikrechts; allerdings soll nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks 18/4062, S. 12) über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein. Ein Streik diene nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erkämpft werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen kann.

Das Reformgesetz weist klare Schwächen auf (zu Einzelheiten Henssler RdA 2015, 222 ff.) und ist im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich bedenklich. Wie erwartet haben einige kleinere Gewerkschaften gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt und einen unzulässigen Eingriff in die Koalitionsfreiheit gerügt. Die verfassungsrechtliche Überprüfung soll im Hauptsacheverfahren erfolgen, nachdem das BVerfG (NJW 2015, 3294) die Anträge auf einstweilige Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz zurückgewiesen hat. Die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG seien nicht gegeben, weil derzeit nicht feststellbar sei, dass es bis zu der für Ende 2016 angestrebten Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache für die beschwerdeführenden Berufsgruppengewerkschaften oder Dritte zu so gravierenden, nur schwer revidierbaren Nachteilen kommen werde.

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